Tichys Einblick
Masken brauchen Haltung, nicht Träger

Die neue deutsche Eskalation

Könnte es sein, dass die »Haltung« zur Maske – und bald zur Impfung … – wieder mal wichtiger ist als die Sache selbst?

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Die Lage »eskaliert«, so hört man. Nein, wir meinen auch weiterhin nicht die Schießereien in Berlin (bild.de, 28.12.2020; überhaupt ist es herzerwärmend, wenn Clan-Größen ihr Koma in einem vom deutschen Steuerzahler finanzierten Krankenhaus ausschlafen können). Wir meinen auch nicht die auf Steuerzahlerkosten eskalierenden Gehälter der Lufthansa-Piloten (welt.de, 27.12.2020), auch nicht den eskalierenden Sanierungsbedarf der Streitkräfte, der soll nämlich »brutal« sein (welt.de, 28.12.2020) – und Frau Dr. von der Leyen hat leider gerade keine Zeit, zu erklären, warum all die vielen Millionen Euro für die externen Berater nicht geholfen haben. Wir meinen nicht einmal die bald als »eskalierend« zu bezeichnende Sache mit den Islamisten im ach-so-toleranten Deutschland (welt.de, 28.12.2020: »»Legalistische Islamisten« wollen heimlich einen Gottesstaat nach den Regeln der Scharia errichten.« (Es könnten einem ja fragende Fußnoten einfallen, etwa die, was daran »heimlich« sein soll …).

Die große Eskalation, die neue Lage, die da in deutschen Landen eskaliert, es ist die neue deutsche Frage – es ist die große Maskenfrage!

»Die Bahn droht Maskenverweigerern mit dem letzten Mittel«, so erfahren wir aktuell (welt.de, 27.12.2020): »Zwar müssen renitente Maskenverweigerer« schon jetzt am nächsten Bahnhof aussteigen, bald droht dazu aber ein »dauerhafter sogenannter Beförderungsausschluss«!

Ich höre nun schon seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten, in diese merkwürdige Maskendebatte hinein, und die gesamte Zeit über meine ich da eine Disharmonie wahrzunehmen, einen Missklang von Tönen, einen im Ohr quietschenden Widerspruch. – Nun aber, in diesen ruhigen Tagen zwischen den Jahren, wo die Welt um uns trotz allem eben doch ruhiger wird, wird mir plötzlich klar, was es ist, das da so schief klingt.

Man könnte zunächst meinen, die große deutsche Maskenfrage wäre, ob man die Maske tragen soll oder nicht – also eine normative Frage – optional eine praktische: ob, wann und wie man sie tatsächlich trägt. So nahm auch ich es an, doch etwas daran schien mir schief.

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Ich erlebe täglich Menschen, die wie Rohrspatzen auf die Masken schimpfen, doch die komfortable Mehrheit von ihnen trägt die Masken dann eben doch, und sie tut es erstaunlich selbstverständlich, genauso wie die Angehörigen ihres familiären Einzugsbereiches es tun. (An die Leser und Bekannten, die es betrifft: Ich nenne jetzt keine Namen, doch Sie wissen, wer Sie sind – ich denke an Sie und schmunzle – es geht mir ja genauso!)

Und dann erlebe ich eine Zahl jener Menschen, die einen an jene »Non Player Characters« erinnern, die eigenes Denken durch Nachplappern der Wahrheiten der Propaganda-Slogans aus dem Staatsfunk ersetzt haben, und natürlich schimpfen sie über »Corona-Leugner«, »rechte Verschwörungstheoretiker«, et cetera. Doch, was mir zunächst wie eine Reihe von zufälligen, ja, »Einzelfällen« erschien, wirkt mir inzwischen wie eine Serie, eine Regel, ein Naturgesetz: Erstaunlich häufig »vergessen« eben jene, die sich sonst politisch am bravsten und gehorsamsten geben, in der Praxis die Maske.

Wir kennen ja das Coronatheater der Politiker, welche die Masken zu Fototerminen anziehen und sich ansonsten recht wenig um all die Regeln zu scheren scheinen, die sie dem Volk auferlegen. Wir kennen die ungezählten Beispiele von Gutmenschen, die schnell zu Bösmenschen werden, wenn ihre Forderungen sie selbst betreffen. Es wäre ja auch eine merkwürdige Abweichung vom zu erwartenden Muster, wenn es bei den Masken anders wäre!

Die große deutsche Maskenfrage ist eine denkbar »neudeutsche« Frage: Es scheint immer weniger drauf anzukommen, ob man im Alltag auch wirklich die Maske trägt – und es ordentlich tut – sondern welche Haltung man zur Maske offenbart.

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Es ist abzusehen, dass es bei den nun anstehenden Impfungen ähnlich sein wird wie bei all den anderen von oben diktierten Moralvorgaben. So wie die Prominenten, welche am lautesten für die Offenen Grenzen sind, von den brutalen sozialen Folgen selbst kaum betroffen sind, und so wie die Politiker, welche sich zur Aufhebung der Grundrechte ermächtigt haben, erstaunlich wenig selbst unter all den Maßnahmen zu leiden scheinen, so könnte es auch bei der Impfung sehr bald nicht mehr auf die Frage ankommen, ob man sich tatsächlich hat impfen lassen, sondern um die »Haltung«, die man zur Frage zur Schau trägt.

Es eskaliert in Deutschland – auf mehr als einer Ebene.

Je unsicherer die Gesamtlage und je fragwürdiger die Entscheidungen der Politik sind, umso nachdrücklicher werden Politik, Presse und sonstige Propaganda darauf bestehen, dass wir Bürger die richtige »Haltung« an den Tag legen – ob wir uns in der privaten Praxis dann dran halten oder nicht.

Wenn ein Bürger heute beschlösse, laut die Vorzüge der Impfung zu preisen und die Kanzlerin für ihre umsichtige Politik zu loben, tatsächlich aber doch genau das zu tun, was er wirklich für klug und vernünftig hält, dann wäre er von einer guten Zahl der »Guten und Gehorsamen« kaum zu unterscheiden.

»Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben«, so empfiehlt es Jesus in Matthäus 10:16b (ich zitierte es auch im Essay vom 4.11.2019). Ich verstehe »ohne Falsch wie die Tauben« hier vor allem als Aufruf zur Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.

Nicht nur die Sache mit den Masken, auch die Impfungen selbst eskalieren: In Stralsund wurden Pflegekräfte (so bild.de, 28.12.2020) mit der fünffachen Dosis geimpft – das ist mal eine Eskalation!

Seien wir ehrlich, und zuerst ehrlich uns selbst gegenüber: Wie Brechts Keuner, der vor der Gewalt behauptet, sich für die Gewalt ausgesprochen zu haben, und so nach heutigem Sprachduktus »Haltung zeigt«, so empfiehlt es sich auch heute, in eigener Sache »Haltung zu zeigen« wie ein Linker – und dann, wie mancher Linker, doch genau das zu tun, was man ohnehin tun sollte – wozu natürlich gehören kann, die Maske eben doch zu tragen, anders als mancher Linker.

Sein oder nicht-sein, das mag Hamlets Frage gewesen sein – die neue deutsche Frage ist, welche Haltung man zum Sein zeigt.

Es eskaliert, und es könnte weiter eskalieren, doch das heißt nicht, dass wir selbst ebenso »eskalieren« müssen.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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