Soll man sich nun über den geballten Kampf gegen Rassismus freuen oder ihn fürchten? Er zeigt allemal, dass Politiker und Meinungsführer dem Bürger, Wähler und Finanzier vieler staatlicher Aktivitäten, zumal dem alteingesessenen, in gehörigem Ausmaß misstrauen, selbst wenn sie einen Generalverdacht verneinen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat kürzlich in den Medien eine „breit angelegte“ Studie „zum Rassismus in der (Gesamt-)Gesellschaft“ angekündigt. Eine entsprechende Studie über rechtsextreme Tendenzen allein in der Polizei, wie von zahlreichen Politikern gefordert, lehnt er aber weiterhin ab. Aus guten Gründen, wie TE neulich dargelegt hat. Gegenüber Bild am Sonntag erklärte der Bundesinnenminister: „Eine Studie, die sich ausschließlich mit der Polizei und dem Vorwurf eines strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei beschäftigt, wird es mit mir nicht geben. Das wird auch dem Problem nicht im Ansatz gerecht. Hier bedarf es eines wesentlich breiteren Ansatzes für die gesamte Gesellschaft, und an diesem arbeiten wir.“ Vor Kurzem hat das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Bericht zum Thema präsentiert, der gut 350 „Verdachtsfälle auf Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“ zu Tage förderte.
Bei der geplanten deutschlandweiten Rassismus-Studie – wenn man diese denn für nötig befindet – wird es darauf ankommen, welches Forschungsinstitut beteiligt ist und wie sachlich bzw. politisch tendenzfrei die Untersuchung angelegt sein wird.
Nicht die erste Rassismus-Studie
Es ist ja nicht so, als lebten wir im Tal der Unwissenden, was – wahlweise – Rassismus, Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit usw. usf. angeht. Es liegen unzählige kleine und größere Studien vor, auf nationaler wie internationaler Ebene (EU, UN). Beispiele sind
- die „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES);
- die „Autoritarismus-Studien“ der Universität Leipzig;
- verschiedene Bundesländer-Monitore zur politischen Kultur, die das Thema Diskriminierung/(Rechts-)Radikalismus mit abdecken;
- eine Vielzahl von Publikationen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die u.a. „Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“ (2020), „Diskriminierungsrisiken von muslimischen Frauen mit Kopftuch auf dem deutschen Arbeitsmarkt“ (2016), „Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma“ (2014) und „Meinungen zur Diskriminierung von Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft“ (2014) analysiert haben.
- Ganz neu ist der vom Bundestag beauftragte „Rassismus-Monitor“ des Deutschen Zentrums für Integrations-und Migrationsforschung (DeZIM), der als Stärkung der Rassismusforschung in Deutschland gefeiert wird. Das DeZIM hatte 2019 in der Studie „Ost-Migrantische Analogien“ Migranten, speziell Muslimen, und Ostdeutschen bescheinigt, in puncto „sozialer, kultureller und identifikativer Abwertung“ ähnliche Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland zu machen, Ostdeutsche also – eine spezielle Sichtweise – als Quasi-Migranten definiert.
- Auch einzelne Organisationen betätigen sich als Umfrageforscher. So sieht sich die Initiative Schwarzer Menschen als „Anlaufstelle für das Berliner Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin“. „Betroffene“ können der Initiative so betrachtete „Fälle von anti-schwarzem Rassismus melden“.
Vereinzelt, jedoch seltener, stehen Zuwanderergruppen als Subjekte mit ihrer Weltsicht im Fokus, so etwa in der Studie der Universität Münster „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ oder der Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung „Was uns prägt. Was uns eint“. Hier wurde beispielsweise auch erhoben, wie Muslime es empfinden, wenn eine Muslima einen Christen heiratet.
Sämtliche vorliegenden Studien und Umfragen können für die angekündigte Deutschland-Studie von Horst Seehofer in Teilen Vorlagen liefern (werden das mutmaßlich auch), aber freilich auch dafür sorgen, dass Schwachstellen bei einer Eins-zu-Eins-Übernahme nicht hinreichend überdacht werden.
Definitionen, Indikatoren, vorgegebene Statements entscheidend
Der populäre Slogan, demzufolge „es drei Arten von Lügen gibt: Lügen, infame Lügen und Statistiken“, ist natürlich schief, enthält aber einen wahren Kern. Der lautet schlicht: Je nach dem Kreis der Teilnehmer, konkreter Fragestellung, der Interpretation verwendeter Begrifflichkeiten und der Auslegung von Befunden kann man zu ähnlichen Themengebieten sehr unterschiedliche statistische Ergebnisse erhalten. Alles auch eine Frage der Methode.
Wenn in zahlreichen Publikationen die Zustimmung zum Satz „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein“ als Feindseligkeit gegenüber Asylbewerbern gilt, mutieren Bürger, die eine streng am Recht orientierte entsprechende Behandlung von Zuwanderern wünschen, mal schnell zum Fremdenfeind. Demjenigen, der meint: „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“, wird rechtslastiger Chauvinismus unterstellt. Und eine Person, die im klassischen Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Meinung war, „für eine Frau sollte es wichtiger sein, ihrem Mann bei seiner Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen“, outete sich als Sexist – ganz so, als gäbe es für Frauen keine größeren Leiden an der Gesellschaft.
Des Öfteren ist es für den Befragten auch nicht so einfach, sich gegenüber pauschalisierenden, grellen Statements klar zu positionieren. „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind“: Wer sind Unruhestifter, wie soll man sie seine Abwehr spüren lassen? Vorsicht, wer zustimmt und vielleicht an aggressive Demonstranten denkt, gilt als anfällig für Autoritarismus. Das in der Forschung gern verwendete, leicht verschlungene Statement zum „subtileren“ israelbezogenen Antisemitismus „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ vermengt Haltungen zu „den Juden“ weltweit mit konkreter Jerusalemer Regierungspolitik.
Generell gibt es bei allen standardisierten Umfragen bestimmte Antworttendenzen, die tatsächliche Einstellungen der Befragten verschleiern können. Die Orientierung an der „Sozialen Erwünschtheit“ zum Beispiel beschreibt die Tendenz von Befragungsteilnehmern, das zu sagen, was der Interviewer oder andere beteiligte Personen nach ihren Vermutungen von ihnen erwarten.
Die von einzelnen skeptischen Lesern der Studien und Publikationen, z.B. in der FAZ („Was und wo ist die nebulöse „Mitte“?“) , vorgebrachten „kritischen Rückmeldungen“ wurde von den beteiligten Forschern Oliver Decker und Elmar Brähler wohl stellvertretend für die Forschungs-Community samt und sonders energisch zurückgewiesen, unter anderem mit dem Hinweis, die betreffenden Items würden zum Teil in der ‚Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften‘, aber auch in nationalen und internationalen Vergleichsuntersuchungen ähnlich oder im Wortlaut verwendet“. Kritik werde „oft“ vorgebracht, um die „Mitte“-Studie zu disqualifizieren.
Grundsätzliche Unterscheidung: Worte und Taten versus Einstellungen und Gefühle
Generell muss man sich darüber im Klaren sein, dass Untersuchungen, die wie auch die geplante bundesdeutsche Rassismus-Studie, nach Rassismus, Diskriminierung, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit usw. in Bevölkerungsgruppen fahnden, nicht primär Worte oder Taten – die eigentlich gesellschaftsschädlichen, ggf. justiziablen Phänomene – im Visier haben, sondern zuvorderst private Gedanken und Gefühle aus ihren Interviewpartnern herauszulocken versuchen. Um dann festzustellen, dass an diesen gearbeitet werden müsse, bevorzugt durch politische und gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Wenn etwa der Thüringen-Monitor 2019 vollmundig fast ein Viertel der Befragten (!) als „rechtsextrem eingestellt“ einordnet, werden hier wohl bemerkt von den Wissenschaftlern zum Ausdruck gebrachte Überzeugungen bewertet, nicht grundgesetzwidrige Aussagen oder Taten nachgewiesen.
Einschränkungen bzw. Defizite bisheriger Forschung und Umfragen
Die bisher vorliegende Umfrageforschung weist einzelne Charakteristika, auch Schwachstellen auf.
1. Sprache: Zunächst einmal setzen die Umfragen voraus, dass die Teilnehmer der Telefonumfragen hinreichend gut Deutsch sprechen. Wer auch Bevölkerungskreise mit begrenzten Deutschkenntnissen einbeziehen möchte, sollte und muss den Fragebogen in zahlreichen Sprachen ausarbeiten.
2. Spektrum der Merkmale und Themenfelder: Die vorliegenden Untersuchungen differenzieren die Umfrageteilnehmer gemeinhin nach vielen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, politische Präferenzen, Berufstätigkeit, Einkommen, Kirchenzugehörigkeit (meist mit ja/nein ohne Zuordnung zu Religionen abgefragt), auch immer noch gern Ost/West. Eine Unterscheidung der migrantischen Bevölkerung – einschließlich Ausländern – von der nicht-migrantischen Bevölkerung erfolgte bislang seltener. In der Studie „Gespaltene Mitte“ von 2016, die in der Stichprobe im Buch nicht nach Migranten und Nicht-Migranten differenziert und explizit nur deutsche Staatsangehörige zwischen 16 und 90 Jahren einbezieht, findet sich dazu am Rande die Anmerkung: In der Tendenz sei Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unter Befragten mit Migrationshintergrund (28 Prozent der Befragten) „etwas weiter verbreitet“, etwa bei den Aspekten Rassismus, Sexismus, Antisemitismus. Größere Unterschiede seien bei der Abwertung von homo- und transsexuellen Menschen erkennbar. Weiter heißt es: „Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, in der spezifische Subgruppen unweigerlich nur in geringer Anzahl vertreten sind, erlaubt weder differenzierte Analysen, auf welche Herkunftsgruppe diese Unterschiede primär zurückgehen, noch zu den wahrscheinlich bestehenden Unterschieden zwischen migrantischen Befragten mit unterschiedlicher Herkunft“. – Hier müsste und könnte man die Stichprobe wohl disproportional anlegen. Wo Menschen mit Migrationshintergrund und nach relevanten Herkunftsregionen statistisch in der Gesamtbevölkerung untergehen, wird eine differenzierte Sichtweise verhindert, speziell zu Aspekten wie: Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Abwertung von Sinti und Roma, „Etabliertenvorrechten“, Geschlechtsrollen.
3. Haltungen von Migranten zu Deutschland: Parallel bleibt in der Regel die Haltung von Migranten mit oder ohne deutschen Pass gegenüber ihrem Wohn-Land unterbelichtet. Man erkundet zuvorderst, was die Gesamt-Bevölkerung mit deutschem Pass im Hinblick auf Zuwanderer und kulturelle/sexuelle Minderheiten denkt, erfährt aber weniger dazu, wie nahe sich etwa Muslime Christen oder Atheisten fühlen, was migrantische Bevölkerungsteile von „deutschen“ Nachbarn denken. Mehr Reziprozität/Wechselbezüglichkeit wäre auf jeden Fall sinnvoll. Wenn in der kommenden Studie von Horst Seehofer abgefragt werden sollte, wie die Befragten das Handeln der Polizei und Sicherheitsbehörden einschätzen, also wie „rassistisch“ die Polizei ist, sollte auch ein Blick auf Bevölkerungskreise geworfen werden, die die Polizei und die Sicherheitsbehörden eher als Feind denn als Freund und Helfer sehen. Die Einbeziehung aller relevanten sozialen und ethnischen Gruppierungen ist wichtig, will man ein umfassendes Bild der Gesellschaft erstellen.
4. Linke Einstellungen: Bisherige Forschung konzentriert sich stark auf eher „rechts“ verortete Weltbilder (Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus), aber auch sogenannten „Rechtspopulismus“. Es gibt weniger Theorien, Fragestellungen und Befunde zu linkem Radikalismus und „Linkspopulismus“. Relativ bekannt ist die Untersuchung von Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder (Freie Universität Berlin) aus dem Jahr 2015 „Linksextremismus in Deutschland“. Das Forscherteam postulierte, dass „linksextreme Einstellungen … in Deutschland weit verbreitet sind“. Danach hatte ein Sechstel der Gesamtbevölkerung (Westdeutschland: 14 Prozent; Ostdeutschland: 28 Prozent) „eine linksradikale/linksextreme Grundhaltung“. Die Studie erfuhr viel Kritik, der Tagesspiegel monierte, sie „schürt Angst vor Gefahr von links“, sei unpräzise und einseitig.
Als ein Themengebiet hat der Monitor Sachsen-Anhalt (2018) sich neben dem rechten auch dem linken Einstellungsspektrum gewidmet. Betont links sind demnach vor allem die Überzeugungen: „Wichtige Wirtschaftsunternehmen müssen verstaatlicht werden“ (Zustimmung unter den Befragten in Sachsen-Anhalt 18 Prozent), „Kapitalismus führt zwangsläufig zu kriegerischen Auseinandersetzungen“ (20 Prozent) und „Ausländerfeindlichkeit lässt sich bei uns in Deutschland überall im Alltag beobachten“ (30 Prozent). Eine Anhängerschaft von im Schnitt 5 Prozent fanden in Sachsen-Anhalt die Statements: „Der Kapitalismus führt letztlich zu Faschismus“, „Die deutsche Ausländerpolitik diskriminiert Menschen nicht-deutscher Abstammung“, „ Die Lebensbedingungen werden durch Reformen nicht besser – wir brauchen eine Revolution“, „Der Staat ist ein Instrument der Unterdrückung, das abgeschafft werden muss“, „Nur im Sozialismus bzw. Kommunismus ist ein menschenwürdiges Leben möglich“, „Deutschland sollte prinzipiell alle Menschen aufnehmen, die in unserem Land Zuflucht suchen.“
Grundsätzlich erscheinen linke Dispositionen, weil sie sich stark für ärmere Menschen einsetzen und freundlich Zuwanderung „für alle“ in Ordnung finden, im öffentlichen Diskurs harmloser als rechte und laufen eher unter Jugendsünden, werden anders als deutlich „recht(sradikal)e Haltungen“ eher als „Militanz“ denn als Radikalismus oder Extremismus tituliert. Die im Bundesprogramm „Demokratie leben“ als Kompetenznetzwerk für „linken Extremismus“ geführte Abteilung des Göttinger Instituts für Demokratieforschung firmiert offiziell als „Bundesfachstelle für linke Militanz“. Das Wort „Militanz“, so heißt es auf deren Website, stelle eine Abgrenzung zum vor allem sicherheitsbehördlich geprägten Begriff des (Links-)Extremismus dar. „Der Begriff der Militanz hat den Vorzug, dass er weniger stigmatisiert, zumal es sich auch um eine viel diskutierte Selbstbeschreibung handelt, gleichzeitig ist der Begriff aber offen für die Problematisierung von Gewalt. …“ Verstanden wird darunter „a) kämpferisches (aber nicht unbedingt automatisch gewalttätiges), b) tatbetonendes Auftreten und Handeln mit c) linksradikalen Absichten und Zielen.
Die bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden unterscheiden übrigens auf der sprachlichen Ebene zwischen (harmloserem) Radikalismus und Extremismus. Bei „Radikalismus“ handele es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte von der Wurzel her anpacken wolle. Im Unterschied zum „Extremismus“ sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien der Verfassungsordnung beseitigt werden. „So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten.“ – Auf der rechten Seite werden Militanz, Radikalismus und Extremismus, soweit ersichtlich, in den fraglichen regionalen und (inter)nationalen Studien nicht so präzise unterschieden.
Die zentrale politische wie wissenschaftliche Frage, ob man rechte und linke fundamentale Gesellschaftskritik als ähnliche Erscheinungen qualifizieren sollte, haben die Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler in der Studie „Flucht ins Autoritäre“ für sich klar mit Nein beantwortet. Die Erwähnung von Rechtsextremismus mit Linksextremismus zu kontern, sei „irrational“, meinen sie. „Die extreme Linke ist nicht einfach eine gespiegelte extreme Rechte, weder in ihren politischen Zielen, noch in ihrer Ideologie – die nur im Falle der Rechten eine Ideologie der Ungleichwertigkeit ist –, noch im Ausmaß der Gewalt, ganz besonders der Gewalt gegen Menschen.“ In einschlägigen Publikationen stößt man allerorten auf das beliebte Signalwort „Gleichwertigkeit“ als Charakteristikum linkerer Gesellschaftsmodelle. Sein Charme: Es ruft positive Assoziationen von der Gleichheit aller Menschen hervor, konkretisiert sich konkret in Gesellschaftsmodellen aber auch in mehr Verstaatlichung/Enteignung von Privatpersonen, einer grenzenlosen Aufnahme von Zuwanderern und der Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaftsform nach erfolgter Abschaffung des derzeitigen Systems – alles in der Gesamtbevölkerung durchaus strittige Phänomene.
Viele Stellschrauben beim Projekt-Design
Unter dem Strich gibt es also eine Menge Stellschrauben für die von Horst Seehofer angekündigte „Rassismus-Studie“ für die gesamte Republik. Wünschenswert wäre auf jeden Fall, dass die Studie sich nicht nur auf die Gruppen konzentriert, die im derzeitig hitzigen öffentlichen Diskurs im Mittelpunkt stehen, und auch Vorurteilen gegenüber weiteren Gruppen wie „alten weißen Männern“ oder „Einheimischen“ nachspürt, selbst wenn linke Kritiker der Gesellschaft neuerdings erläutern, Rassismus gegen Weiße/Deutsche/(Männer) könne es definitionsgemäß ja gar nicht geben, höchstens „Vorurteile, Feindseligkeit und Übergriffe“ oder die Beschimpfung als „deutsche Kartoffel“.
Sinn und Zweck auch eines unter der Überschrift „Rassismus-Prävention“ laufenden Projekts kann und sollte es jedoch sein, gesellschaftsschädliche, das soziale Miteinander und den Zusammenhalt störende Einstellungen, Worte und Taten dingfest zu machen mit dem Ziel, Konflikte und Polarisierungen zu reduzieren. Nun gehen allerdings potenzielle Gefahren und Konflikte für Staat und Gesellschaft nicht nur von Rassismus im engeren Sinn, der Einstellung von Gruppen zueinander, aus. Auch Gewaltbereitschaft, das Leiden an Armut und sozialökonomischer Unterprivilegierung, Politikverdrossenheit, Konflikte über die Migrationspolitik, Enteignungen usw. tragen eine system-destabilisierende Wirkung in sich. Insofern wäre es sicherlich ertragreicher, nicht nur eine „Rassismus-“, sondern eine umfängliche „Einstellungs-Studie“ durchzuführen und möglichst viele erkennbare Konfliktherde zu beleuchten.
Man darf gespannt sein, welches Konzept und welche Erkenntnisse die Bundesregierung vorlegen wird. Selbst wenn sich Horsts Seehofers Deutschland-Studie der Ankündigung nach nicht auf Sicherheitsbehörden konzentrieren wird, stehen Sicherheitsbehörden weiterhin im Scheinwerferlicht der Rassismus-Debatte. So hat die EU-Kommission am 18. September einen großen „EU-Aktionsplan gegen Rassismus 2020–2025“ vorgelegt, wird einen EU-„Anti-Rassismus-Koordinator“ benennen und „ermutigt“ ihre 27 Mitgliedstaaten, „bis Ende 2022 nationale Aktionspläne zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung zu verabschieden“ (… den es in Deutschland seit 2017 bereits gibt). Ein Punkt des Maßnahmenkatalogs zielt auf „faire Polizeiarbeit“. Der EU-Grundrechteagentur zufolge haben 45 Prozent der Menschen mit Abstammung aus Nordafrika, 41 Prozent der Roma und 39 Prozent der Menschen mit Abstammung aus Ländern südlich der Sahara bereits Diskriminierung erlebt. 11 Prozent der Juden haben sich diskriminiert gefühlt, weil sie jüdisch waren, heißt es in der Pressemitteilung – wobei man sich offenbar auf subjektive Statements der Betroffenen, keine justiziablen Tatbestände stützt – eine grundsätzliche Schwachstelle der gesamten Rassismus-Diskussion, die leider immer noch kaum diskutiert wird.
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sympathisiert mit einer Polizei-Studie. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Innenminister Georg Maier, stellt sogar eine eigene Studie der SPD-regierten Bundesländer zu Rassismus bei Polizisten in Aussicht. „Die schiere Zahl von Einzelfällen wird langsam mal zu viel“, so der Minister. Das wirft die Frage auf, ob es nicht in vielen Gesellschaftsbereichen eine größere Zahl von unerwünschten Einzelfällen gibt. So gesehen spricht eben doch einiges für einen umfassenderen Ansatz.