Die meisten von uns werden sich schon oft gefragt haben, wie man es vermeiden kann, Wörter zu benutzen, die eigentlich anstößig und böse sind, denn wir alle wollen ja auf der Seite der Guten stehen, nicht auf der Seite derjenigen, die am Tage des Gerichtes in die äußerste Finsternis verbannt werden, wo Heulen und Zähneklappern herrschen. Auch würden wir alle gern diejenigen unserer Mitmenschen, die bislang noch nicht erleuchtet sind, und die „falsche“ Gesinnung haben, auf den Pfad der Tugend führen, und ihnen helfen, mit guten und moralisch einwandfreien Vorsätzen ins neue Jahr zu starten. Das ist leichter als man denken sollte, denn ein einziges Buch kann wahrhaft Leben verändern und bietet sich daher, wenn nicht als Weihnachtsgeschenk, so als Neujahrsgabe an.
Denn bislang musste man sich die einschlägigen Hinweise und Anweisungen im Kampf gegen Rassismus mühsam zusammensuchen.
Das ist jetzt vorbei, und zwar eigentlich schon seit zwei Jahren, denn 2022 hat die bekannte Bayreuther Literaturwissenschaftlerin und Anglistin Susan Arndt, in der man vielleicht eine geistige Verwandte der freilich nur fiktiven englischen Publizisten Titania McGrath vermuten kann, ein kurzes Manifest des Antirassismus vorgelegt, das fast alles bietet, was man wissen muss, um kein Rassist zu sein (Susan Arndt, Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen, Berlin, Dudenverlag 2022). Den Kern dieses imposanten Werkes aus einem renommierten, sehr qualitätsbewussten Verlag bietet ein Lexikon verbotener Wörter und Begriffe, die so stark durch Rassismus oder eine kolonialistische Gesinnung geprägt sind, dass man sie für immer aus dem Wortschatz verbannen sollte.
Im Lexikon findet man natürlich das N-Wort, und ja dieser Ausdruck ist klar abwertend, und war jedenfalls in der Vergangenheit oft wirklich Ausdruck einer rassistischen Gesinnung. Ähnliches kann man mit gewissen Abstrichen u. U. auch von ethnischen Bezeichnungen wie „Buschmann“ oder „Hottentotten“ sagen, aber schon bei dem Ausdruck „Mohr“ liegen die Dinge nicht so klar, denn immerhin gibt es bis heute in Afrika ein Land, das sich selbst als Staat der Mauren, also eigentlich der Mohren (es handelt sich genau genommen um dasselbe Wort) bezeichnet, nämlich Mauretanien. Abwertend ist dieser Begriff in diesem Kontext sicherlich nicht gemeint. Aber das muss Frau Arndt nicht stören, sie verlangt natürlich, dass jede Spur dieses Wortes auf immer getilgt wird, auch wenn es sich um Straßennamen oder Apotheken kandelt. Wir wollen ja keine halben Sachen machen und in einer ganz und gar reinen Welt leben.
Es kommt aber noch besser, denn auf dem Index landet auch die Bezeichnung „Amerika“ für jenen Kontinent, den man früher – noch schlimmer – als die „Neue Welt“ bezeichnete. Weil „Amerika“ eine Fremdzuschreibung der Kolonisatoren ist, muss dieser Name eliminiert werden. Seltsamerweise verwendet Arndt den Begriff „Amerikas“ im Plural aber dennoch, ohne das irgendwie schlüssig zu begründen. Der verbotene Begriff wird hingegen im Text typographisch durchgestrichen, um zu signalisieren, wie toxisch er ist. Offenbar ist die Autorin der Ansicht, dass der bloße Anblick der falschen Buchstabenzusammenstellung auf der Seite eines Buches eine schädliche Wirkung entfalten kann, so wie die Begegnung mit einem Menschen, der den bösen Blick hat. Dagegen muss man sich durch apotropäische Maßnahmen wehren, eben durch das Durchstreichen des gefährlichen Wortes.
Ähnlichen Zwecken dient die Aufnahme kleiner Blitzsymbole (sic!) in den Text, die als Trigger-Warnung dienen sollen, wenn der Leser z. B. mit einem besonders schlimmen Zitat aus längst vergangenen rassistischen Welten konfrontiert wird. Offensichtlich haben wir es hier mit Manifestationen eines geradezu magischen Weltbildes zu tun, das sich in Ansätzen und weniger radikal ausgeprägt im Lager der „Wokerati“ heute häufiger findet und auch bei vielen Anhängern der Gender-Sprache – die Arndt natürlich auch verwendet – zu diagnostizieren ist.
Es ist hier nicht genug Raum, um jedes Wort aufzuführen, das Arndt auf den Index setzen möchte, aber auch scheinbar harmlose Begriffe wie „Tropenmedizin“ (wohl deshalb, weil dadurch bestimmte Regionen der Welt exotisiert werden) gehören dazu, ganz genauso wie „Volk“, „Abendland“ und „Orient“ sowie „Naturvolk“ oder das Wort „Hautfarbe“, das für Arndt als inhärent rassistisch gilt, weil es Menschen nach diesem Kriterium unterscheidet und einordnet. Das Wort wird deshalb in ihrem Text auch säuberlich durchgestrichen. Seltsamerweise spricht sie dennoch von „BIPoC“ (Black, Indigenous, [and] People of Color) als Gruppe, obwohl doch Black und Color irgendwie auch für Hautfarben stehen, sollte man als naiver Leser meinen.
Aber vermutlich ist man als normaler Sterblicher auch einfach nicht erleuchtet genug, um die Weisheit dieser sprachpolitischen Entscheidungen zu begreifen. Ebenso werden einem die Gründe verborgen bleiben, die die Autorin bewogen haben, nicht in der von ihr sonst gebrauchten Gendersprache von „Jüd*innen“ zu sprechen, sondern von „Jüdinnen*Juden“ (so wörtlich), obwohl sie diese Entscheidung in einem eigenen Artikel dezidiert begründet, wenn auch in einer Weise, die wohl nur dem ideologisch Gleichgesinnten wirklich nachvollziehbar ist. Aber gerade solche Wortprägungen zeigen, wo man landet, wenn man einmal damit beginnt, sich auf politische Kunstsprachen wie die Gendersprache einzulassen, dann gibt es wirklich kein Halten mehr, und man braucht immer weitere sprachliche Verrenkungen, um jede mögliche sprachliche Mikroaggression zu vermeiden. Es wird nie genug sein, bis die herkömmliche Sprache völlig zerstört ist.
Arndts „Rassistisches Erbe“ bietet tiefe Einblicke in den Zustand der deutschen Universitäten und ist daher hochaktuell
Nun wird leider nicht jeder Leser von Tichys Einblick das Bedürfnis haben, sich ein Buch zu kaufen, durch dessen Lektüre er endlich ein besserer Mensch werden kann, oder mit dessen Hilfe, wenn er es verschenkt, er anderen helfen kann, bessere Menschen zu werden. Das ist zwar zu bedauern, aber wohl doch eine Tatsache. Vielleicht wird ihn eher der Zustand der deutschen Universitäten und dort besonders der Geisteswissenschaften interessieren. Unter diesem Gesichtspunkt ist diese kleine Fibel des Antirassismus freilich auch durchaus interessant und bietet eine geradezu faszinierende Lektüre und tiefe Einsichten von bleibendem Wert. Das Buch ist jedenfalls weit mehr als eine bloße Kuriosität, es ist ein relevantes Zeitdokument, weil es, wenn auch in extremer Form, eine im akademischen Milieu verbreitete Haltung dokumentiert.
Man fragt sich, wie kann es sein, dass die Professorin einer durchaus renommierten, wenn auch eher kleinen deutschen Universität, die als ein wesentliches Zentrum der deutschen Afrikaforschung gilt, so vehement für einen radikalen, ideologisch überfrachteten Moralismus plädiert, der im Grunde genommen jedes ernsthafte Bemühen um Erkenntnis zunichte machen muss. Wenn ich nicht mehr von „Sklavenhandel“ sprechen kann, ja nicht mal mehr von „Dreieckshandel“ (damit ist der frühneuzeitliche Handel zwischen Europa, Afrika und der Karibik gemeint, bei dem Sklaven faktisch eine wichtige Ware darstellten, so düster dieses Kapitel der Wirtschaftsgeschichte auch sein mag), sondern statt dessen ein afrikanisches Wort („Maafa“ = Katastrophe, afrikanischer Holocaust) verwenden soll, das freilich eine ganze andere Bedeutung hat, wie hier vorgeschlagen wird, dann fragt sich schon, ob es überhaupt noch Raum für rationales Denken gibt, denn diesem Denken fehlen dann ja schon die notwendigen Begriffe, so dass man über bestimmte Sachverhalte gar nicht mehr sprechen kann.
Ähnliches gilt dann für die ernsthaft in der Einleitung vertretene These, bereits die Kreuzzüge, die ja der Rückeroberung einstmals christlicher Stätten dienten und keineswegs wie spätere imperiale Eroberungen aus einer Position der Überlegenheit des „Westens“, der Christenheit unternommen wurden, stellten den Anfang der verwerflichen kolonialen Expansion Europas dar; eine Ausweitung des Begriffs Kolonialismus, die diesem jeden heuristischen Wert nimmt, weil er viel zu vage wird, wenn man ihn so sorglos und in rein denunziatorischer Weise benutzt. Aber die Denunziation ist ja generell der Hauptzweck dieser Art von „Wissenschaft“.
Der Westen und Europa sitzen permanent auf der Anklagebank, während im Rest der Welt unter den „BIPoCs“ von jeher Edelmut und Friedfertigkeit geherrscht haben. Auf seltsame Weise kehrt hier das idealisierte Bild vom edlen „Wilden“ als Gegenentwurf zum moralisch korrupten Westen zurück, das Arndt doch eigentlich selbst verwirft, so wie natürlich auch der Ausdruck „Wilde“ in ihrem Wörterbuch als streng verboten aufgelistet wird. Aber im Kern übernimmt sie eigentlich das Weltbild des Kolonialismus des 19. Jahrhunderts, nur mit genau umgekehrten Vorzeichen und gegenteiligen Bewertungen.
Dieses Buch steht dabei leider – und deshalb sollte man sich mit ihm durchaus beschäftigen – für eine verbreitete Tendenz in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das Streben nach Erkenntnis wird durch puren Moralismus und politischen Aktivismus ersetzt, verbunden mit einer starken Oikophobie, einem ausgeprägten Selbsthass. Für das Vordringen solcher Strömungen bietet dieses Büchlein ein wichtiges Indiz, denn in Bayreuth gehört die Autorin immerhin zu den „Principal Investigators“, also den führenden Mitgliedern eines sogenannten „Clusters“, eines gigantischen wissenschaftlichen Großprojektes, das mit Millionen Euro gefördert wird. Ist dieses Geld wirklich gut angelegt?
Ist wirklich dafür gesorgt, dass an unseren Universitäten nach klaren Qualitätskriterien entschieden wird, welche Forschungsprojekte gefördert werden und welche nicht? Trägt man noch dafür Sorge, dass wissenschaftliche Thesen sich einer kritischen Diskussion stellen müssen, statt sich einfach nur dadurch zu legitimieren, dass sie vermeintlich einer guten politischen Sache dienen, auch wenn sich das dann mit quasi magischen Praktiken verbindet wie in der hier vorliegenden Publikation?
Hier sind sehr erhebliche Zweifel angebracht, denn wenn es am Ende im Sinne einer „social justice agenda“ nur noch die richtige Gesinnung ist, die bestimmt, was als gute Forschung zu gelten hat, dann kann man allzu viel an belastbarer Erkenntnis von den Universitäten nicht mehr erwarten, und es spricht vieles dafür, dass in bestimmten Fächern und an bestimmten Hochschulstandorten dieser Zustand bereits seit Jahren erreicht ist, und dass ohne einen radikalen Bruch mit den wissenschaftspolitischen Agenda der letzten 15 bis 20 Jahre auch keine Besserung zu erwarten ist.