In diesen Tagen zeigt sich wieder einmal, warum das anglo-amerikanische Mehrheitswahlrecht doch einige praktische Vorteile über das deutsche Verhältniswahlrecht besitzt. In den USA beispielweise führt das Mehrheitswahlrecht (wenn auch nur indirekt durch das Wahlmännersystem) zur bekannten Konzentration des politischen Spektrums in nur zwei relevanten Parteien – mit allen damit unzweifelhaft verbundenen Problemen. Jedoch sorgt das Mehrheitswahlrecht für klare Verhältnisse: Es kann nur einer gewinnen. 2016 traten in den USA zwei extrem polarisierende (und unbeliebte) Kandidaten gegeneinander an und das amerikanische Wahlvolk entschloss sich, dem weniger unbeliebten von beiden für vier Jahre die Chance zu geben, unter Beweis zu stellen, was er im (oder gegen selbigen) politischen Betrieb ausrichten kann. Seine Gegnerin wurde in der Wahlnacht vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit blamiert, beendete daraufhin hoffentlich ihre politische Karriere und verdient seitdem massig Geld mit Büchern über ihre Niederlage und Vorträgen.
Das Verhältniswahlrecht besitzt diese Tendenz zu klaren Verhältnissen bekannterweise nicht. Es bietet dagegen die (theoretische) Möglichkeit zur differenzierteren Repräsentation des Wählerwillens, indem es keine der Stimmen, die die Größe einer Parlamentsfraktion bestimmen, unter den Tisch fallen lässt (sofern die Zweitstimmen für eine Partei in Deutschland die Fünfprozenthürde überspringen). Somit haben auch kleinere Interessensgruppen einen Anreiz, sich unabhängig politisch zu organisieren. Im Ergebnis sind in Staaten, die nach dem Verhältniswahlrecht abstimmen, typischerweise zwei größere Sammlungs- oder Volksparteien und eine schwankende Zahl kleinerer Parteien parlamentarisch vertreten, wobei eine der beiden ersteren oft zu Koalitionen mit letzteren genötigt ist, um eine Mehrheit der Abgeordnetenstimmen zu erzielen.
Denn sowohl in den USA, als auch in Deutschland ist die Ablehnung dieses Establishments auf hohes Niveau gewachsen. In Übersee stand Hillary Clinton wie keine andere für die seelenlose Machtpolitikerin, die sich mit Blick auf ihre Skandale schon längst in den Ruhestand hätte verabschieden sollen, während in Deutschland Angela Merkel auf ewig die Flüchtlingskrise anhängen wird als Prototyp des Vertrauensbruchs zwischen Politik und Volk.
Aber durch die Mehrdeutigkeit des deutschen Wahlsystems und die unklaren Machtverhältnisse dauert es in Deutschland ungleich länger, bis die Botschaft der Wähler durch die Institutionen und Parteien bis hinauf zur politischen Führungsspitze gewabert ist. Dies wird dem vielzitierten deutschen Wunsch nach Stabilität gerecht. Andererseits überschattet dieser Prozess politisch alle anderen Themen, bis er vollendet ist, was aktuell schon mehr als vier Monate in Anspruch nimmt. Merkels Partner, die SPD, die sich anschickte, die Kanzlerin humanitär noch zu überholen und die CSU, die in die Rolle einer letztendlich wirkungslosen Oppositionspartei innerhalb der Regierung gerutscht war, haben beide ihr Fett bereits wegbekommen.
Mit Schulz hat es das schwächste Glied in der strapazierten Kette getroffen, die das postenverwöhnte Establishment der beiden „Volksparteien“ zum Zwecke des Machterhalts noch zusammenhält. Sein tiefer Fall in der SPD zeigt, dass es erstaunlicherweise möglich ist, die bis vor kurzem noch wichtigste Person einer Partei innerhalb von Wochen ins Nichts zu katapultieren. Aber auch der in Bayern geschasste Horst Seehofer sollte seinen Platz am Kabinettstisch besser noch nicht zu sicher wähnen. Neben Spekulationen über seinen Gesundheitszustand könnten auch seine Plaudereien darüber, wie er gleich drei verschiedene Ministerämter dem Innenminister (+Heimat) vorgezogen hätte, in diesen politisch angespannten Tagen für unerwartete Eruptionen sorgen.
Am ersten Morgen nach Trumps Wahlsieg war die Welt bereits eine andere. Deutschland holt nur auf. Erst wenn Merkel abgelöst worden ist, wird das Ergebnis der letzten Bundestagswahl vollumfänglich in die politische Realität umgesetzt worden sein – und das Land wird merken, welche Tortur es bis dahin hat erdulden müssen.