Tichys Einblick
Nicht mehr „links“ gegen „rechts“

Die unbegrenzte Einwanderung zerreißt Europa

Illegale Einwanderer sind das dominierende Problem unserer Zeit. Im Streit darüber entsteht gerade eine neue politische Landkarte. Der traditionelle Links-Rechts-Gegensatz spielt kaum noch eine Rolle. Die neuen Lager definieren sich über ihre jeweilige Haltung zur Asyl- und Zuwanderungspolitik.

Migranten am Dienstag, 22. September 2015, am österreichisch-deutschen Grenzübergang Freilassing auf der Saalachbrücke

picture alliance / B. Gindl / APA / picturedesk.com

„Wenn Joe Biden die Wahl verliert, dann wird es neben dem persönlichen Grund seiner Senilität nur einen inhaltlichen Grund dafür geben: die Einwanderung.“ Das sagt der prominenteste konservative Kommentator des US-Fernsehens, Bill Maher. Und selbst linke Publizisten stimmen ihm da zu.

Normalerweise schwappen ja fast alle politischen Entwicklungen irgendwann über den Großen Teich nach Europa. Mit unterschiedlich vielen Jahren Verspätung hat der sogenannte alte Kontinent dann immer denselben Zirkus wie das Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten.

Bei der Zuwanderung haben wir den Spieß ausnahmsweise einmal umgedreht.

Natürlich ist der Massenzustrom von illegalen Einwanderern auch in den USA schon seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema. Aber bis vor relativ kurzer Zeit war das Problem für die meisten Amerikaner trotzdem noch nicht so dominant, dass es Wahlen entscheiden konnte. Donald Trump war vor acht Jahren der Erste, der mit der massiv beworbenen Idee, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zu bauen, die Frage ernsthaft (und erfolgreich) in den Mittelpunkt eines Wahlkampfes rückte.

Doch diesmal war Europa früher dran. Im Jahr 2011 begann der Bürgerkrieg in Syrien. Zeitgleich verschlechterte sich kontinuierlich die Lage im von US-geführten Alliierten teilweise besetzten Afghanistan. Beides führte bekanntlich zu einem starken Anstieg der (auch vorher schon sehr hohen) Flüchtlingszahlen in die EU.

Das Problem explodierte dann förmlich im Jahr 2015. Statt die Außengrenzen gegen den Druck zu stärken und zu sichern, entschied sich Angela Merkel dazu, Deutschland als eine Art Überlaufbecken für den wahnwitzigen Flüchtlingsstrom anzubieten. Seitdem kommen so viele Fremde ins Land wie niemals vorher in so kurzer Zeit.

Das hat gravierende und bis dahin ungekannte Folgen – in Deutschland und in ganz Europa.

Zuwanderung verändert die Gesellschaft

Die Infrastruktur ist mit dem sprunghaften Anstieg an zu Versorgenden völlig überfordert – und zwar selbst im wohlhabenden Deutschland. Weder gibt es genügend Wohnraum, noch reichen die Kapazitäten des allgemeinen Gesundheitswesens, noch kann die Verwaltung Schritt halten. Die Sicherheitsarchitektur ist dramatisch unterdimensioniert, denn natürlich bedeuten ein paar Millionen Menschen mehr immer auch einige Kriminelle mehr – erst recht, wenn (wie die offiziellen Polizeistatistiken deutlich zeigen) die Verbrechensrate unter den Zugewanderten deutlich höher ist als in der angestammten Bevölkerung.

Gesellschaftlich enorm erschwerend kommt hinzu, dass die allermeisten Flüchtlinge aus einem Kulturkreis kommen, der sich vom europäischen so stark unterscheidet wie kaum ein anderer. Die Gepflogenheiten der islamischen Welt sind mit dem Abendland und seinen christlich-jüdischen Wurzeln, gelinde gesagt, nur sehr schwer vereinbar: die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft, die Trennung von Politik und Religion, Disziplin und Rücksichtnahme im öffentlichen Raum … Die Liste lässt sich nahezu endlos fortsetzen.

Für ein gedeihliches Zusammenleben muss eine Seite zwingend erhebliche Abstriche an den eigenen Ritualen und Einstellungen machen. Normalerweise ist es der Gast in der Fremde, der sich anpasst und unterordnet. Europa erlebt nun zunehmend, dass immer mehr zugewanderte Muslime (anders als fast alle anderen Einwanderer) dazu manchmal wenig, manchmal auch gar nicht bereit sind. Die dadurch unweigerlich entstehenden Konflikte werden von der Mehrheitsgesellschaft durch ein völlig fehlgeleitetes Konzept von Toleranz zusätzlich immer nur noch weiter angefacht – jedenfalls in Westeuropa, in Osteuropa bisher nicht so sehr.

Aber die massivste Veränderung, die ganz Europa durch die Massenzuwanderung durchlebt, ist nicht die ökonomische und auch nicht die gesellschaftliche – sondern die politische.

„Links“ und „rechts“ sind passé

Knapp zwei Jahrhunderte hinweg wurden die Staaten in Europa von der Konkurrenz zwischen der sogenannten „Linken“ und der sogenannten „Rechten“ beherrscht: Reformer und/oder Revolutionäre gegen Konservative. Liberale, auch wenn sie es nicht gerne hören, spielten in diesem Duell – wenn überhaupt – immer nur eine arithmetische Rolle: als parlamentarische Mehrheitsbeschaffer. Geistesgeschichtlich waren die Liberalen stets entbehrlich und sind es bis heute.

Der Zweikampf „links gegen rechts“ bildete sich überall in Europa (und auch in den USA) im Wettbewerb von zwei großen Lagern ab. Sie unterschieden sich in den wichtigen Fragen: dem Menschenbild, dem Staatsverständnis, der bevorzugten ökonomischen Schule, der Haltung zum Krieg.

An dieses Gegensatzpaar „links/rechts“ haben wir uns so gewöhnt, dass es sich in die kollektive politische Wahrnehmung geradezu eingebrannt hat. Instinktiv ordnen wir deshalb Parteien einem dieser beiden Lager zu. Die „Linkspartei“ hat das messerscharf erkannt und diese Zuordnung der Einfachheit halber gleich zum Parteinamen gemacht. Etwas unentschlossene Gruppierungen werden als „Mitte-links“ oder „Mitte-rechts“ definiert. Das hält sich bis heute in allen Nachrichtensendungen, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat.

Allerdings ist diese polit-geografische Verortung inzwischen völlig von jedwedem Inhalt befreit. Diffus werden einfach irgendwelche Überzeugungen vorausgesetzt. Die Grünen, die immer mehr Waffen für die Ukraine fordern, gelten trotzdem weiterhin als irgendwie „links“. Die AfD, die für ein Ende des Krieges eintritt, ist natürlich irgendwie „rechts“. Die SPD, in der Antisemiten problemlos Anschluss finden, ist angeblich „links“. Die CDU, die klar auf der Seite Israels steht, ist angeblich „rechts“.

Die einst tatsächlich vorhandenen weltanschaulichen Unterschiede lassen sich nicht mehr an den überkommenen Lagergrenzen festmachen: Individualismus gegen Kollektivismus, Marktwirtschaft gegen Staatswirtschaft, Pazifismus gegen Wehrhaftigkeit – all dies lässt sich nicht mehr einem „linken“ oder einem „rechten“ Lager zuordnen. Trotzdem sehen wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa immer tiefere Risse in der Gesellschaft. Es muss also eine Lagerbildung geben. Nur verläuft sie eben nicht mehr entlang der früheren ideologischen Unterschiede, sondern quer zu ihnen. Der politische Konflikt heißt nicht mehr „links gegen rechts“.

Die politische Landschaft ist in zwei neue, andere Lager geteilt: für mehr Zuwanderung – oder dagegen

Auf der Suche nach Belegen für diese Sichtweise ist Deutschland ein guter Ausgangspunkt. Da ist zum einen das große informelle Bündnis derer, die mehr Zuwanderung wollen: allen voran natürlich die Grünen und weite Teile der SPD – aber auch die Wüsts und die Günters und die Laschets in der CDU, die „Linkspartei“ und die FDP. Es ist eine große Pro-Einwanderungs-Koalition von links bis rechts.

Dagegen steht nur die „rechte“ AfD – bisher. Doch jetzt bekommt das Lager der Zuwanderungsgegner Zuwachs von der Ein-Frau-Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Das BSW vertritt in weiten Teilen eine klassisch linke Programmatik – folgerichtig zieht die neue Partei auch ordentlich Wählerstimmen von der „Linkspartei“ ab. Aber Wagenknecht äußert sich auch dezidiert kritisch gegenüber der Massenzuwanderung. Das ist nun keine klassisch „linke“ Position, im Gegenteil. Und so kann es nicht verwundern, dass das BSW auf dem Wählerstimmenmarkt allmählich auch zu einer ernsten Konkurrenz für die AfD wird.

„Mehr Zuwanderung“ gegen „weniger Zuwanderung“

Anderswo in Europa lässt sich dieselbe tektonische Verschiebung feststellen: Die Bruchlinien verlaufen nicht mehr zwischen „links“ und „rechts“, sondern zwischen „mehr Zuwanderung“ und „weniger Zuwanderung“.

Bestes Beispiel sind Dänemarks Sozialdemokraten. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen verfolgt eine konsequente Politik der Eindämmung von Zuwanderung: Schon 2019 wurde ein Gesetz mit dem vielsagenden Namen „Paradigmenwechsel“ verabschiedet. Dessen erklärtes Ziel ist es, die Einwanderung nach Dänemark zu erschweren und Flüchtlinge, die bereits im Land sind, möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückzubringen.

Dänemarks Sozialdemokraten verfolgen damit beim Thema Zuwanderung eine Politik, die die SPD-nahe deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) empört als „autoritär, restriktiv und in Teilen menschenfeindlich“ bezeichnet. Allerdings gibt es außerhalb der FES keinen ernstzunehmenden politischen Beobachter, der daran zweifeln würde, dass Mette Frederiksen ohne diese Haltung in der Zuwanderungs- und Asylpolitik als Regierungschefin längst abgewählt worden wäre.

Auch in Frankreich ist es die Einwanderung, die das Land spaltet. Der offen antisemitische Linksextremist Jean-Luc Mélenchon und die rechte Galionsfigur Marine Le Pen teilen eine gewisse Nähe zu Russland, ein etatistisches Wirtschaftsverständnis und die EU-Skepsis. Was sie unterscheidet: Mélenchon hat angekündigt, zahllosen illegalen Einwanderern ordentliche Papiere zu geben. Le Pen dagegen will sie in ihre Heimatländer zurückschicken.

In Spanien wird die sozialistische Zentralregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez wegen ihrer aufreizenden Laissez-faire-Politik gegenüber zehntausenden illegalen Einwanderern auch von den eigenen Parteifreunden in den besonders betroffenen Regionen (vor allem auf den Kanarischen Inseln) kritisiert – heftiger als von der angeblich bürgerlichen Oppositionspartei PP. Auch auf der iberischen Halbinsel gibt es nur eine Partei, die ausdrücklich gegen mehr Zuwanderung ist: die rechte VOX. Die vertritt aber, etwa in Wirtschaftsfragen, teilweise ganz ähnliche Positionen wie die Sozialisten.

Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer von der Labour-Partei hat sich den Zuwanderungs-Riss, den es auch auf der Insel gibt, auf sehr eigene Weise zunutze gemacht: Im Wahlkampf hatte er die Regierung seines konservativen Vorgängers Richi Sunak immer wieder dafür kritisiert, dass das Vereinigte Königreich trotz Austritt aus der EU mit einer Rekordzahl von illegalen Einwanderern zu kämpfen hat. Jetzt, frisch gewählt, stoppt er die einzige konkrete Maßnahme, die Sunak gegen den Flüchtlingsstrom überhaupt zustande gebracht hatte: das Abkommen mit Ruanda. Nun gibt es in Großbritannien mit Nigel Farages „Reform UK“ nur noch eine dezidiert zuwanderungskritische Partei.

Man kann in Westeuropa quer über die Landkarte wandern – überall wird man feststellen: Der große gesellschaftliche Graben verläuft entlang des Themas Zuwanderung.

Osteuropa: ähnlich und doch anders

In Osteuropa ist das übrigens ähnlich – nur sind dort die Mehrheitsverhältnisse tendenziell umgekehrt.

In Polen und Ungarn, im Baltikum und auf dem Balkan gibt es weit überwiegend eine klare Bevölkerungsmehrheit, die gegen mehr Zuwanderung ist, gegen großzügigere Asylregeln, für rasche und massenhafte Abschiebungen von illegalen Flüchtlingen und für einen deutlich stärkeren Assimilierungsdruck auf Zuwanderer, vor allem auf Muslime.

Daran haben auch der Wahlsieg des EU-Freundes Donald Tusk in Polen und die aufkommende Opposition gegen Viktor Orbán in Ungarn nichts geändert. Wenn vor allem das deutsche Pro-Asyl-Lager die Zeichen der Zeit so deutet, dass es in Polen und Ungarn bald eine offenere Flüchtlingspolitik geben wird, dann sagt das mehr über die Wünsche der zuwanderungsbesoffenen Deutschen aus als über die Wirklichkeit der Menschen in Polen und Ungarn.

So ist denn Europa gleich mehrfach gespalten: Ein Riss verläuft zwischen dem Westen und dem Osten des Kontinents. Und in jedem einzelnen Land trennt jeweils ein großer Graben die Befürworter und die Gegner von mehr Zuwanderern.

Einwanderungsprobleme sind weder links noch rechts

Wohl niemand außerhalb der Klima-Sekte wird ernsthaft bestreiten wollen, dass die Massenzuwanderung das dominierende politische Phänomen unserer Zeit ist. Die großen ideologischen Kämpfe unserer Zeit werden nicht mehr entlang der überkommenen Gefechtslinien „links“ und „rechts“ ausgetragen, sondern mit Blick auf dieses Phänomen.

Und darauf gibt es eben keine klassisch linken oder klassisch rechten Antworten. Man kann von ihr halten, was immer man will: Aber Sahra Wagenknecht hat wohl als einzige Linke verstanden, dass es vor allem die unteren und untersten Gesellschaftsschichten sind, die unter der zügellosen Zuwanderung am stärksten leiden.

Auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt, bei Arztterminen, in den Kindergärten und Schulen, auf den Spielplätzen: Überall sind es vor allem diese Schichten (und ihre Kinder), die mit Migranten um Ressourcen konkurrieren. Doch die angeblich linken Parteien haben diese Schichten als Wähler längst abgeschrieben und vertreten deren Interessen nicht mehr. Das war bisher eine echte Marktlücke für die AfD. Wagenknecht schickt sich an, jetzt im selben Teich zu fischen.

Doch am Ende wird es egal sein, wie viele Wähler das BSW der AfD abnimmt. Am Ende wird es darauf ankommen, wie groß insgesamt das Lager derer ist, die sich gegen noch mehr Zuwanderung stemmen. Das gilt für Deutschland, und das gilt für Europa. Denn ohne jeden Alarmismus: Noch mehr Zuwanderung wird am Ende Deutschland genauso zerreißen wie Europa.

Und über die USA haben wir da ja noch gar nicht geredet.


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