Tichys Einblick
Protest gegen Lockdown

Die politischen Folgen der Politik in der Corona-Pandemie geraten in eine neue Phase

Die hohe Zustimmung zur bisherigen Corona-Politik könnte ebenso rasant erneut in eine Stimmung gegen die Regierung umschlagen, wie sie ab Beginn der Corona-Krise in eine Stimmung für sie umgeschlagen ist.

Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am 9.5.2020 in Stuttgart gegen Corona-Beschränkungen

imago images / Arnulf Hettrich

Nachdem die Politik in der Corona-Pandemie die Zustimmung zu den Regierungsparteien wieder auf mehr als fünfzig Prozent anwachsen ließ, fürchten sie inzwischen, dass sich dies angesichts eines aufkeimenden Protests gegen ihre Politik bald wieder ändern könnte.

Wie volatil aufgrund der Politik in der Corona-Pandemie inzwischen nicht nur die Aktienmärkte, sondern die politischen Stimmungslagen im Land geworden sind, belegt die öffentliche Diskussion um die in einigen Bundesländern und Städten erst seit kurzem aufbrandenden Demonstrationen gegen die im Zuge der Corona-Politik erlassenen Einschränkungen einiger wichtiger, im Grundgesetz verankerter bürgerlicher Grundrechte.

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Nicht nur die beiden Regierungsparteien, sondern auch die Grünen, die FDP und die Linke äußerten sich im Verbund mit den meisten Medien als höchst erfreut darüber, dass die Umfrageinstitute Union und SPD melden konnten, dass sie aufgrund ihrer Corona-Politik bei den Wählern zusammen wieder auf eine satte Mehrheit von über Fünfzig kommen würden, wären am kommenden Sonntag Bundestagswahlen. Als ein zu akzeptierender Schönheitsfehler wurde lediglich registriert, daß die Grünen gleichzeitig stark an Zustimmung verloren. Die damit einhergehende Frustration in Politik und Medien hielt sich aber in Grenzen, weil trotzdem die Aussicht auf eine schwarz-grüne Bundesregierung aufrecht erhalten blieb und außerdem auch die AfD in den Umfragen an Zustimmung einbüßte.

Bei allen gesundheitlichen Risiken, die von Covid-19 für bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgehen, wurde das neue Virus in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Lockdown gleichsam als eine Art Wundermittel gegen den sich abzeichnenden Niedergang der Volksparteien bei gleichzeitigem Aufstieg des „Rechtspopulismus” wahrgenommen. Die diesbezügliche Begeisterung währte allerdings nicht allzu lange. Seit kurzem schlägt sie vielmehr in die Sorge um, die in Deutschland praktizierte Corona-Politik könne in Verbindung mit der von ihr ausgelösten wirtschaftlichen Krise erneut einer Protestbewegung Auftrieb geben, die auch in den nächsten Landtags- und Bundestagswahlen ihren Niederschlag finden könnte. Durch die Bank gewarnt wird inzwischen davor, dass insbesondere die AfD sich an die Spitze dieser Protestbewegung setzen und damit einen neuerlichen Aufschwung bei Wahlen nehmen könnte, der zwangsläufig erneut zu Lasten von Union und SPD ginge.

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Die öffentlich zelebrierte, unverhohlene Freude darüber, dass mit Hilfe der Corona-Politik endlich der Aufstieg des „Rechtspopulismus” gestoppt und in einen Niedergang umgewandelt werden könne, musste bei den Protagonisten und Anhängern dieser Protestbewegung zwangsläufig dazu führen, dass sie nach Möglichkeiten suchten, die Schädlichkeit dieser Politik aufzudecken und öffentlich zu kommunizieren. Verstärkt wurde dies zusätzlich noch dadurch, dass die jeweiligen Regierungsparteien im Bund und in den Ländern das parlamentarische Sprachrohr dieser Bewegung, die AfD, aus allen überparteilichen Aktivitäten zur Bekämpfung der Pandemie weitgehend ausschlossen. Sie setzten so ihre Politik der Ausgrenzung gegenüber der AfD ungebrochen fort und fühlten sich darin durch die Umfragen zusätzlich bestätigt.

Beim Nachweis der möglichen Schädlichkeit der regierungsamtlichen Corona-Politik mussten deren Gegner nicht lange suchen. Niemand kann im Moment mit zufriedenstellender Verlässlichkeit sagen, ob der Lockdown am Ende der Krise mehr Nutzen als Schaden angerichtet haben wird, zumal sich das Verhältnis zwischen beiden je nach Bevölkerungsgruppe oder auch Region höchst unterschiedlich darstellen kann. Deswegen ist auch unter seriösen Fachleuten derzeit höchst umstritten, wie die endgültige bevölkerungsweite Bilanz aussehen wird, soweit es eine solche überhaupt geben kann. Fest steht lediglich schon jetzt, dass sie am Ende zum Beispiel für einen älteren verbeamteten Lehrer oder Behördenleiter anders aussehen wird als für eine junge selbständige Gastronomin, deren Betrieb insolvent wurde oder ein am Virus erkrankter und wieder genesener älterer Mitarbeiter eines Krankenhauses. Dass sie nach dem Ende der Krise bei der persönlichen Bilanzierung der in Deutschland praktizierten Corona-Politik zu demselben Ergebnis kommen, darf wohl ausgeschlossen werden  und wird wohl auch ihre politische Bilanzierung beeinflussen.

Hinzu kommt, dass die Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen selbst unter Fachleuten höchst umstritten ist. So gibt es beispielsweise anhand der Statistiken zur Übersterblichkeit gut begründete Zweifel, ob das Virus, wie vielfach behauptet, sehr viel gefährlicher ist als ein normales Grippevirus. Dabei geht es um die Frage, in welcher Größenordnung in einem Jahr mehr Menschen als im Durchschnitt früherer Jahre verstorben sind. Im Falle einer Virus-Erkrankung gibt es einen direkten Effekt des Virus selbst, der diese Zahl beeinflußt und einen indirekten, der sich aus den gegen die Ausbreitung des Virus eingesetzten Schutzmaßnahmen ergibt. Hinzu kommen bei der Beurteilung der zahlenmäßigen Entwicklung von Übersterblichkeit aber noch zahlreiche weitere Faktoren wie zum Beispiel die Altersstruktur oder auch die geschlechtliche Zusammensetzung einer Bevölkerung.

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Der Ökonomieprofessor Thomas Straubhaar schreibt in einer Analyse dieser für die Beurteilung der bisherigen Corona-Politik ebenso komplexen wie wichtigen Kennzahl in einem Beitrag für WELT-online vom 11. Mai, dass bei der Berechnung der Übersterblichkeit der direkte Effekt des Virus wahrscheinlich überschätzt, der indirekte der Schutzmaßnahmen hingegen eher unterschätzt werde. Für ihn gehört es daher „zur ewigen Tragik der Schadensverhinderung, dass immer Spekulation bleiben wird, was gewesen wäre, wenn man nichts gegen eine Gefahr unternommen hätte.“ Das bietet sowohl den Befürwortern der bisherigen Corona-Politik wie aber auch ihren zahlreicher werdenden Kritikern und Gegnern ausreichend Gelegenheit, sich über die Frage zu zerstreiten, ob diese Politik den Bürgern mehr hilft und nutzt oder mehr schadet.

Folgt man Straubhaars Argument, dann können die verantwortlichen Politiker für sich zwar in Anspruch nehmen, mit dem politisch verordneten Lockdown einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet zu haben; gleichzeitig können die Protestierer gegen diese Politik aber auch darauf hinweisen, dass die direkte Gefahr des Virus geringer ist als von den Politikern angenommen. Diese würden gleichsam mit Kanonen auf Spatzen schießen und damit mehr Schaden anrichten als verhindern. Bestätigt werden sie darin inzwischen sogar durch die aus dem Innenministerium inoffiziell bekannt gewordene und von TE veröffentlichte Studie, die im Zusammenhang mit der Politik in der Corona-Pandemie von einem weltweiten Fehlalarm spricht. Auch diese Bewertung kann sich im Nachhinein allerdings als falsch erweisen, zumal nicht auszuschließen ist, dass es aufgrund der zunehmenden Lockerungen noch zu weiteren Wellen bei der Ausbreitung des Virus kommen wird.

Anders als beim gesundheitlichen Nutzen der in Deutschland praktizierten Corona-Politik sind beim wirtschaftlichen Schaden die Wirkungszusammenhänge und Effekte dieser Politik klar und eindeutig, wenn auch noch nicht abschließend bezifferbar. Wenn ganze Branchen stillgelegt und Unternehmen über Monate geschlossen werden, liegt es auf der Hand, wie sich das auf Umsatz und Beschäftigung dieser Unternehmen und damit auf die gesamte Volkswirtschaft auswirkt, selbst wenn auch hier noch weitere Faktoren den Gang der Dinge beeinflussen. Das wissen die Verantwortlichen der Corona-Maßnahmen in der politischen Exekutive. Sie fürchten daher zurecht, dass der wirtschaftliche Schaden, den sie mit ihrer Politik notgedrungen anrichten, so groß werden könnte, dass er, gemessen am gesundheitlichen Nutzen, von einem Großteil der Bevölkerung bald schon als nicht mehr gerechtfertigt betrachtet werden könnte. Die hohe Zustimmung zur bisherigen Corona-Politik könnte dann ebenso rasant erneut in eine Stimmung gegen die Regierung umschlagen, wie sie ab Beginn der Corona-Krise in eine Stimmung für sie umgeschlagen ist.

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Dieses Risiko für die Regierung steigt mit jedem Tag, mit dem der Lockdown weitergeht und die Ausbreitung des Virus sich verlangsamt. Von daher auch der vermehrte Ruf aus den Regierungsparteien nach mehr Lockerungen, auch auf die Gefahr hin, dass die Zahlen wieder steigen. Damit bestätigen sie aber die Forderungen der Gegner ihrer Politik und befördern ungewollt den aufkeimenden Protest. Protagonisten wissen sehr wohl, dass der Zeitpunkt immer näher rückt, ab dem nicht mehr die politischen Gegner der regierenden Parteien, sondern diese selbst zum Opfer der Politik in der Corona-Pandemie werden könnten. Diese verläuft offenkundig nicht nur in epidemiologischer, sondern auch in politischer Hinsicht in unterschiedlichen, schwer zu kontrollierenden und zu steuernden Phasen mit offenem Ausgang.

Entsprechend aufgeregt, um nicht zu sagen hysterisch, reagieren inzwischen die etablierten Parteien sowie ihre Unterstützer in Medien und Wissenschaft auf einen sich formierende Protest gegen die bisherige Corona-Politik. Da es im Falle einer Pandemie nicht so einfach wie im Falle der Asylpolitik ist, dem Protest mit der Nazikeule zu begegnen, werden inzwischen neue Instrumente ersonnen, um den staunenden Bürgern zu erklären, dass die Demokratie in Gefahr gerate, sollten sie ihr demokratisches Recht auf Protest und Widerstand wahrnehmen und sich der aufkeimenden Protestbewegung in irgendeiner Form anschließen. In ihr lauerten nämlich zahlreiche Feinde der Demokratie wie die AfD nur darauf, ihre Mitwirkung dafür zu missbrauchen, Gesellschaft und Staat zu zerstören. Eine die Protestierer besonders herabsetzende Begründung hierfür lieferte der Politikprofessor Claus Leggewie in WELT-online vom 12. Mai mit der Aussage, bei dem Protest handle es sich um das Ergebnis eines kollektiven Wahns, der viele der Protestierer befallen habe. Der Alt68er Leggewie bezeichnet sie deswegen als „Covidioten“, ohne dass deswegen bislang die Sprachpolizei der Political Correctness eingeschritten wäre.

Nun steht, wie unter anderem die Neue Zürcher Zeitung vom 13. Mai berichtet, wohl außer Frage, dass sich unter den Protestierern einige Akteure tummeln, deren Gedankenwelt nicht erst seit der Corona-Pandemie etwas aus den Fugen geraten ist. Und ebenso steht wohl außer Frage, dass die AfD in der Protestbewegung eine Chance wittert, den Protestierern eine parlamentarische Stimme zu geben und so weitere Wählerschichten für sich zu gewinnen. Weder das eine noch das andere sind jedoch Gründe, der Protestbewegung ihre Legitimität rundweg abzusprechen und sie zu einer Gefahr für die Demokratie zu erklären.

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Ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen dürfen auch politische Wirrköpfe. Niemand weiß dies besser als Alt68 und Grüne wie Leggewie. Und dass politische Parteien sich mit sozialen Bewegungen verbünden und zu deren parlamentarischen Sprachrohr zu machen versuchen, gehört spätestens seit der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie zur Grundausstattung westlicher Demokratien. Man muss den aufkeimenden Corona-Protest nicht teilen und die Protestierer auch nicht mögen und sollte sie, wie alle Protestierer, bei Verstößen gegen geltende Regeln und Verbote auch zur Verantwortung ziehen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie mit diesen Verstößen in einer Pandemie nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die anderer Menschen gefährden. Sie zu gesellschaftlichen und politischen Schmuddelkindern zu erklären, verstößt hingegen nicht nur gegen den Geist einer selbstbewussten Demokratie, sondern wird auch in keinster Weise dem Umstand gerecht, dass derzeit niemand weiß, wie die Bilanz der bisherigen Corona-Politik auf der Soll- und der Haben-Seite nach der Krise aussehen wird.

Sollte sich die von Leggewie und anderen betriebene Verunglimpfung der Proteste gegen die bisherige Corona-Maßnahmen in Politik und Medien durchsetzen, wird sich die Entfremdung zwischen Teilen der Bevölkerung und dem politischen System weiter ausbreiten und bis in Bevölkerungsgruppen vordringen, die bislang alles andere als Systemkritiker oder gar Systemfeinde, sondern einfach nur brave Bürger gewesen sind. Erneut fänden sich Teile der Bevölkerung vom politischen wie auch medialen System nicht mehr repräsentiert und orientierten sich daher zusehends außerhalb dieser Systeme. Die selbsternannten Verteidiger der Demokratie hätten dann wieder zusätzlichen Anlass, über eine „Radikalisierung“ der gesellschaftlichen Mitte zu lamentieren, die sie ständig selbst forcieren.

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