Das Ansinnen, die Sprache umzuformen, um sie „diskriminierungsfrei“ oder, nach anderen Maßstäben, „gerecht“ zu machen, ist ein Element des Übergangs einer offenen zu einer geschlossenen, einer liberalen zu einer repressiven Gesellschaft. Ideologische Sprachkorrektur ist aus moralischer Niedertracht geborene poli- tische Heimtücke, die in ebenso diktatorischem wie totalitärem Geist ausgeübt wird – wie freundlich, verbindlich und besorgt ihre Vertreter sich auch immer geben. Zudem beruht dieses Unterfangen auf Begriffsverwirrung. Belegen wir diese Thesen nun schrittweise.
Stellen wir uns vor, alles Deutsch wäre durch-„gegendert“, durch-„antidiskriminiert“, durch-„diversifiziert“ und so fort – und nun läge vor uns das Dudel des neuen Deutsch; fortan kurz: das Dudel. (Das Werk kann nicht mehr „der Duden“ heißen, denn damit würde die Sprache einseitig männlich besetzt.) „Sie und Ihre Redaktion erarbeiten und verwalten also den Standard für Sprach-Gerechtigkeit?“, würde ich den Herausgeber fragen. „Ja, so kann man das sagen“, müsste er mir entgegnen.
Ob ein Ausdruck oder eine ganze Sprache „gerecht“ ist oder nicht, kann selbst nach frei gewählten Maßstäben der Gerechtigkeit hinterfragt werden. Dabei verwenden wir natürlich die Sprache, die wir mit den Dudel-Machern teilen – von der diese annehmen, sie sei „ungerecht“ und korrekturbedürftig. Dies ist nicht lediglich eine ihrer Thesen, es ist ihre fundamentale Prämisse – die Annahme, auf der all ihre Überlegungen und Aktivitäten für eine „gerechte“ Sprache beruhen.
Egal welchen Einwand ich nun gegen einen einzelnen „korrigierten“ Ausdruck oder gegen die Leitidee einer „gerechten“ Sprache vorbringe, die Antwort des Dudel-Teams wird im Kern immer dieselbe sein: „Sie benutzen eine diskriminierende, rassifizierende, diversitätsfeindliche Sprache. Deshalb ist Ihr Einwand nur ein weiterer Beleg des Problems, gegen das wir ankämpfen.“
Falsche Prämisse
Doch die Prämisse von der „ungerechten“ Sprache, an der alles hängt, ist falsch. Zunächst einmal wäre es in einer im Ganzen ungerechten Sprache logisch unmöglich, die Ungerechtigkeit dieser Sprache mit den Mitteln dieser Sprache festzustellen. Wie sollte diese Ungerechtigkeitsdiagnose nicht ihrerseits von der Ungerechtigkeit der ungerechten Sprache betroffen sein? Wenn alle Berliner lügen, so kann man auch dem Berliner, der einem dies er klärt, nicht über den Weg trauen. Der Schlaf der Semantik, so können wir Francisco de Goya abwandeln, gebiert Ungeheuer. Oder Lacher?
Gerechtigkeit ist zudem eine Eigenschaft von Sachverhalten und den Aussagen, die sie ausdrücken; auch ein Mensch kann als gerecht bezeichnet werden. Keineswegs aber ist Gerechtigkeit eine Eigenschaft des Zeichensystems, in dem unsere Aussagen formuliert werden. Zu behaupten, eine ganze Sprache sei ungerecht, ist logisch ungereimt, es beruht auf einer Verwechslung oder Vermengung der bedeutungsmäßigen Dimensionen „Sprache“ (als Zeichensystem) und „Ausdruck“ (als seine konkrete Anwendung).
Denselben Fehler würde jemand begehen, der das Tonsystem der abendländischen Musik oder die Farbpalette im Tuschkasten „hässlich“ nennt. „Hässlich“ oder „schön“ sind Eigenschaften, die nicht einem Tonsystem oder dem Tuschkasten zukommen, sondern dem einzelnen Werk, das mit den Mitteln dieses Tonsystems oder Tuschkastens kreiert wurde. Wer ein Tonsystem als „hässlich“ bezeichnet, hat die Begriffe „Tonsystem“ und „Stück“ nicht trennscharf verstanden; oder er hat sie verstanden und will unser Denken und Sprechen manipulieren.
„Nur ein paar Diskurse korrigieren“
„Nun gut, nicht die ganze Sprache ist ungerecht. Es gilt, einige ungerechte Diskurse in der etablierten Sprache zu korrigieren“ – so das unvermeidliche Zugeständnis der Sprachreformer. Auch diese Position ist jedoch unhaltbar.
Ein Diskurs ist die Summe dessen, was in einer Sprechergemeinschaft zu
einem bestimmten Thema gesagt wird. Nun kann es in einer Sprache entweder einen oder aber mehrere Diskurse geben, die jemand als „ungerecht“ bezeichnen möchte; im ersten Falle wäre das Projekt ideologischer Sprachkorrektur unnötig, und eine thematische PR-Offensive würde ausreichen.
Wir müssen also davon ausgehen, dass es dem Team Dudel im Plural um Diskurse geht, die „korrigiert“ werden sollen: Man muss schon die zentralen Probleme des Zusammenlebens sprachlich „in Ordnung bringen“, wenn eine neue Gesellschaft realisiert, etwa „das Patriarchat“ überwunden oder endgültig „Rassismus die rote Karte“ gezeigt werden soll.
Deshalb wird die Standardantwort der Sprachreformer auf alle Einwände wieder greifen. Wo das Sprechen über Frauen, Männer, Hautfarbe, Herkunft (geografisch wie sozial), Migration, Geschichtsschreibung, Philosophie, Sexualität und so weiter und so fort sich im Visier der ideologischen Sprachreform befindet, da ist es immer möglich, etwas zu monieren, was an „ungerechten“ Denk- und Redeweisen in einem Einwand aufscheint: „Sie sehen nicht, dass Ihre Formulierung Frauen diskriminiert, weil Ihre patriarchale Haltung in der Wortwahl der Nachrichtensendungen vorkommt“, „Sie betrachten das aus der typischen heteronormativen Brille, die Schwule und Lesben gar nicht mitdenkt…“, oder so ähnlich.
Wird die ganze Sprache oder eine Reihe ihrer bestimmenden Diskurse von vornherein für „ungerecht“ erklärt, so können wir im Versuch, dies zu bestreiten, mit unserem intuitiven Sprachgebrauch nur die behaupteten „Ungerechtigkeiten“ des Sprachsystems reproduzieren. Die Prämisse, die ganze Sprache oder wichtige ihrer Diskurse seien „ungerecht“, macht es – wenn man sie unbedachterweise akzeptiert – logisch unmöglich, legitime Einwände gegen das Programm der ideologischen Sprachreformer zu formulieren.
Sie möchten sich durch Einführung dieser Prämisse unangreifbar machen und ihre Widersacher buchstäblich entmündigen. Das nenne ich, wo es bloß akademisch oder karrierekonform jasagend geschieht, kopflose Idiotie; wo es aber in der Absicht geschieht, öffentliche Wirkung zu erzielen, da ist es politische Heimtücke.
Unangreifbarkeit organisieren
Eine „gerechte“ Sprache gibt es nur um den Preis der Aufgabe des eigenen Urteilens und dessen Überantwortung an eine Zentralautorität. Das Konzept „gerechter“ Sprache ist inhärent diktatorisch und totalitär: Eine Stelle macht apodiktisch die Ansagen zur richtigen Ausdrucksweise, und wer sie durchsetzen will, der kann keinen Aspekt des menschlichen Lebens, in dem Sprache eine Rolle spielt, unkontrolliert lassen.
Aldous Huxley hat das verstanden und die totalitäre Fantasie der Herrschaft über Menschen durch Herrschaft über ihre Sprache literarisch gnadenlos ausgesponnen. In seiner „Schönen neuen Welt“ werden die in Reagenzgläsern erzeugten Menschen während ihres Heranwachsens buchstäblich besprochen.
Das Verfahren nennt er „Hypnopädie“: Durch stete Wiederholung ab früher Jugend und im Schlaf werden die sittlich erwünschten Vorstellungen – differenziert nach fünf Gesellschaftskasten, deren jede für jeden Heranwachsenden vorbestimmt wird – hypnotisch verankert. Die so implantierten Gedanken und Gefühlstönungen, erklärt Huxley uns, machen dann „den Geist des Kindes aus, sein ganzes Leben lang“. Zu Recht wird das Buch als Dystopie bezeichnet.
Der Gedanke heutiger Sprachmanipulatoren ist genau der Gedanke der Huxley’schen Hypnopäden: Wird die Sprache so formatiert, dass der eigenen Zielsetzung gar nicht mehr zuwider geredet und gedacht werden kann, so sind die „Bösen“ bald bekehrt. Sie werden von moralischen Fundamentalisten einfach zur Einnahme der ideologischen Medizin gezwungen.
„Aber“, so wird man erwidern, „trotz allem meinen Sprachkorrektoren es doch gut: Sie wollen Ausgrenzung überwinden, für andere Perspektiven sensibilisieren und so weiter. Wo ist hier bitteschön moralische Niedertracht im Spiel?“ Sie liegt darin, dass die anderen von Sprachaktivisten nicht als mündige Bürger, sondern als Erziehungssubjekte behandelt werden. Eine Anmaßung oh negleichen, bar jeder (demokratischen) Legitimation.
Die Verletzung von Sprachregeln im Gestus einer neuen Selbstverständlichkeit (von der man weiß, dass sie nicht existiert, denn sonst hätte man keinen Grund, sie zu affektieren) stellt klar, dass man sich nicht auf einer Stufe mit dem anderen in einem gleichbe rechtigten Austausch sieht – sondern in einer Lehrer und Aufklärerposition gegenüber einer erziehungsbedürftigen Mitwelt.
Pädagogische Übergriffigkeit
Mich in meiner Muttersprache mit selbst erfundenen Kunstwörtern oder Kunstaussprachen anzureden ist eine anmaßende pädagogische Übergriffigkeit: Jemand will mich zurechtweisen, als wäre er mir moralisch vorgesetzt oder übergeordnet. Genau so empfinden Menschen in großen Mehrheiten aller verfügbaren Umfragen die ideologischen Sprachlenkungsversuche.
Stellvertretend zitieren wir hier nur das „RTL/ntv Trendbarometer“ vom
Juli 2023. Der „Stern“ fasst es mit einem markanten Detailfehler zusammen: Es störe „fast drei Viertel (73 Prozent) der Bundesbürgerinnen und Bürger, wenn Personen ‚Genderzeichen‘ wie Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder eine Pause zu Hilfe nehmen, um geschlechtsneutral zu sprechen. […] Lediglich 22 Prozent der Befragten finden es gut […]. Abgelehnt wird das Gendern von einer großen Mehrheit im Osten wie im Westen des Landes […] Männer stehen dem Thema noch deutlicher gegenüber (77 dagegen, 18 Prozent dafür) als Frauen (70 zu 26 Prozent).“
Hier ist von „Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern“ die Rede, obwohl es sich von selbst ergibt, dass die Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage unter Bundesbürgern Männer oder Frauen sind. Das generische Maskulinum wäre angemessen. Auch zu sagen, dass der Autor die Übereinstimmung der Ansichten zum Gendern bei Bürgerinnen und Bürgern hervorheben wollte, wäre falsch – denn er weist später auf die Unterschiede der Haltung von Männern und Frauen dazu hin.
Wir sehen hier ein kleines Beispiel der Neuformatierung sprachlicher Gewohnheiten durch lang währende ideologische Suggestion einer einflussreichen Minderheit.
Der Autor gibt auch einen Hinweis, wer ihn so umerzogen hat: „Die einzige Gruppe, die Gendern mehrheitlich gut findet, sind die Anhänger der Grünen (58 Prozent).“
Statt sich der Lächerlichkeit preiszugeben bei dem Versuch, Erwachsene für die Sprach- und Sprechfantasien einiger weltfremder Akademiker zu begeistern, möchten sie die Sprache lieber durch kalkulierten Regelbruch in Gespräch und Schriftverkehr für ihre Zwecke kapern.
„Gendert“ jemand im Gespräch oder führt gar noch andere ideologische Sprachverrenkungen vor mir auf, packt mich spontan Empörung. Höre ich Kreationen wie „Mitarbeiter_innen“ mit künstlicher Pause oder andere Affektationen des Ausdrucks, so schäme ich mich instinktiv für den anderen und möchte mich auf dem kürzesten Wege verabschieden. Nach den hier angestellten Überlegungen verstehe ich diese Regungen besser; sie erscheinen mir völlig angemessen.
Auslachen als letztes Mittel
Dennoch werde ich mein Reaktionsmuster ändern: Nicht nur wer mich „angendert“, nein, auch jeder, der nicht zu wissen scheint, dass ein zeitweise „Mitarbeitender“ deswegen noch kein Mitarbeiter sein muss (so wie ja auch das zeitweise Geigen eines „Geigenden“ ihn noch nicht gleich zum Geiger macht), wird künftig direkt und öffentlich von mir korrigiert. In ausgesuchter Freundlichkeit, versteht sich.
Nur wer stur bleibt und nicht zum Deutschen zurückkehren mag, wird als letztes Mittel ausgelacht. Pädagogische Übergriffigkeit muss peinliche soziale Kosten für die Manipulatoren haben. Gehe ich einfach wortlos weg wie bisher, so steht zu befürchten, dass Team Dudel durchmarschiert, bis niemand mehr ungezwungen reden mag.
Jede Dorfverwaltung meint heute gönnerhaft erklären zu dürfen, man „stelle es im Schriftverkehr frei“ oder „überlasse es jedem selbst“, den Kult der neuen Kunstworte und Atemstockungen mitzumachen. Das ist sträflich. Das „Gendern“ muss samt allen anderen ideologischen Sprachmanipulationen sozial geächtet und in öffentlichen Institutionen dienstvorschriftlich verboten werden. Es schadet dem Gemeinwohl, indem es die Grundlage offener Diskussion freier Menschen untergräbt: die gemeinsam und sicher beherrschte Sprache.
Michael Andrick ist Philosoph, Buchautor („Erfolgsleere“, 2020) und Kolumnist der „Berliner Zeitung“ mit langjähriger Wirtschaftserfahrung als Projektleiter in verschiedenen Branchen. Er veröffentlicht u. a. in „Freitag“, DLF Kultur, „Cicero“ und auf den „Nachdenkseiten“.