Tichys Einblick
Der Sommer-General

Die sieben wilden Monate des Ruprecht Polenz und sein Feindbild Friedrich Merz

Ruprecht Polenz ist das Phantom der CDU. Er taucht immer wieder auf, ohne dass so recht jemand weiß, warum. Seine Bedeutung beruht auf einem denkwürdigen, aber unschönen Sommer: eine irre Zeit. Jetzt führt er die Kampagne des Merkel-Lagers gegen Friedrich Merz. Übrigens mit Erfolg. Der knickt ein.

IMAGO / tagesspiegel

Ach, wie doch die Zeit vergeht und dann doch wieder nicht. Der Sommer 2000 kannte zwei Megastars: Jürgen Milski und Zlatko Trpkowski. Die beiden Freunde hatten die erste Staffel von Big Brother zwar nicht gewonnen – aber gerockt. Sowie sie aus dem Container ausgezogen waren, legten sie „Großer Bruder“ nach. Der Sommerheit des Jahres 2000. Aus dem Text lässt sich manch Denkanstoß erfahren: „Wir halten voll zusammen, auch wenn es manchmal kracht / Keiner kann uns wirklich was, wir verstehen uns total“. Rocken als Verb zu nutzen, war 2000 übrigens noch voll in Ordnung, die Sportfreunde Stiller prangerten das erst vier Jahre später an.

Auch ohne Jürgen und Zlatko war der Sommer 2000 recht musikalisch. Bon Jovi sangen „It’s my life“, Echt coverten Rio Reisers „Junimond“ und Britney Spears war noch kein drogengefährdeter Ex-Star, sondern tatsächlich in den Charts vertreten. Mit ihrem zweiten großen Hit: „Oops! … I did it again“. Wie kommen wir nun von drogengefährdetem Ex-Star mit zweitem Hit zu Ruprecht Polenz? Am besten gar nicht.

Werfen wir einen Blick auf die Mode 2000. Dummerweise hat der Autor davon überhaupt keine Ahnung. Also lassen wir die Seite Ansons.de zu Wort kommen: „Weite Schnitte, tief sitzende Baggy Pants, bunte Farben, Chunky Sneaker, unübersehbare Accessoires und Denim soweit das Auge reicht, prägten den Stil der 2000er.“ Wird wohl so gewesen sein, auch wenn man sich nicht mehr dran erinnern kann. Das wäre jetzt schon eher eine Überleitung zu Ruprecht Polenz.

Aber gönnen wir uns noch einen letzten Seitenblick auf den Sport: Die Formel 1 dominierten 2000 Michael Schumacher, Mika Häkkinen und David Coulthard. Der führende Tennisspieler war der Vater von Steffi Grafs Kindern: Andre Agassi. Nur im Fußball sah es nicht so gut für Deutschland aus. Erich Ribbeck brachte einen Kader zur Europameisterschaft, zu dem Markus Babbel, Christian Ziege oder Carsten Ramelow gehörten. Jetzt wären wir endgültig bei Männern angekommen, von denen keiner viel erwartet hat, die aber trotzdem die Erwartungen noch locker unterlaufen haben.

Zeit, zu Ruprecht Polenz zu springen. Am 10. April 2000 machte ihn Angela Merkel, damals noch nicht Bundeskanzlerin, zum Generalsekretär der CDU. Kleinliche Leute würden jetzt einwenden, ein Parteitag habe ihn gewählt. Die Partei hätte den Vorschlag auch ablehnen können. Schon. Aber wir reden hier von der CDU. Unter Angela Merkel.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung bezeichnet Polenz als „erste wichtige Personalentscheidung Angela Merkels als Parteivorsitzende“. Schon die parteinahe Stiftung weiß, welch wichtige Rolle Polenz‘ Intellekt bei dieser Wahl hatte: „Als katholischer, verheirateter Familienvater aus dem Westen ergänzt er die protestantische, geschiedene und kinderlose Ostdeutsche Angela Merkel.“ Aber nun sind sein Geschlecht und Herkunft ja nicht alles gewesen, wie die Adenauer-Stiftung erklärt: „Zudem gilt er als loyal, ohne Ambitionen auf höhere Ämter.“ Penis aus Westdeutschland ohne eigene Ansprüche. Angela Merkels „erste wichtige Personalentscheidung“. Vielen Dank, liebe Adenauer-Stiftung. Besser hätten wir es auch nicht herausarbeiten können.

Der Bundestag sieht in Polenz einen „diplomatischen Querdenker“. 2013. Als Querdenker noch nicht synonym für „Covidiot“, „Klimaleugner“ oder „Putin-Troll“ und so weiter stand. Aber auch der Bundestag tut Polenz im Feiern seiner Erfolge keinen Gefallen: Er habe als Generalsekretär die Partei nach dem Spendenskandal wieder geeint, aber „mit der Zeit“ habe es einen angriffsfreudigeren Politiker gebraucht. Mit der Zeit. Nach sieben Monaten. Wenn du wirklich bereit bist, an jemandem den Erfolg zu suchen, egal wie gering der ist.

Am 20. November 2000 war schon wieder Schluss mit Polenz als Generalsekretär. Als er freiwillig, in beiderseitigem und so weiter ging, sagten manche Parteifreunde öffentlich, sein Nachfolger Laurenz Meyer habe halt mehr Erfahrung im Organisieren. Was heißt, dass Polenz das nicht kann. Dass sich der bisherige Generalsekretär in der Attacke unwohl gefühlt habe. Was heißt, dass Polenz das ebenfalls nicht kann. Und dass man seinen Rücktritt respektieren müsse. Womit gefunden wäre, worin Polenz gut ist. Der Markus Babbel der CDU.

Nun ist es nicht so, dass die Karriere von Ruprecht Polenz nach den sieben Monaten im Jahr 2000 vorbei gewesen wäre. Als Außenpolitiker konnte er noch weitere Erfolge für sich verbuchen: Er sprach sich dafür aus, die Türkei in der EU aufzunehmen, mit dem Iran zu kooperieren und verstärkt syrische Flüchltinge in Deutschland aufzunehmen. Über Russland sagte Polenz, man müsse es halt so nehmen, wie es ist. Womit wir uns langsam seinem größten Erfolg nähern: Von 2002 bis 2016 war Polenz Vorsitzender des ZDF-Fernsehrates. Wer heute die journalistische Qualität des Zweiten bewundert, dessen Ausgewogenheit und Verliebtheit in die Neutralität – das begann alles unter Ruprecht Polenz. Oder wie es die Adenauer-Stiftung sagen würde: „Zudem gilt er als loyal, ohne Ambitionen auf höhere Ämter.“

Loyal ist Polenz heute immer noch. Nicht zu seiner eigenen Partei. Das nicht. Nach einem einvernehmlichen und freiwilligen Rausschmiss nach nur sieben Monaten muss er das auch nicht sein. Aber wenn Grüne, Linke oder Sozen heute ein CDU-Mitglied suchen, das in wirklich jeder Position gegen die eigene Partei ätzt, dann haben sie in Polenz einen loyalen Mitstreiter, der sogar auf höhere Ämter verzichtet. So ein bisschen wie Waldorf und Statler in der Muppet-Show – nur ohne deren Charme, Charisma oder Witz.

Jetzt führt er die Front an, die Friedrich Merz wieder hinter der Brandmauer einmauert. „Auch der CDU-Vorsitzende ist an die Beschlüsse des CDU-Bundesparteitags gebunden“, sagte der allzeit bereite frühere Kurzzeit-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz dem „Tagesspiegel“. Dieser habe „jegliche politische Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausgeschlossen“. Dies gelte auch für Städte und Gemeinden. Merz ist schon eingeknickt, und Polenz kann eine weitere Kerbe in seinen Revolver schnitzen. Veränderung blockiert! Das Gestern bewahren! Der Generalsekretär des Archivs hat Oberwasser.

All diese Aufmerksamkeit verdankt der preisgekrönte Blogger einem sieben Monate währenden, gescheiterten Versuch als Generalsekretär. „It’s my life“, würden Bon Jovi sagen. Oder: „Wir halten voll zusammen, auch wenn es manchmal kracht / Keiner kann uns wirklich was, wir verstehen uns total“. Doch zur CDU und Polenz passt die Zeile von Zlatko und Jürgen nicht so recht – dafür umso mehr zu Merkel und Ruprecht. Ihrer ersten schlechten Personalentscheidung – aber wahrlich nicht ihrer letzten.

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