Die Scholz-Nominierung ist ein Akt sozialdemokratischer Verzweiflung
Roland Springer
Mit der überstürzten Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten will die SPD sich aus dem 15-Prozent-Tal befreien. Bleibt sie weiterhin darin stecken, droht Scholz dasselbe Schicksal wie seinem Vorgänger Martin Schulz.
Schon bei der Bundestagswahl 2017 strebte die Union auf Betreiben von Angela Merkel eine Koalition mit den Grünen an. Dieses Vorhaben scheiterte dann allerdings daran, dass CDU, CSU und Grüne zusammen nicht die erforderliche Mehrheit erreichten – nicht zuletzt aufgrund des Erfolgs der AfD – und die FDP sich weigerte, den deswegen benötigten Mehrheitsbeschaffer für eine schwarz-grüne Regierung zu spielen. Inzwischen haben sich dank Fridays for Future und der Corona-Pandemie die Chancen für eine schwarz-grüne Mehrheit bei der kommenden Bundestagswahl aber deutlich verbessert. Fände diese schon in den nächsten Tagen statt, könnten Union und Grüne zusammen auf 55 bis 60 Prozent kommen und so problemlos eine rechnerisch stabile Regierung bilden. Angesichts dieser Sachlage hat selbst Friedrich Merz bekannt gegeben, er strebe eine schwarz-grüne Regierung an, sollte die CDU ihn zu ihrem Vorsitzenden wählen und CDU und CSU ihn daraufhin gemeinsam zum Kanzlerkandidaten küren.
Nichts anderes dürften angesichts der aktuellen Umfragen, die die Union bei 36 bis 40 Prozent und die Grünen bei 18 bis 20 Prozent veranschlagen, Armin Laschet, Jens Spahn oder auch Markus Söder vorhaben, sollte einer von ihnen Kanzlerkandidat der Union werden. Nun leben wir allerdings nicht nur bei den Stimmungen an den Aktienmärkten, sondern auch beim Stimmverhalten von Wählern in ausgesprochen volatilen Zeiten, wie man jüngst wieder am demoskopischen Stimmenzuwachs für die Union sehen konnte. Näherten sich noch zu Beginn des Jahres CDU und CSU zusammen allmählich der 25-Prozent-Marke, erreichen sie inzwischen wieder mehr als 35 Prozent. Viele Wähler bekunden so ihre Zustimmung zur Corona-Politik der Bundesregierung, die allerdings allein auf das Stimmenkonto der Union, nicht aber auf das ihres Koalitionspartners SPD einzahlt. Sie verharrt unverändert bei den 13 bis 15 Prozent, auf die sie schon vor der Corona-Pandemie geschrumpft war, obwohl fast kein Tag vergeht, an dem die SPD-Minister, allen voran Olaf Scholz, nicht öffentlich darüber berichten dürfen, mit welchen zusätzlichen Schulden sie die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns für die Bevölkerung zu dämpfen versuchen.
Die Minister der SPD finden sich so zusammen mit ihrem neuen Führungs-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zwar regelrecht in ihrem Element sozialdemokratischer Konjunktur- und Sozialpolitik und haben deswegen alle Absichten einer vorzeitigen Beendigung der Koalition mit der Union ad acta gelegt; gleichzeitig leiden sie jedoch sichtbar an dem Umstand, dass die Wähler ihnen ihre Anstrengungen nicht honorieren, und die Grünen bundesweit in allen Umfragen weiterhin deutlich besser abschneiden als die SPD, obwohl sie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie allenfalls auf Landesebene einen eher bescheidenen Beitrag leisten können. Nicht die SPD, sondern die Grünen sollen nach derzeitiger Stimmungslage der Wähler zukünftig gemeinsam mit der Union die Geschicke des Landes leiten, obwohl namentlich die SPD-Minister sich für die eigentlichen Manager und Bewältiger der Corona-Krise halten.
Dies nagt am Selbstbewußtsein der SPD-Führung offenkundig so stark, dass sie sich entschloss, mehr als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl ihren obersten Krisenmanager und Vizekanzler zum Kanzlerkandidaten zu küren, um so die Stimmung im Wahlvolk noch früh genug wenigstens etwas zu ihren Gunsten zu drehen. Mit dem selbst proklamierten Wahlziel von 20 bis 25 Prozent hat Scholz, gemessen an den derzeitigen Umfrageergebnissen, realistischerweise jeglichem Anspruch, stärkste Fraktion zu werden, abgeschworen, dafür aber deutlich gemacht, dass er sich sehr wohl zutraut, zu den Grünen aufzuschließen und sie gar wieder zu überrunden. Nur so besteht für die SPD und ihre Minister derzeit überhaupt eine Aussicht, die Grünen als neuen Juniorpartner der Union auszustechen und wieder (mit-)regieren zu dürfen. Die von Esken und Walter-Borjans proklamierte Koalition mit den Grünen und der Linken erreicht in den aktuellen Umfragen maximal 43 Prozent. Sie erweist sich so für die SPD selbst dann noch als aussichtslos, wenn es ihr gelingen sollte, an die Grünen und die Linken in den letzten Jahren verlorene Stimmen wieder zurückzugewinnen. Am Gesamtergebnis der drei Parteien würde dies nicht allzu viel ändern.
Der Schnellschuss bei der Kür des SPD-Kanzlerkandidaten ist somit wohl eher ein Akt der Verzweiflung angesichts der wachsenden Zustimmung im Wahlvolk für eine schwarz-grüne anstelle einer schwarz-roten Koalition denn ein strategisch durchdachter Schachzug zur Eroberung des Kanzleramtes. Ob er etwas fruchtet, werden die kommenden Umfragen zeigen. Sollte die SPD weiterhin im 15-Prozent-Ghetto stecken bleiben, werden die Tage von Olaf Scholz als neuer Retter der SPD ähnlich schnell gezählt sein wie die seines Vorgängers Martin Schulz. Sollten sich die Umfrageergebnisse der SPD jedoch nach oben bewegen, steigen die Chancen auf eine weitere Runde schwarz-roter Koalition.
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