Mitte der 1990er erhielten zahlreiche renommierte Markenberatungen im deutschsprachigen Raum „geheimnisvolle“ Anrufe: Der Assistent eines parteipolitischen Generalsekretärs rief in der Riege der angesagtesten Institute an und bat für seinen Chef um einen Termin zwecks „Markenstärkung“ einer Partei in Österreich. Eine Nachfrage brachte Klarheit: Die FPÖ wolle sich als Marke positionieren. Zur Zusammenarbeit kam es nicht. Die deutschen Markenberatungen entschieden sich dazu, diese Branche nicht zu bespielen. Die parteipolitische Ausrichtung der FPÖ war allerdings nicht ausschlaggebend, sondern viel eher die Sorge, dass so mancher Kunde sich automatisch abwenden würde, sofern irgendeine vermeintliche parteipolitische Präferenz erkennbar wäre.
20 Jahre später. Heute ist es unprofessionell, wenn sich eine Partei keine Markenstrategen ins Haus holt. Das Wochenmagazin Die Zeit widmete Jean-Remy von Matt, dem schweizer Überwerber der Republik unter dem Titel „Jetzt mal mit Gefühl“ nicht nur ein ästhetisiertes Starschnittbild mit sorgsam geschlossenen Augen, sondern einen einseitigen Artikel über die exquisite Einrichtung seines mehrstöckigen Berliner Penthouse („In seinem Wohnzimmer steht nun ein alter französischer Lieferwagen, der als Heimkino dient. Die Deckenlampen hingen früher in Kirchen.“) … irgendwo stand auch etwas über sein Engagement für die CDU. Der Werber als Denker – kaum ein Bereich versucht sich dem Stigma der „Verkofe“ durch Anlehnung an Kunst und Ästhetik so zu entziehen wie die moderne Werbewirtschaft. Egal, ob SPD, FDP, Grüne, AfD oder selbst Die Linke – alle arbeiten mehr oder weniger offen mit ausgewiesenen Markenstrategen zusammen, die die parteipolitischen Botschaften möglichst so instrumentieren, dass sie die gewünschten Schlussfolgerungen unkontrolliert im Denken der Menschen insinuieren.
Der Glanz der Coolness
Die „Professionalisierung des Wahlkampfes“ ist so alt wie die Demokratie. Allerdings hatte sie früher andere Namen: Politische Propaganda oder Kampagnenführung. Die Wahlkämpfe der 1970er und 1980er Jahre basierten aus ausgeklügelten, weil klaren werblichen und medialen Strategien – ihre Protagonisten rühmen sich auch heute noch ihrer – in der Tat – gekonnten „Wahlkampfaktivitäten“ für Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl. Beschaut man sich allerdings die jüngste Geschichte, so wird deutlich, dass eine entscheidende Veränderung im Selbstverständnis der gesellschaftlichen Akteure stattgefunden hat: Heute führt ein Symposium der Evangelischen Kirche zu dem Thema „Marke Evangelisch“ oder die Tatsache, dass über Generalsekretäre hinaus vom „Markenkern“ der Partei gesprochen wird, nicht mehr zu Irritationen. Vor 25 Jahren hätte das Bekenntnis, man verkaufe Politik oder sogar Religion wie Zahnpasta zumindest die Gefahr einer öffentlichen „Verstimmung“ bedeuten können. Die unheilige Allianz aus Werbung und Politik rührte im Hintergrund, denn die Ernsthaftigkeit der Politik verbat die Nähe zur gewerblichen Instrumentierung. Heute ist das kein Problem. Partei darf, ja soll Marke. Warum?
Weil „Marken“ heute synonym sind zu den „Errungenschaften“ der modernen Warenwirtschaft: Marken wie Nike, Apple, Red Bull oder Levis sind „cool“. Sie sind kreative Impulsgeber und bestimmen die ästhetischen Urteile und Empfindungen global. Das Bekenntnis zu einer Marke hat (ob man es will oder nicht) vielerorts das Bekenntnis zu traditionellen Strukturgebern wie Familie, Religion oder Region wenn nicht ersetzt, so doch übernetzt. Kein Wunder, dass die Parteien ihr langweiliges und ernstes Image für Lifestyle oder Modernität ablegen möchten und sich deshalb nur allzu gern in die Nähe der bunten und hippen Markenwelt rücken. Marke bedeutet Emotion und diese neue Währung möchten Parteien gerne für sich nutzen: Schrei vor Glück, wenn Du den Lindner siehst …
Marken sind Sender – nicht Empfänger
Gefährlich wird diese Logik allerdings, wenn vergessen wird, was das strukturelle Wesen von Marken ist. Die intendierte Emotionalisierung einer Marke beruht darauf, dass Menschen mit einem Namen bestimmte Erwartungshaltungen verbinden. In einer unübersichtlichen Welt haben Marken die Aufgabe, Menschen intellektuell zu entlasten. Markensoziologisch: Marke ist ein positives Vorurteil. Man stelle sich den Gang in einen Supermarkt ohne positive Vorurteile vor … man würde das Geschäft tagelang nicht verlassen können, weil man die Güte jedes Produkts zu erkennen versuchte. Wie kommt es zu diesem Vorausurteil? Indem die starke Marke über lange Zeit ihre Leistungen in einer „typischen“ Art und Weise erbringt. Diese „Zusageverlässlichkeit“ bedingt, dass sich Menschen unter einem Namen etwas vorstellen können, weil sie diese spezifische Leistung entweder selbst erfahren haben oder aber Familie oder Freunde davon berichteten.
Das Leben ist konkret nie abstrakt
Es ist nur schwer vorstellbar, dass politische Parteien mit dem „totalitären System Marke“ auch nur ansatzweise oder temporär in Verbindung gebracht werden wollen, was nur das weit verbreitete Unwissen parteipolitischer Strategen hinsichtlich des Objektes ihrer Begierde offenbart. Hinzukommt eine weitere Vermutung: Es ist die seit ca. 30 Jahren im Marketing verbreitete Auffassung, dass die zunehmende Vergleichbarkeit der Produkte allein durch die Emotionalisierung ausgehebelt werden könnte. Was meint das? Weil heute alle Zahnpasta-Anbieter „sehr gute“ Zahnpasta produzierten, müssen dem eigentlichen Produkt ein zusätzlicher Wert, ein „added value“ beigefügt werden. Die Zahnpasta wäre nun „modern“, „exklusiv“ oder „naturnah“. Die Aufgabe der Werbung ist es, diese Emotionen bildgewaltig hervorzurufen. Diese angeflanschten „Werte“ haben die Eigenart abstrakt zu sein – das macht Emotionen aus, denn ansonsten wären sie nicht generell nachvollziehbar. Abstraktion ist allerdings das Gegenteil einer Marke, weil ihre Interpretation höchst subjektiv ist. Was „exklusiv“ oder „wertvoll“ ist, mag jeder Mensch unterschiedlich ausführen. Wer also „emotionalisiert“, kann zwar kurzfristig Aufmerksamkeit erzielen, aber langfristig verankert er keine Leistung, kein Bild, keine Erwartung mit einem Namen.
Aufmerksamkeit versus Markenkraft
Grundsätzlich gilt: Die aktuelle Verknüpfung von „Marke und Partei“ ist nur konsequent. In Zeiten austauschbarer Parteiprogramme und Kandidaten retten sich die Akteure in übergreifende Gefühlswelten, die zwar ein umfassendes „Wellness-Gefühl“ und vielleicht sogar zeitweise Aufmerksamkeit erzeugen, aber langfristig einen umso leereren Eindruck bei den Wählern hinterlassen. Denn zum Schluss bemisst sich der langfristige Erfolg einer Markenstrategie immer daran, ob das positive Vorurteil hinsichtlich eines Anbieters gestärkt oder entladen wurde. Dabei helfen keine schicken Strategien, sondern nur die Einlösung der versprochenen Leistungen.