Tichys Einblick
Amor fati

Die Radikalisierung der CDU

Im parteiübergreifenden Kampf gegen die AfD ist es der SED gelungen, als „normale“ Partei im bundesrepublikanischen Parteiensystem anzukommen. Die Verantwortung dafür trägt die CDU.

Sean Gallup/Getty Images

Der Rechtsextremismusforscher ist eine sonderbare Spezies: Er sieht die Polarisierung immer genau da, wo er diese auch erwarten will. Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft: das ist das Werk von Rechten, die das gesellschaftliche Klima vergiften (wenn sie es denn gerade nicht leugnen). Viel weniger fällt ins Auge, dass der eigentliche Extremismus nicht die Ränder, sondern die sogenannte „Mitte“ erreicht hat, und zwar lange vor der Gründung einer Partei, die nicht als Aktion, sondern als Reaktion auf die etablierte Politikrichtung gegründet wurde. Sie ahnen es: nicht die AfD, sondern die CDU ist in Wirklichkeit der Brandbeschleuniger in dieser Republik.

Zurecht mag man einwenden: ausgerechnet der flauschige Teflonkurs einer Angela Merkel soll dieses Land an den Abgrund gefahren haben? Ja, natürlich. Durch die gesamte Geschichte lässt sich beobachten, dass allgegenwärtiger Relativismus dazu führt, dass der Ruf nach „wahren“ oder „richtigen“ Antworten lauter wird. Je beliebiger Politik oder Religion, desto stärker fordert die Gegenseite Geradlinigkeit. In Mittelalter und Früher Neuzeit nannte sich das Reform: nicht im Sinne der Modernisierung, sondern im Sinne der Rückführung in alte, gute Formen wie man sie vorher kannte.

Die Zukunft der CDU steht auf dem Spiel
Der „Elefant im Raum“ – besser: im Kanzleramt
Der gegenwärtige Schaukelkurs bei den Koalitionsgedanken mit der thüringischen Linkspartei ist symptomatisch für eine Partei, die sich innerhalb eines Jahrzehnts von einer zentristischen Bewegung christdemokratischen Charakters – „christdemokratisch“ ist weniger eine Weltanschauung als eine Gruppenbezeichnung für ähnliche Parteien auf europäischer Ebene – zu einer linksextremen Wasserträgerin gewandelt hat. Das ist Ihnen zu extrem, vielleicht populistisch? Zur Erinnerung: noch vor einem Jahrzehnt war es nicht nur für die CDU, sondern auch für die SPD und weite Teile der Gesellschaft völlig undenkbar, eine Koalition mit der SED einzugehen.

Wieder Populismus-Alarm: die heutige Linke als SED zu bezeichnen ist AfD-Sprech. Auch hier sickert bereits die linksextreme Ideologie durch die Mauerritzen in die Köpfe von Journalisten und Medienrezipienten. Denn die PDS war keine komplett andere Partei als die SED, sie war auch nicht eine „Nachfolgerpartei“ der SED, sie ist die SED unter anderem Namen. Niemand wäre in den 1950er Jahren auf die Idee gekommen, dass die Sozialistische Reichspartei (SRP) etwas anderes war, als eine Neugründung von Nationalsozialisten, um die Bundesrepublik von innen auszuhöhlen und in einen Führerstaat umzuwandeln.

Der SED dagegen, die sich in PDS umbenannte, unterstellte man nach 1990, dass sie sich schon bessern würde – trotz derselben Köpfe, trotz derselben Organisation. Die Linkspartei ist mit der SED genauso rechtsidentisch wie die Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich. Ein irgendwie fabulierter Untergang und dann folgende Neugründung ist deswegen schon eine Legenda negra, weil beide sonst auf ihre Rechte und Pflichten hätten verzichten müssen (im Falle der SED: auf ihr Parteivermögen).

Hysterie und entlarvende Verplapperer
Nach der Landtagswahl in Thüringen: Wahlsplitter
Während in Russland die sowjetische KPdSU verboten wurde, oder in Tschechien ehemalige Geheimdienstmitarbeiter bis heute keine Behördenlaufbahn einschlagen dürfen, konnte die SED unter neuem Namen schalten und walten, wie sie wollte. Sie behielt ihr Vermögen und damit ihre Einflussmöglichkeiten, sie hatte weiterhin Leute vor Ort, sie führte ihr Leben latent auf dem Gebiet der Ex-DDR fort, und streute Unmut in jenen Landstrichen, zu deren Anwalt sie sich selbst erhob, obwohl sie diese erst so zugrunde gerichtet hatte (Zitat sinngemäß von Hubertus Knabe). In Westdeutschland erkannte man die Partei als possierliches Ostphänomen zurückgebliebener Cousins, das sich aber mit dem baldigen Aufschwung bald erledigen würde.

Bis Ende der 2000er Jahre galt dennoch das Credo: mit den Linken nicht. Abgesehen von einer Ausnahme in Mecklenburg-Vorpommern hatte das bei der SPD weniger moralische als parteitaktische Gründe: seitdem sich Lafontaine von Schröder getrennt, und später die Linkspartei zur „Nemesis“ an der SPD umgeformt hatte, galt die Direktive, den Gegner zu isolieren und darauf zu spekulieren, dass die neugeborene SED wieder unter 5 Prozent fiele. Der Skandal, als die SPD-Kandidatin Ypsilanti nach der Landtagswahl in Hessen eine Minderheitsregierung aus Rot-Grün formen wollte, um sich anschließend von den Linken „dulden“ zu lassen – heute fast vergessen. Parteiaustritte, Petitionen, Hetzjagden auf Stimmverweigerer und zuletzt ein desaströses Ende nach einer Neuwahl, von der sich die Hessen-SPD im Grunde bis heute nicht erholt hat. Das war der Umgang mit den linken Extremisten Anno 2008.

Ein Jahr später verlängerte der damalige Innenminister Schäuble die Beobachtung der Linken durch den Verfassungsschutz. Für weite Teile der CDU war klar: hier handelt es sich um Verfassungsfeinde. Die SPD indes gründete im selben Jahr unter Platzeck die erste rot-rote Regierung in Brandenburg. Ein Grund mehr für die Union, jetzt heftiger auf die Linken zu schießen. Allein: ab dieser Zeit nahm die linksradikale Ausrichtung der CDU an Fahrt auf.

Landtagswahlen im Osten
Der „Kampf gegen Rechts“ stärkt die AfD
Die Positionen bezüglich Energie- und Immigrationspolitik – letztere zeichnete sich durch den bis dato linksradikalen Slogan „Refugees welcome!“ aus – müssen an dieser Stelle nicht noch einmal aufbereitet werden. In dieselbe Reihe gesellt sich die Unterstützung linksextremer Organisationen wie der Amadeu Antonio Stiftung, deren gesellschaftliche Forderungen alles andere als die „Mitte der Gesellschaft“ repräsentieren. Der Wandel von der Forderung nach VS-Beobachtung hin zu möglichen Koalitionsangeboten in Thüringen geschah innerhalb einer einzigen Dekade.

Die zähneknirschende Toleranz der politischen Elite hin zu freudigen Willkommensgesten gegenüber der umbenannten SED ist dabei nicht nur in historischer Hinsicht zweifelhaft. Sie steht für die Takt- und Orientierungslosigkeit der Berliner Republik, die jeden Tag die zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur als Menetekel deutscher Politik deutet, aber die 40 Jahre sozialistischen Regimes in der DDR nahezu komplett ausklammert – und heute zu 30 Jahren Mauerfall mit den einstigen Genossen feiert.

Der Gipfel: man dürfe AfD und Linke nicht auf eine Stufe stellen. Wenn die Linke eine Nachfolgerpartei der SED sei, dann die AfD natürlich jene der NSDAP. Das ist in etwa so absurd, als wollte man behaupten, die SED sei nicht so schlimm, sie habe ja nur Bautzen zu verantworten, die AfD dagegen Auschwitz auf dem Gewissen. Dass das nicht nur ein schiefer Vergleich ist – die SED hat im Gegensatz zur AfD historische Verantwortung – sondern auch eine unverfrorene Infamie gegenüber den Opfern des SED-Regimes, bedarf keiner weiteren Vertiefung.

Warum ist die DDR wieder Thema?
Die volkseigene Erfahrung
Niemand hat für diese erinnerungspolitische Wende um 180 Grad mehr getan als die CDU. In ihrem Bemühen, die AfD so zu disqualifizieren und zu verdrängen wie Schröder dazumal die Linken, hat sie sich mit letzteren schon früh arrangiert. Nun steht sie Seite an Seite mit den selbsternannten „demokratischen Parteien“, die auf der Verfassung stehen, obwohl sie selbst noch immer in Teilen beobachtet wird. Im parteiübergreifenden Kampf gegen die AfD ist die SED als „normale“ Partei im bundesrepublikanischen Parteiensystem angekommen.

Die Verantwortung dafür trägt die CDU. Sie hat wegen ihres ausbleibenden Widerstands ein Klima linksextremer Gesinnung zugelassen, in dem Homo-Ehe, Zensur kritischer Diskussionskultur im Internet, Milliardenausgaben für staatlich verordnete Energiepolitik und linksradikale Gesellschaftsexperimente an unseren Kindern gedeihen. Sie hat in bald fünfzehn Jahren durchgängiger Regierung so gut wie nichts dagegen unternommen, sondern sich fast durchweg dafür eingesetzt. Die Opposition ist für sie ein Elend geworden, selbst ist sie davon überzeugt, dass dieses Land ohne sie nicht mehr bestehen kann. Regierungssüchtig wie sie ist, stellen die Koalitionsavancen in Thüringen nicht etwa einen Tabubruch dar – nein, es ist die zwingende Konklusion jahrelangen Wegsehens, das nun in fröhlicher Annahme des Schicksals mündet. Amor fati, CDU.

Marco Gallina schreibt vorzugsweise auf www.marcogallina.de/

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