Die taz ist begeistert und jubelt über das Sondierungsergebnis zwischen CDU und Grünen in Baden-Württemberg. Am 7. April heißt es in dem linken Blatt: „Der bisherige Fahrplan macht jedenfalls Hoffnung, dass die kommenden fünf Jahre wesentlich grüner werden als in der Erstauflage dieser Koalition. Bis zu tausend neue Windräder in Staatswäldern sollen entstehen und Solarpanele auf den Dächern der Häuslebauer Pflicht werden… Auf ein neues Wahlrecht haben sich die künftigen Koalitionäre geeinigt, und das Wahlalter wollen sie auf 16 Jahre senken. Gut integrierte Geflüchtete sollen ein Bleiberecht erhalten, und auch die vor fünf Jahren von Grün-Rot verschobene Kennzeichnungspflicht für die Polizei soll nun kommen. All das haben die Koalitionäre in den Sondierungen vereinbart.“
taz: „Konservative Akzente sucht man sowieso vergeblich“
Das, so die taz, klinge „zu schön, als dass man es gleich glauben möchte“. Aber „dass sich die Union querstellt“ sei „zumindest für’s Erste nicht zu erwarten.“ Treffender als die taz könnte man die Situation nicht analysieren: „Konservative inhaltliche Akzente sucht man in dem Fahrplan sowieso vergeblich. Der schwer angeschlagenen ehemaligen Staatspartei von Lothar Späth und Erwin Teufel reicht es offenbar, wieder mit am Kabinettstisch zu sitzen. Mancher in der Führungsspitze der Union ist froh, damit seine politische Zukunft gesichert zu haben.“
Das Ergebnis weise deutlich über Baden-Württemberg hinaus, so die taz, denn die Koalitionsbildung im Südwesten könne Einfluss auf den Bundestagswahlkampf im Herbst haben. „Denn wenn sich selbst die strukturkonservative Union in Baden-Württemberg, und sei es nur um des Machterhalts willen, zu Windrädern und Radwegen bekennt, kann das für die gesamte Union, egal ob von Söder oder Laschet geführt nicht so schwer sein. CDU-Wählern, denen diese Richtung nicht passt, bliebe dann ja noch die FDP.“
Einem Top-Manager platzt der Kragen
Lange Zeit haben große Teile der Wirtschaft und der bürgerlichen Medien die verhängnisvolle Entwicklung unter Angela Merkel gestützt – sei es durch beflissenen Opportunismus und Anbiederung an den grünen Zeitgeist, sei es durch Schweigen. Jetzt ist einem der Kragen geplatzt. Die „Welt am Sonntag“ veröffentlichte vergangenen Sonntag ein großes Interview mit Wolfgang Reitzle. Das Blatt nennt ihn „Maestro und Kultfigur der Autoindustrie (BMW, Ford, Conti), dazu Architekt des Weltkonzerns Linde“. Unter dem Interview wird darauf aufmerksam gemacht: „Wolfgang Reitzle ist Mitglied im Aufsichtsrat der Axel Springer SE… Das Interview fand unabhängig davon statt.“ Doch der Axel Springer Verlag, der Angela Merkel lange unterstützt hat, hat sich vor einiger Zeit von ihr losgesagt. Ob BILD oder Welt: Der Axel Springer-Verlag ist auf Anti-Merkel Kurs.
Doch Reitzle weiß auch, es kann immer noch schlimmer kommen. Man muss nur auf das rot-rot-grüne Berlin schauen, um zu erkennen, was Deutschland im Fall einer grün-rot-roten Mehrheit nach den Wahlen im September droht: „Berlin ist heute eine der wohl am schlechtesten regierten Hauptstädte Europas. Das Wegschauen bei Kriminalität, das Zulassen von Hausbesetzungen und die Ausbreitung der Klankriminalität – wo immer man hinschaut: Berlin ist eine dysfunktionale Stadt, ein failed state.“
Vergrünung der CDU begann schon unter Kohl
Manche glauben, die Vergrünung und Sozialdemokratisierung der CDU habe unter Angela Merkel begonnen, doch das ist ein Irrtum. Bereits 1994 schrieb ich in meinem Buch „Wohin treibt unsere Republik“: „Bei vielen Fragen ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt.“ Als ich diese Zeilen schrieb, waren die Grünen gerade erst wieder in den Bundestag eingezogen, nachdem sie bei den Bundestagswahlen 1990 an der 5-Prozent-Hürde gescheitert waren. Dennoch war ich der Meinung, dass der Einfluss der Grünen erheblich sei – und weiter steigen werde.
Als Beispiele für diese These nannte ich die Debatten über die Frauenquote und die Kernenergie, bei denen sich die grünen Positionen erkennbar durchzusetzen begannen. Der Atomausstieg wurde dann in der Tat sechs Jahre, nachdem ich dies geschrieben hatte, beschlossen, nämlich unter der ersten rot-grünen Bundesregierung mit der „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000“. Auch bei der Quotenregelung sollte sich meine These bewahrheiten: Die CDU führte zwei Jahre, nachdem ich dies geschrieben hatte, tatsächlich erstmals ein „Frauenquorum“ ein.
Schlimmer geht immer
Manche Bürgerliche haben schon resigniert. Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt“ schreibt: „Vielleicht muss das Land durch vier grün-rot-rote Jahre und den etatistisch planwirtschaftlichen Quark ausprobieren, um danach von einer runderneuerten Union und FDP mit einer Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft reanimiert zu werden.“ Eine Meinung, die man immer häufiger hört – und die ich für gefährlich und illusionär halte.
Die „Welt“ gab mir die Gelegenheit, dieser These zu widersprechen. Ich schrieb in dem Blatt:
„Daran, dass eine Grün-Rot-Rote Regierung zu wirtschaftlichem Niedergang führen wird, gibt es aus meiner Sicht keinen Zweifel. Aber welche Folgerungen werden die Deutschen dann daraus ziehen? Wie viel politische Klugheit ist einer Bevölkerung zuzutrauen, die 16 Jahre lang immer zu Angela Merkel gestanden hat, um danach dann Annalena Baerbock als vermeintlich bessere Alternative zur Kanzlerin zu wählen? Und warum sollen die Deutschen nach einem vierjährigen sozialistischen Experiment klug werden, wenn sie es nach 40 Jahren Sozialismus in der DDR nicht geworden sind? … Wer wissen will, was Rot-Rot-Grün bedeutet, muss nur in die Hauptstadt Berlin schauen: Dort wird täglich das Recht in einem unvorstellbaren Ausmaß gebrochen. Die Regierung ist nicht davor zurückgeschreckt, mit dem ‚Mietendeckel’ ein verfassungswidriges Gesetz zu verabschieden, das faktisch zu einer Enteignung von Immobilieneigentümern führt.
Und in der Zwischenzeit? Was wäre der Preis eines Experimentes mit Grün-Rot-Rot? Unternehmer werden verstärkt Deutschland verlassen. Entnervt von täglicher Hetze gegen ‚Reiche’, von Vermögenssteuern und Einkommensteuersätzen über 50 Prozent, werden viele ins Ausland gehen. In meinem Bekanntenkreis ist kaum ein Unternehmer, der nicht ernsthaft über Auswanderung nachdenkt. Gleichzeitig wird Grün-Rot-Rot die Tore für Armutszuwanderung weit öffnen. Und nicht zuletzt werden Freiheitsrechte unter der Parole des ‚Kampfes gegen Rechts’ immer mehr beschnitten. Der Glaube, all diese führe dann im Jahr 2025 praktisch automatisch zu einem Wahlergebnis, das marktwirtschaftlichen Reformern eine Mehrheit in Deutschland gibt, scheint mir mehr mit Wunschdenken zu tun zu haben als mit nüchterner Analyse.“
Soweit meine Antwort an Ulf Poschardt in der „Welt“. Man sollte sich keiner Illusion hingeben: Schlimmer geht immer.
Rainer Zitelmann ist Autor des Buches „Wohin treibt unsere Republik?“, eine historische Analyse, die jetzt wieder neu aufgelegt wurde.