Die Universität ist ein desillusionierender Ort für Islam- und Einwanderungskritiker. Sollte man doch an manchen Tagen, bestärkt durch eigene virtuelle Filterblasen, zu der Auffassung gelangen, die Mehrheit der Deutschen stünde der Asylpolitik und dem politischen Islam kritisch gegenüber, reicht ein einziger Tag an der Uni, um diese zaghafte Hoffnung verpuffen zu lassen. Schaut man sich darüber hinaus die derzeitigen Umfrageergebnisse zur Bundestagswahl an, könnte die Uni, trotz ihres Elfenbeinturm-Rufes, tatsächlich näher an der Realität sein, als die eigene randvoll mit kritischen Mitmenschen gefüllte Filterblase.
Aber die Universität ist auch aus anderen Gründen, die jedoch unmittelbar mit diesen zusammenhängen, eine Wüste ohne Oase. Bologna und Bildungsinflation sowie eine überbordende „Political Correctness“, speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften, haben aus den früheren Entwicklungsstätten künftiger „geistiger Eliten“ ein Klassenzimmer gemacht, in dem Meinungskonformismus und ein eklatanter Mangel an selbstständigem, kritischem Denken vorherrscht. Wer mit eigenen Aussagen aus der Rolle fällt, wird mit Entsetzen und Empörung von den Hütern der Political Correctness und mit Schweigen der konformen Mehrheit bestraft. Die Frage, die sich der Student heute stellt, lautet nicht länger, was die seines Erachtens richtige Antwort auf die Fragestellung ist, sondern welche Antwort diejenige ist, die der Dozent bevorzugt.
Über 50 Prozent der deutschen Schüler machen heutzutage Abitur. Die Zahl der Einser-Abiturienten ist sprunghaft angestiegen. Hatte vor elf Jahren nicht einmal jeder hundertste Abiturient einen Schnitt von 1,0, sind es 2014 bereits 50 Prozent mehr als 2006, die die Bestnote erhielten. Nicht zuletzt an dieser Inflation der Abiture und Bestnoten zeigt sich die föderale Bildungsungerechtigkeit. Berlin etwa vergab 2015 fünfmal so viele 1,0-Noten wie noch 2006. In Brandenburg hat sich die Zahl immerhin verdreifacht. In Thüringen erhielten 2014 2,79 Prozent der Abiturienten eine 1,0, in Niedersachsen nur 0,78 Prozent. Daran, dass die Schüler in Niedersachsen, Bayern und anderswo weniger intelligent sind als beispielsweise in Thüringen, liegt es jedoch nicht. So bestätigt Lehrerin Heike Schimke aus Erfurt gegenüber der ZEIT, dass die Abiturnoten in den letzten Jahren definitiv besser geworden seien. „Aber es liegt nicht daran, dass meine Schüler schlauer geworden sind.“ Vielmehr würden die Lehrpläne immer mehr zu „Leerplänen“. Statt Fachwissen würde vermehrt auf Selbst-, Sozial und Methodenkompetenz gesetzt werden. Die Folge dieser Absenkung des Niveaus in der Wissensvermittlung: Immer mehr Abiturienten, die nicht über die nötige Studieneignung verfügen.
Die Folgen an den Universitäten sind mitunter verheerend. Vor allem Professoren aus den sogenannten WIMINT-Fächern (Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) beklagen, dass ihre heutigen Studenten über ein solch defizitäres Vorwissen verfügten, dass die Defizite zu Studienbeginn kaum mehr aufzuholen seien – weder in Vor- noch in Brückenkursen. „In der Studieneingangsphase finden inzwischen fast überall mathematische Alphabetisierungsprogramme statt; dies ist frustrierend für die Studenten, die mit guten Noten und hohen Erwartungen an die Hochschulen kommen.“, so die Aussage eines Brandbriefes von knapp 130 Professoren und Lehrkräften.
Dabei zeigen sich die Folgen nicht nur in WIMINT-Fächern. Auch Studenten aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sind immer weniger in der Lage, selbstständig und auf hohem Niveau zu arbeiten, weshalb die jeweiligen Studienordnungen der Fächer immer wieder angepasst und Studienfächer noch stärker verschult werden als es mit Bologna ohnehin schon der Fall ist. Unlust der Dozenten, Seminarsitzungen vorzubereiten und die Notwendigkeit, viele Studenten zur Arbeit zu zwingen, gehen hierbei eine unheilvolle Verbindung ein. Ergebnis: Vorbereitungen von Referaten und Sitzungsmoderationen in nahezu jedem Uni-Seminar, wobei nicht die eigene Vorbereitung das Problem ist, sondern die Tatsache, dass man sich in der Folge das ganze Semester auch von jedem anderen Kommilitonen ein Referat oder eine Moderation anhören muss, was im Umkehrschluss bedeutet, dass für die eigentliche Lehre durch den Dozenten kaum mehr Zeit bleibt und man sich viele Seminarsitzungen auch einfach schenken könnte, da der Zugewinn an Erkenntnis nicht selten gegen null geht. Schade nur, wenn man durch eingeführte Anwesenheitspflichten trotzdem gezwungen ist, nur noch physisch präsent zu sein.
Auch hier zeigt sich, was bereits für die Schulen gilt: Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz werden vor die eigentliche Vermittlung von Wissen gestellt. Statt anregenden Diskussionen und Input durch den Dozenten, erlebe ich in meinem eigenen Uni-Alltag mittlerweile kaum noch ein Seminar, in dem man sich nicht durch verschulte Abläufe und didaktischen Firlefanz von Gruppenarbeiten über Endlos-Referate quälen muss. Eine Dozentin im letzten Semester brachte es gar fertig, die Referatsgruppen jede Sitzung volle 90 Minuten referieren zu lassen, ohne auch nur einen eigenen Input beizusteuern. In andere Seminarsitzungen werden statt Referaten Sitzungsmoderationen als Prüfungsvorleistung vergeben, in denen Studenten ohne jegliches Vorwissen als didaktische Laien fungieren und sinnlose Gruppenarbeiten mit den restlichen im Raum anwesenden Studenten veranstalten. Beschäftigungstherapie durch das Erfüllen von Fleißaufgaben, statt intensiver Auseinandersetzung mit Texten – und der Dozent wundert sich am Ende darüber, weshalb sich die guten Studenten ausklinken. In der Folge findet kaum noch echte Lehre statt. Stattdessen gestalten Studenten füreinander gegenseitig die Seminarsitzungen. Ob dabei wirkliches Wissen vermittelt wird, scheint keine Rolle zu spielen. Hauptsache, jeder hat seine Prüfungsvorleistung erbracht, die ihn dazu berechtigt, eine Hausarbeit abzugeben. Mails an Dozenten, in denen ich Kritik an diesem Vorgehen übte, erzielten jedenfalls in der Regel keinerlei Überdenken.
Aber auch wenn es in den Geistes- und Sozialwissenschaften weniger um objektive Wahrheiten, denn um verschiedene Ansichten geht, bedarf es einer gewissen Gabe kritischen und selbstständigen Denkens, um gewisse Aspekte angemessen beleuchten zu können, aber statt selbstständige Gedanken zum Gehörten zu notieren, warten die heutigen Studenten zumeist nur noch auf die Einlassungen des Dozenten, die sie letztlich aufschreiben und auswendig lernen. Und sollte doch einmal ein Kommilitone ein paar kontroverse Gedanken in den Raum werfen, wird er nicht selten schief angeschaut.
Ohnehin sind kontroverse Themen selbst in der Politikwissenschaft nicht unbedingt populär. Natürlich sind politikwissenschaftliche Seminare auch nicht der Platz, um 90 Minuten über die aktuellen Nachrichten von heute zu diskutieren. Dennoch kommt es selbstverständlich vor, dass sich gewisse Themenbereiche auch auf die Tagespolitik anwenden und vor diesem Hintergrund diskutieren lassen. An dieser Stelle schreitet jedoch die Political Correctness ein, die wohl nirgends in der Gesellschaft so auf die Spitze getrieben wurde, wie im akademischen Elfenbeinturm. Themen wie Asylpolitik, Migration und radikaler Islam – Themen also, die die kommende Zukunft dieser Gesellschaft massiv beeinflussen – tauchen allein deshalb so gut wie nicht auf, weil es an der Uni so etwas wie eine stillschweigende Übereinkunft gibt, dass die einseitige „linke“ positive Konnotation, die gemeinhin auf diesen Themen lastet, die einzig Richtige ist. Beispiele belegen das.
So hatte ich im Zuge eines Politikseminares vor dem Hintergrund der Civic Culture-Studie aus den 1960er Jahren über die Stabilität von Demokratien einmal den zaghaften Versuch unternommen, das Thema unter dem Gesichtspunkt der heutigen Migrationsströme zu beleuchten, indem ich die Frage in den Raum warf, ob Migrationsströme aus mehrheitlich autokratischen, antidemokratischen Gesellschaften mit archaisch-patriarchalischen Kulturen nicht langfristig auch Einfluss auf die Werte und damit Stabilität der Demokratien in den westlichen Einwanderungsgesellschaften haben könnte. Während ich von der großen Mehrheit konformes Schweigen erntete, versuchte die Dozentin meine Aussagen permanent zu relativieren.
Eine aufkommende Panik, die ich in der Vergangenheit schon mehrmals beobachtete, wenn jemand einmal eine Frage stellte, die aus dem gewohnten Rahmen fiel. Eine andere Kommilitonin reagierte gleich entsetzt. Das, was ich sage, sei nämlich ohnehin zu „ethno“ gedacht, könne man doch nach heutigem Stand der Forschung eigentlich gar nicht mehr von „den Kulturen“ sprechen. Dabei zeigt die Aussage meiner Kommilitonin eindrucksvoll, wohin die Reise der Geistes- und Sozialwissenschaften in den letzten Jahrzehnten auch dank einer „linken“ Übermacht in der Lehre gegangen ist. Es geht um Begriffe. Um politisch korrekte Beschreibungen. Argumentationen, die diesen Ansprüchen nicht gerecht werden, werden schon vor der eigentlichen inhaltlichen Auseinandersetzung aussortiert. Wichtig ist nicht in erster Linie, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. An sich selbst werden dabei jedoch nicht die gleichen Maßstäbe angelegt.
Zugleich findet durch das Pochen auf den politisch korrekten Terminus nicht nur eine Vorab-Disqualifizierung bestimmter Themen statt, die sich wie Migration und radikaler Islam nie in Gänze politisch korrekt diskutieren lassen, sondern zugleich auch eine Vorab-Ausgrenzung bestimmter Personenkreise, die gar nicht erst zur Diskussion zugelassen werden. Namentlich hier zuvorderst Nicht-Akademiker und hierbei vor allem Nicht-Geistes- und Sozialwissenschaftler, die sich den Duktus des „linken“ Elfenbeinturms der weltlichen Entfremdung nicht zu Eigen gemacht haben. Dementsprechend sind auch erst einmal alle „dumm“, die sich nicht der angemessenen, politisch korrekten Sprache und Auffassungen bedienen.
Gute Antworten auf jene Verwerfungen unserer Zeit sind von diesen Menschen, die mit der Wahl ihres Studienfaches eigentlich einmal dazu angetreten sind, die politischen Ereignisse unserer Zeit zu analysieren und adäquat einzuordnen, jedenfalls nicht zu erwarten. Sie sind lediglich Spiegelbild dessen, was ihre Vorgänger an den Universitäten, die heute in den Redaktionen dieses Landes sitzen oder als politische Berater fungieren, seit nun fast zwei Jahren Mantra-mäßig immer und immer wiederkäuen. Die Wahrheit ist, dass sie sich nicht in der Lage zeigen, zu erkennen, was die Menschen eigentlich umtreibt oder dass die Antwort doch deutlich komplexer ausfällt, als sie sich vorstellen können. Dass man zwar gelernt hat, die Existenz von Kulturen anzuzweifeln, weil man das ja eigentlich viel differenzierter betrachten müsste, weil Menschen nun einmal auch innerhalb vermeintlicher kultureller Räume ganz unterschiedlich seien, der gemeine „Rechtspopulist“ aber offensichtlich der eigenen Ansicht nach immer gleich funktioniert. Während das Fremde bis zur Unkenntlichkeit ausdifferenziert wird, wird das Nahe in unterkomplexer Manier zusammengefasst und abgeurteilt.
Auch dahinter steckt nicht selten das eigene Unvermögen zum kritischen Denken und Hinterfragen außerhalb vorgefertigter Denkstrukturen. Etwas, was eigentlich konstitutiv für den angehenden Geistes- und Sozialwissenschaftler ist. Längst hemmt auch hier der Anspruch an die Political Correctness die eigentliche wissenschaftliche Auseinandersetzung, die Fähigkeit, Dinge auch einmal anders zu denken. Absurde Seminarsitzungen sind die Folge, in denen beispielsweise Kritik an einem Textausschnitt des Buches „Black Earth“ des amerikanischen Historikers Timothy Snyder geübt wird, weil Snyder ihn nicht mit einer persönlichen Distanzierung zu den Aussagen Hitlers versehen hat. Als ginge es in einem wissenschaftlichen Text zur Darstellung Hitlers’ Weltanschauung darum, noch einmal extra zu erwähnen, dass das natürlich alles böse und schwachsinnig ist, was Hitler da so von sich gegeben hat. Nein, der logische Gedanke, dass die Meinung Hitlers vermutlich nicht die Meinung des Autors ist, reicht allein nicht aus. Es braucht eine Stellungnahme, eine offizielle Distanzierung, und dieser wird sogar mehr Wichtigkeit beimessen, als der eigentlichen Darstellung und dem Informationsgehalt.
Nun, warum ist das so?
Die Kritik beziehe sich darauf, dass man ansonsten nicht zwischen Autorenmeinung und Meinung von A.H. unterscheiden könne. Die Wahrheit ist: Selbst der dümmste, durch die Bildungsinflation an die Universität geschwemmte Student könnte das. Es geht schlicht um die Vorstellung, dass es andere Personen, außerhalb der akademischen Sphäre, nicht könnten. Dahinter verborgen erneut das mit der eigenen Hybris eng verbundene Misstrauen gegenüber der Denkfähigkeit anderer Mitmenschen außerhalb der Universität. Es ist die Vorstellung, dass jede noch so große Selbstverständlichkeit in der eigenen Ansicht nach richtigen Weise kommentiert gehört, damit auch ja niemand etwas missverstehen könnte. Die eigene Unfähigkeit zum selbstständigen Denken, die als solche jedoch nicht wahrgenommen wird, wird auf die eigenen Mitmenschen übertragen. Die Entmündigung des Bürgers, der unbedingte Drang zur Erziehung, wie man ihn letztlich auch und vor allem in der deutschen Medienlandschaft erlebt, findet hier seinen akademischen Ursprung. Der Nachschub für die Redaktionen landauf, landab steht also bereits in den Startlöchern. Die früheren Absolventen sind jene, die uns aktuell erklären, warum wir den „Rechtspopulisten“ anheimfallen und weshalb Flüchtlinge per se bereichernd sind. Fragt sich letztlich nur noch, was zuerst da war: Der Erziehungsjournalismus oder das Bedürfnis nach Erziehung.