Ferda Ataman hat am 28. Dezember im Berliner Tagesspiegel erneut auf Quoten für Menschen mit Migrationshintergrund gedrängt. Unter der Überschrift „Ostquote, Frauenquote? Migrantenquote!“ plädiert Ataman, Vorsitzende der „Neuen Deutschen Medienmacher*innen“/NDM sowie Sprecherin der „Neuen Deutschen Organisationen“/NDO, in einem Kommentar für eine „bundesweite Debatte über eine Quote für Menschen mit Migrationshintergrund“. Nicht ganz klar ist dabei, ob sie feste Minimal-Werte oder am Bevölkerungsanteil der Migranten ausgerichtete dynamische Prozentanteile vor Augen hat, wie sie das Land Berlin in seinem – aktuell in der Überarbeitung befindlichen – Partizipations- und Integrationsgesetz von 2010 (PartIntG) in Paragraf 4 anpeilt: „Der Senat strebt die Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung an.“
Dabei wäre noch zu klären – kein unwichtiger Aspekt –, ob dies bedeutet, dass nur Migranten in ihrer Gesamtheit in gewissem Ausmaß repräsentiert sein sollen oder ob einzelne Herkunftsländer bzw. zumindest Regionen fairer Weise jeweils angemessen in der Belegschaft wiederzufinden sein müssen, also zum Beispiel 14 Prozent der migrantischen Angestellten und Beamten in Berlin türkische Wurzeln haben müssen, 12 Prozent arabische, usw.
Die ihrer Meinung nach zu geringe Repräsentanz von Migranten in Politik, Verwaltung und Wirtschaft sei „nicht nur demokratisch fragwürdig, sondern auch politisch kurzsichtig“, meint Ataman. Menschen aus Einwandererfamilien seien keine vernachlässigbare Minderheit mehr. „Bundesweit haben 26 Prozent der Menschen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. Aber das ist nur der Durchschnitt, die meisten von ihnen leben in westdeutschen Städten und Berlin. Und hier ist ihr Anteil deutlich höher: in Stuttgart 46 Prozent, in Nürnberg 47 Prozent, in Frankfurt schon 54 Prozent. Berlin liegt bei 35 Prozent.“
Demokratische Einrichtungen riskierten, „an Akzeptanz und Anschluss in der Gesellschaft (zu) verlieren. Oder, positiver ausgedrückt: Es entgeht ihnen viel Potenzial.“ Nachzulesen ist Atamans Statement hier. Das Statement reiht sich ein in eine Reihe rigoroser Forderungskataloge von Migrantenvertretern aus dem letzen Jahr: vom „Manifest für eine plurale Gesellschaft“ vom Februar 2020 über die umfassende „Antirassismus-Agenda 2025“ vom August 2020 bis zu den Aktivitäten rund um die jährlichen Nationalen Integrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin.
Fest steht, dass die Vereinigungen von Migranten im politischen Raum bzw. von der Bundesregierung viel Aufmerksamkeit erfahren, ohne dass so ganz klar ist, wie viele Bürger konkret hinter ihren Vorstellungen stehen. Unter den 120 Initiativen im „postmigrantischen Netzwerk“ der NDO sind eine Reihe von kleineren Verbänden. Die Neuen Deutschen Medienmacher vereinen laut eigener Website gut 1.250 Personen. Schon länger ist aus vielen Statements der wortstarken Ferda Ataman bekannt, dass sie namens der von ihr repräsentierten Organisationen kein sonderlich charmantes Bild von ihren nicht-migrantischen Mitbürgern malt. Mal plagt sie „irgendwie eine Ahnung, welche Bevölkerungsgruppen in Krankenhäusern zuerst behandelt werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden“. Mal behaupten die NDO pauschal, „dass Politiker*innen die Ängste und Sorgen von Schwarzen Menschen und People of Color (BPoC) konsequent übergehen“. Mal betont Ataman, dass Migranten Deutschland prinzipiell „nichts schulden“, während umgekehrt „unser Land seinen Migranten viel verdankt“.
„Dieses Jahr“, so Ferda Ataman in ihrem Tagesspiegel-Kommentar, sei viel über Quoten diskutiert worden, über eine Frauenquote in Politik und Wirtschaft und sogar über eine Quote für Ostdeutsche. Dabei bleibt allerdings, was auch Frau Ataman wissen dürfte, die Frauenquote umstritten. Und über eine Ostdeutschen-Quote hat vor allem Naika Foroutans Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) nachgedacht, das bald einen „Rassismus-Monitor“ präsentieren wird und mit dem Forschungsschwerpunkt Ost-Migrantische Analogien Parallelen zwischen Ostdeutschen und Migranten, vor allem Muslimen, als „von sozialer Abwertung betroffenen“ Gruppen zieht.
Auffällig ist, dass der Ruf nach besserer Repräsentanz von Personen mit Migrationshintergrund (wie auch der von Frauen) bevorzugt „wichtige Positionen“ betrifft, nicht alle Ebenen. Auch Ferda Ataman moniert vor allem, Menschen „nichtdeutscher Herkunft“ seien „in Spitzenpositionen unterrepräsentiertׅ“.
„Zentrale Bereiche noch sehr weiß“
Atamans Meinungsbeitrag ist durchsetzt von einer Reihe von offenen und impliziten politischen Wertungen und Pauschalisierungen.
Der von Ataman angesprochene „similar-to-me-Effekt“ – gemeint: „Menschen mögen Menschen, die Ähnlichkeit mit ihnen selbst haben“ – soll nicht in Abrede gestellt werden, ist aber ein biologisch-soziales Phänomen, das Migranten nicht unbekannt sein dürfte: Zuwanderer versammeln sich in der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, in den NEUEN Deutschen Organisationen, bei den NEUEN Deutschen Medienmachern und wohnen oft in ausgewählten Orten und Stadtteilen, wo sie mit Ihresgleichen zusammen sind.
Gruppe der Migranten äußerst heterogen
Die von Ataman angesprochenen „Menschen mit Migrationshintergrund“ sind eine äußerst heterogene Gruppe, selbst wenn sie hier zu einer statistischen und politischen Einheit zusammengedacht werden. Die Gruppe umfasst Menschen mit unterschiedlichem politisch-juristischen Status (Nachkommen von „Gastarbeitern“, Asylbewerber, Wirtschaftsmigranten …) und stammt aus Dutzenden unterschiedlicher Herkunfts- und Bezugsländern. Einzelne Migrantenkreise sind sich untereinander auch nicht unbedingt gewogen, Türken und Kurden beispielsweise. Darüber hinaus unterscheiden sich die 21,2 Millionen Einwohner mit Migrationshintergrund, darunter 11,2 Millionen Ausländer, untereinander wie auch im Vergleich mit der alteingesessenen Bevölkerung deutlich im Hinblick auf Merkmale wie Deutschkenntnisse, formales Bildungsniveau, ökonomische und berufliche Situation, familiäre Situation, Religiosität usw. Bei der Beantwortung der Frage, warum Menschen mit Migrationshintergrund in der Privatwirtschaft, der öffentlichen Verwaltung und auf politischen Stellen so oder so stark repräsentiert sind, spielen spezielle Faktoren wie Sprachkenntnisse, Aufenthaltsdauer, Bildungs-, Berufsqualifikation, Berufsbezogenheit (z.B. bei jüngeren Zuwanderinnen) mit eine Rolle. Längst nicht alle faktisch nicht realisierten Möglichkeiten liegen allein in der Verantwortung der Aufnahmegesellschaft.
Studie zu Diversität in der Bundesverwaltung
Statistisch-methodische Stolpersteine
Die zitierte Studie vergleicht – ein verbreitetes Vorgehen – im Wesentlichen den Migrantenanteil in der Gesamtbevölkerung mit demjenigen in bestimmten Branchen, hier der Bundesverwaltung. Der geringere Anteil in der Bundesverwaltung wird als Beweis unzureichender kultureller Vielfalt interpretiert. Dies legt nahe, dass es fair wäre, wenn der Anteil der Migranten in der Bundesverwaltung (am besten in allen Laufbahngruppen) ebenso hoch wäre wie derjenige in der Gesamtbevölkerung, sprich bundesweit bei 25 Prozent läge. Diese Sichtweise hat aber einen Haken.
Wie etwa die Publikation des Statistischen Bundesamtes „Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2019“ (S. 207 ff.) im Detail zeigt, unterscheiden sich die einzelnen Teilgruppen der Bevölkerung – Personen ohne Migrationshintergrund; Personen mit Migrationshintergrund, darunter Ausländer mit jeweils eigener oder ohne eigene Migrationserfahrung, Deutsche mit jeweils eigener oder ohne eigene Migrationserfahrung – hinsichtlich Schulbildung, beruflicher Qualifikation und anderen Merkmalen klar. So hatten 2019 über 70 Prozent der Personen ohne Migrationshintergrund einen berufsqualifizierenden Abschluss, im Vergleich zu 43 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund im weiteren Sinn bzw. der Ausländer mit eigener Migrationserfahrung. Migranten sind auch häufiger ohne Schulabschluss als die Gegengruppe. Das heißt: Nach bildungsmäßigen und beruflichen Kriterien steht die Gesamtgruppe der Nicht-Migranten besser da als die Gesamtgruppe der Migranten. Wenn nun Nicht-Migranten relativ mehr (höherrangige) Arbeitsstellen besetzen, spiegelt das teilweise auch die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Nicht alles ist automatisch Diskriminierung.
Hohe Anteile von Migranten in Städten und Schulklassen – Minderheitenschutz nötig?
Ataman weist, wie gesagt, ausdrücklich darauf hin, dass in vielen westdeutschen Städten und Berlin der Migrantenanteil sehr hoch ist. Aber „interessant“ werde es, sagt Ataman, „wenn man die Zahlen unter Kindern und Jugendlichen betrachtet: Fast die Hälfte aller Unter-18-Jährigen in Berlin haben einen Migrationshintergrund. In Hamburg, München, Stuttgart, Nürnberg, Hannover, Bremen, Wiesbaden sind es schon 50 bis 60 Prozent und in Frankfurt am Main mehr als 70 Prozent. Man kann das nun so sehen, dass sich die deutsche Gesellschaft (mal wieder) verändert – oder man sorgt sich darum, dass sie sich abschafft. Letzteres ist eine völkische Sicht.“
Die wachsenden Prozentzahlen sollen unterstreichen, dass Migranten mehr Arbeitsstellen und Positionen zugesprochen werden müssen, auch damit der Gesellschaft „kein Potenzial entgeht“. Sie legen aber ebenso die Frage nahe, ob es sich bei den Menschen mit Migrationshintergrund noch überall um eine schützenswerte, schwache Minderheit handelt oder nicht eher um stark wachsende Gruppen, die keine pauschale staatliche Unterstützung wie Quoten benötigen und auch so kraft Engagement und Kompetenz Erfolg haben können.
Ohnehin ist unstrittig, dass beileibe nicht alle 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland benachteiligt sind. Viele leben schon sehr lange in Deutschland und sind wie Nicht-Migranten hierzulande sozialisiert worden, auch Ferda Ataman selbst. Es wäre zu klären, ob eine Person, die 1980 oder 1995 ins Land gekommen ist/hier als Kind von Migranten geboren wurde, mit Stand 2021 prinzipiell schlechter dran ist als ihr nicht-migrantischer Altersgenosse, und wenn ja warum.
Sind viele weiße Personen „demokratisch fragwürdig“?
Für Ferda Ataman ist die Tatsache, dass viele Personen „weiß sind“, „demokratisch fragwürdig“. Unter anderem deswegen: „Die Mehrheit der Stadtgesellschaft hat also bald eine internationale Familiengeschichte. Diese Diversität muss sich in Parlamenten, Amtsstuben, Medien und Theatern wiederfinden. Arbeitet man hier weiterhin überwiegend allein unter Weißen, birgt das gesellschaftlichen Sprengstoff: Demokratische Einrichtungen riskieren, an Akzeptanz und Anschluss in der Gesellschaft verlieren.“
Die Verteilung von Jobs und Positionen nach Merkmalen würde außerdem die Leistungsgesellschaft tendenziell in eine Quotengesellschaft umfunktionieren. Hier wird dann nicht mehr primär eine Person, die gut programmieren kann, gesucht, sondern eventuell bevorzugt eine Frau mit migrantischem Hintergrund, die „Rassismuserfahrung“ reklamiert. Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz verknüpft professionelles Handeln zudem neuerdings mit der Forderung nach „Diversity-Kompetenz“ aller Dienstkräfte.
Berlin: Integrationsgesetz in Vorbereitung zwecks Ausgleich von „rassistischer Diskriminierung“
Ferda Ataman erwähnt im Tagesspiegel lobend, die Berliner Linkspartei und die von ihr gestellte Integrationssenatorin Elke Breitenbach planten für die Reform des Partizipations- und Integrationsgesetzes 2021 erstmals eine besondere Quote „zur Einstellung und Förderung von von Rassismus Betroffenen und Menschen mit Migrationsgeschichte, die zu einer Repräsentanz entsprechend ihrem Berliner Bevölkerungsanteil auf allen Ebenen der Verwaltung führt“. Ein entsprechender Gesetzesentwurf werde gerade diskutiert. Nun lassen sich „Menschen mit Migrationsgeschichte“ noch einwandfrei identifizieren – sieht man von dem Handicap ab, dass Bewerber dem öffentlichen Arbeitgeber private familiäre Daten offenbaren müssen.
Die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geht, wie den „Eckpunkten“ zur Novelle des PartIntG vom Oktober 2020 zu entnehmen ist (siehe Materialien rund um die Novelle), jedoch in der Tat noch weiter. Sie sieht „als Zielgruppe der Fördermaßnahmen … Eingewanderte, Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte sowie Menschen, die aufgrund von rassistischen Zuschreibungen diskriminiert werden. Es können unterschiedliche Formen von Benachteiligung vorliegen, die ausgeglichen werden sollen: Zugangshürden durch rassistische Diskriminierung, Benachteiligung durch Migration wie etwa durch sozialen Statusverlust, prekären Aufenthalt, der mit vielfältigen Ausschlüssen verbunden ist, oder auch sprachliche Barrieren.“
Es bleibt spannend, sollte das Eckpunktepapier sinngemäß Gesetz werden, inwieweit man die genannten „Handicaps“ von Stellenbewerbern und Stelleninhabern zum einen identifizieren wird und zum anderen ggf. gerichtsfest belegen kann. Migration wird hier grundsätzlich als möglicher Ausgangspunkt für Diskriminierungen gesehen, wobei ja auch Nicht-Zuwanderer durchaus benachteiligt sein können. Der Schlüsselbegriff „familiäre Migrationsgeschichte“ geht genau genommen noch über den „Migrationshintergrund“ des Statistischen Bundesamtes hinaus, der sich auf eine Person bezieht, die selbst oder von der mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Auch die Enkelin eines 1960 eingereisten italienischen oder türkischen „Gastarbeiters“ hat eine familiäre „Migrationsgeschichte“.
Quoten können Gesellschaft spalten
Ferda Ataman beansprucht offenkundig, mit ihrem neuerlichen Vorstoß, die Teilhabe „nicht-weißer“ Personen zu fördern und die Demokratie in ihrem Sinne zu verbessern. Chancengerechtigkeit für zugewanderte Mitbürger einzuklagen, ist sicherlich legitim und sinnvoll. Man darf aber bezweifeln, ob die angepeilte formalistische Zweiteilung von Bürgern nach 1. mit oder ohne Migrationshintergrund und 2. „weiß“ oder „nicht-weiß“, welche positive Diskriminierung einschließt, den sozialen Zusammenhalt fördert. Zumal in Corona-Zeiten. Ein Kommentator zum Ataman-Beitrag im „Tagesspiegel“ befürchtet: „Mit der Forderung nach Quoten für alle möglichen tatsächlich oder vermeintlich Benachteiligten wird man genau das Gegenteil des Beabsichtigten erreichen. Dem Großteil der Bevölkerung geht das ganze schlicht auf den Wecker und führt dazu, dass der latente Rassismus sich seine eigene Rechtfertigung schafft, indem der ‚Normale‘ sich gegenüber Minderheiten zurückgesetzt fühlt. Merken unsere Gutmenschen denn nicht, dass sie letztlich nur die Spaltung der Gesellschaft befördern?“