Für Ex-Kanzler Gerhard Schröder war/ist (?) Russlands Präsident Putin ein „lupenreiner Demokrat“. Bereits drei Wochen nach seinem Ausscheiden als Kanzler im Herbst 2005 wurde er Lobbyist für Putins Öl- und Gasgeschäfte. All das hatte eine ideologische Vorgeschichte. Denn Schröder und Co. hatten ab ihren Göttinger Juso-Jahren mit Nähe zum „Stamokap“-Flügel eher mit Moskau als mit Washington geliebäugelt. Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Deutschlands hatte Schröder 1987 als „Lebenslüge“ bezeichnet, was Schröder nicht daran gehindert hatte, elfmal die DDR zu besuchen. Überhaupt reiste er gerne zu Autokraten, zum Beispiel nach Cuba. Gegen den Nato-Doppelbeschluss hat er um die Jahre 1980 gewettert, und noch 2021 forderte er in einem Buch die Auflösung der Nato.
Wohin Schröder tendiert, konnte man früh wissen. Ab 1978 war er regelmäßig in Moskau, seine erste Auslandsreise als niedersächsischer Ministerpräsident führte ihn 1991 nach Moskau. Während seiner siebenjährigen Kanzlerschaft 1998 bis 2005 gab es mehr als vierzig, oft auch sehr private Treffen mit Putin, womit dessen „Operation Schröder“ sehr konkrete Formen annahm.
Aber Schröder war nicht Solist. Sehr wohl als dessen Alphatier schuf er ein schier männerbündisches Netzwerk. Die Namen dieses Netzwerkes lesen sich wie ein „Who ist Who“ der SPD, vor allem der Niedersachsen-SPD, der „Erzdiözese“ der SPD und deren Vorfeldorganisationen: die Namen Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Stephan Weil, SPD-Strippenzieher Heino Wiese, dazu die Namen Brigitte Zypries, Erwin Sellering, Henning Voscherau, Ex-SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sei „unsinnig“), Manuela Schwesig (mit ihrer umstrittenen Umweltstiftung zum Fertigbau der Nord-Stream-2-Pipeline), AWD-Gründer und Schröder-Buch-Sponsor Carsten Maschmeyer, Bauunternehmer wie Günter Papenburg, Ex-Stasi-Majore wie Matthias Warnig, EnBw-Chef Utz Claasen, VW-Vorstand Peter Hartz, Preussag-Chef Michael Frenzel, Fleischwerk-Magnat Clemens Tönnies (bis 2020 Chef von Schalke 04 mit dessen Hauptsponsor Gazprom von 2005 bis 2022). „Frogs“ hießen bzw. heißen sie: „Friends of Gerhard Schröder“. Dazu kamen russlandfreundliche Plattformen wie das Deutsch-Russische Forum oder der Petersburger Dialog.
Von den Folgen dieser Connections und der stetig anschwellenden Aggressivität Russlands wollte man dort nicht wissen; heute deckt man es mit Schweigen zu. Man wollte Putin nicht durchschauen. Aber er war und ist Geheimdienstler geblieben – mit allen Wassern psychologischer Tricks gewaschen. Man hätte Putin besser kennen können. Etwa Putins St.-Petersburger Doktorarbeit von 1997, sie mag ein Plagiat gewesen sein, aber der Titel ist bezeichnend: „Strategische Planung bei der Nutzung der Rohstoffbasis einer Region in Zeiten der Entstehung von Marktmechanismen“. Was 1999 im 2. Tschetschenien-Krieg und 2008 in Georgien geschah, hat man verdrängt. Falsch verstanden hat man Putins Bundestagsrede vom 25. September 2001, als Putin seinen Plan, den Westen spalten zu wollen, andeutete. Nicht ernstgenommen hat man Putins Aussage von 2005, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sei, dass Putin weiter von einer „Russischen Welt“ und „Russischer Erde“ träumte und dass er diesen Traum mit der Annexion der Krim und von Teilen der Ostukraine 2014 umzusetzen begann.
Die Steinmeiers, Gabriels und Weils focht all dies wenigstens bis zum 24. Februar 2022 nicht an. Deshalb auch ein lautes Schweigen von dieser Seite. Ein Zweimal-Außenminister Steinmeier (2005 – 2009, 2013 – 2017) sprach im Zusammenhang mit Russlands Krieg in Georgien von „westlicher Scharfmacherei“ gegen Russland, in Bezug auf ein Nato-Manöver im Juni 2016, also nach Russlands Krim-Annexion, vom „Säbelrasseln“ und vom „Kriegsgeheul“ des Westens.
Allerdings suchten die Nähe zu Putin damals auch der Front National (Frankreich) und die Lega Nord (Italien). In Österreich taten sich – bis 2022 oft mit gut dotierten Posten bei russischen Firmen – die ÖVP (Ex-Kanzler Schüssel), SPÖ (die Ex-Kanzler Kern, Faymann und Gusenbauer) und die FPÖ hervor. Die damalige Außenministerin Kneissl (FPÖ) hatte bei ihrer Hochzeit im August 2018 Putin gar als Stargast dabei. Sie ist/war (?) wie Schröder immer noch bei Rosneft beschäftigt. Ein damaliger CDU-Vize Armin Laschet übrigens warnte inmitten der Krim-Annexion im März 2014 vor einem „Anti-Putin-Populismus“. Und Merkels Umgang mit Russland bedürfte eines eigenen Kapitels.
Alles in allem: Nicht wenige SPD-Spitzenpolitiker ließen sich zu Putins Schachfiguren machen. Details und mehr kann man nachlesen in einem Buch, das knapp ein Jahr alt ist und an Aktualität nichts verloren hat. Heute gesellen sich zu den „Schachfiguren“ so manche AfD- und Wagenknecht-Leute. Nachzulesen ist alles in: Reinhard Bingener, Markus Wehner – Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit.