In die mediale Debatte über die Vor- und Nachteile der vom Bund und den Ländern gegen die Corona-Pandemie in Gang gesetzten Schutzpolitik hat in der Stuttgarter Zeitung (StZ) vom 31. März der Historiker und Journalist Götz Aly einen interessanten Aspekt eingebracht. Unter dem Titel „Corona, die Krise und Hitler – eine Geschichtsstunde“ erinnert der Autor des im Jahr 2005 erschienen Buchs „Hitlers Volksstaat“ daran, dass die NS-Regierung angesichts des desolaten Zustands der Wirtschaft in Folge der Weltwirtschaftskrise unmittelbar nach ihrer Machtübernahme im Jahre 1933 Maßnahmen beschloß, „die auch wir derzeit zur Krisenbewältigung richtig finden.“ So wurden zum Beispiel Hunderttausende rechtskräftiger Pfändungs- und Zwangsräumungstitel gestoppt, was Hermann Göring damals mit den folgenden Worten begründete: „Der Hauseigentümer, der unbarmherzig und skrupellos arme Volksgenossen um Nichtigkeiten willen obdachlos macht, hat den Schutz des Staates bei diesem Treiben verwirkt.“ Mit dem Kriegsbeginn im Jahre 1939 durfte „bei Familien, die Soldaten stellten, nichts mehr gepfändet oder die Mietwohnung gekündigt werden.“
Auch die derzeit zugesagte Steuer- und Abgabenbefreiung von Anerkennungs-Zulagen für Arbeitnehmer, die trotz hoher Ansteckungsrisiken in Krankenhäusern, Pflegeheimen, bei der Polizei, den Rettungsdiensten oder in den Supermärkten ihren Dienst tun, hat ihren Vorläufer im Dritten Reich. Erfunden wurde dieses System laut Aly in Deutschland nämlich im Oktober 1940. Ähnliches gilt für die Methode der grenzenlosen Staatsverschuldung. Sie wurde zwar nicht von der NSDAP erfunden, dafür von ihr aber systematisch angewandt, um die darniederliegende Wirtschaft anzukurbeln und wieder Vollbeschäftigung zu erreichen.
Damals fragten die Bürger nur selten, „woher das Geld für ihre so sehr erwünschten Hilfen in schweren Zeiten kommt.“ Das ist derzeit nicht anders. Die Politik der ungedeckten Schecks verschaffte Hitler laut Aly bis ins Jahr 1939 wachsende Zustimmungswerte. Über einen solchen Zuwachs kann sich derzeit laut aktueller Umfragen vor allem auch die Union freuen. Ob er wie im Falle der NSDAP mehrere Jahre anhält, muss sich nach dem Ende der Corona-Pandemie erst noch zeigen. Weit schwieriger und für die Bevölkerung unangenehmer als das Drucken und Verteilen von Geld durch Schulden ist nämlich seine Erwirtschaftung und die Rückzahlung von Schulden. Hitler hatte dafür eine weitere Maßnahme in petto, die er auch zum Einsatz brachte – den kriegerischen Raubzug in benachbarten Ländern.
Eine Übernahme dieser Maßnahme durch die Bundesregierung fürchtet Aly indes nicht. Stattdessen sollten seiner Meinung nach, „die für die Rettungsschirme aufgenommenen Schulden bald zurückgezahlt werden, und zwar von uns allen, die wir jetzt davon profitieren. Also von den Rentnern wie von Lohn- und Gehaltsempfängern, von mehr oder weniger Bemittelten“. Dass die Bundesregierung diesem Rat folgen wird, ist angesichts des Umstands, dass damit gestiegene Zustimmungswerte wieder wie Börsenkurse rasant sinken könnten, wohl eher fraglich. Wenn die Politik des Schuldenmachens die Kurse der staatlichen Schuldenmacher nach oben treibt, werden sie sich mit Blick auf die bald anstehenden Bundestagswahlen wohl eher davor hüten, die Wähler davor mit einer Politik des Sparens zu traktieren. Bei den öffentlichen Auftritten einiger unserer Rettungs-Politiker aus Union und SPD hat man ohnehin den Eindruck, dass sie sich mit den Milliarden an Hilfsgeldern, die sie unter das Volk verteilen wollen, absolut in ihrem Element fühlen. Endlich brechen alle Dämme für eine schuldenfinanzierte Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sie ohnehin schon lange einreißen wollten.
In Zeiten, in denen bei jeder auch noch so weit hergeholten Gelegenheit nicht nur von der Linken und den Grünen, sondern auch von SPD und Union vor einer drohenden Wiederkehr des Nationalsozialismus in Deutschland gewarnt wird, ist es Götz Aly (und auch der StZ) hoch anzurechnen, dass er (sie) daran erinnert, aus wessen Arsenal manche der derzeit von ihnen (re-)aktivierten Rettungs-Maßnahmen stammen.