Die Opferolympiade. Warum es immer mehr Opfer gibt
Leserbrief
Wo früher Frauen als eine vom Patriarchat unterdrückte Opfergruppe die Hierarchie anführten, werden im Zuge der #blacklivesmatter Debatte nun Farbige ganz vorne in der Opferolympiade gehandelt. Dabei gibt es nicht nur Opfer allerorten, manche von ihnen sind sogar Mehrfachopfer.
Es kommt immer wieder vor, dass sich Menschen als Opfer inszenieren, ohne es im pathologischen Sinne wirklich zu sein. Ein häufiges Merkmal selbstinszenierter Opfer ist das Bemühen, andere Personen in Kenntnis über ihr Leid zu setzen, sodass sich das Umfeld an ihnen und ihren Anliegen ausrichtet. Hierbei versperren inszenierte Opfer oft den Blick auf die wirklichen Opfer, die gesellschaftlich weniger Beachtung finden.
Die Teilnahme an der Opferolympiade ist heiß begehrt. So kann leicht der Überblick über alle gesellschaftlichen Opfergruppen verloren gehen, die untereinander einen Wettbewerb darüber abhalten, wer von ihnen das größere Opfer sei. Wo früher Frauen als eine vom Patriarchat unterdrückte Opfergruppe die Hierarchie anführten, werden im Zuge der #blacklivesmatter Debatte nun farbige Mitbürger ganz vorne in der Opferolympiade gehandelt. Dabei gibt es nicht nur Opfer allerorten, manche von ihnen sind sogar Mehrfachopfer. Sie sind damit die Gewinner im Opferquartett, denn es gilt: Wer das größte Unterdrücktsein vorweisen kann, hat gewonnen. Alle Debatten haben dabei gemeinsam, dass sie medial befeuert und moralisch stark aufgeladen werden.
Was macht es so begehrenswert, ein Opfer zu sein?
Selbstverständlich benötigen Opfer unsere gesellschaftliche Solidarität, denn der Schutz von Schwächeren ist ein wesentliches Merkmal unserer Zivilgesellschaft. Doch warum schlüpfen immer wieder Menschen freiwillig in eine Opferrolle?
Wer Opfer ist, erfährt für sein Leiden Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wir leben daher in einer Gesellschaft mit vielen selbsternannten Opfern, da sich das Opfersein lohnt. Mit dem Opferstatus ist auch die Chance verbunden, die erfahrenen Ungerechtigkeiten aus moralisch erhöhter Position darzustellen, ohne dabei die eigene Verantwortung thematisieren zu müssen. Kann man keinen Erfolg im Leben verzeichnen, so waren selbstverständlich die diskriminierenden Lebensumstände dafür verantwortlich. Das eigene Schicksal wird letztlich ausschließlich im Schuldmodus betrachtet.
Aus psychologischer Sicht betrachtet, schafft die Rolle des Opfers jedoch auch Identität. Die individuell gefühlte Ungerechtigkeit verleiht dem Opfer ein einzigartiges Identifizierungsmerkmal. Wer im Opferstatus bleibt und dem Täter fortlaufend sein Fehlverhalten vorhält, kann überdies Macht und Deutungshoheit erreichen. So bestimmen oftmals alleine die Opfer, wer zu bestimmten Themen seine Meinungen äußern darf und wer nicht. Eine Reflexion scheint dabei weder nötig noch gewollt zu sein. Wer es dennoch wagt und das vermeintliche Opfer dazu auffordert, sich nicht allein über das Dasein als Opfer zu definieren, stößt meist auf starke Ablehnung, denn im oft resignativ geführten Opferdiskurs wird die Ohnmacht gerne kultiviert. Das Schicksal als bemitleidenswertes Opfer scheint daher unveränderlich zu sein. Als Außenstehender bleibt einem daher oft nur noch die Möglichkeit, sich solidarisch mit dem öffentlichen Leid zu zeigen, da anderweitig die gesellschaftliche Ausgrenzung droht.
Dabei kann sich die Identität als Opfer oder Täter auch generationenübergreifend zeigen, sodass Verhaltensweisen übernommen werden. Diese Entwicklung wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen, galt es doch als eine Demütigung als ein Opfer dazustehen, sodass man dies um jeden Preis verhindern wollte. Seither hat sich einiges in unserer Gesellschaft getan. Wo man früher seines eigenen Glückes Schmied sein wollte, hat nun das Narrativ der Eigenverantwortung an Bedeutung verloren. Vielmehr scheinen wir regelrecht eine Angst vor der Eigenverantwortung zu entwickeln, die als Aufforderung zu verstehen ist, die Konsequenzen eigener Handlungen selbst zu tragen und sich eine Gesellschaft zu wünschen, in der sich Eigeninitiative lohnt. Eine so verstandene Eigenverantwortung basiert auf dem Menschenbild der Aufklärung, wonach der Mensch in der Lage ist, sein Schicksal selbst zu beeinflussen. Doch wer von der Gesellschaft nur profitieren will, weist eine Verantwortung zurück, sobald sie einem selbst in die Pflicht nehmen will. Diesen Zusammenhang beschreibt Pascal Bruckner in seinem Buch „Ich leide also bin ich. Die Krankheit der Moderne“, welches aus dem Französischen von Christiane Landgrebe erschienen ist (Original „La Tentation de l’innocence“ Paris 1995). Bruckner stellt eine Überforderung des Individuums fest, mit der Freiheit einer stark individualisierten Gesellschaft umgehen zu können, sodass lieber im Zustand des Infantilismus verharrt wird, anstatt das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Opfer zu sein lohnt, verschafft öffentliche Aufmerksam, Anerkennung, Subventionen und Aufnahme in die Opferrolle von NGOs, dort sogar Jobs. Vielleicht wird sie bald durch eine Opfer-Quote auch karrieremäßig belohnt, wenn zur Frauen- die Migrantenquote kommt; Anreiz für immer neue Quotierungen.
Folgen einer Opferpolitik
Diskriminiert zu werden ist heute daher nicht nur ein Lebensgefühl, sondern auch ein Geschäftsmodell, was längst zum Selbstzweck geworden ist. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise Antidiskriminierungsstellen schon aus reinem Selbsterhalt nicht zur Erkenntnis gelangen können, dass es keine erwähnenswerte Diskriminierung mehr gibt. Im Zuge dessen unterschlägt man gerne Erfolgsgeschichten der Menschen, die sich in keine Opferrolle drängen lassen möchten. Langfristig sind mit dem Opferdasein jedoch kaum Vorteile verbunden, da die gesellschaftliche Anerkennung schnell in Richtung Überdruss und Ablehnung umschlagen kann, wenn sich der Rest der Gesellschaft manipuliert oder bevormundet fühlt. Es ist daher ratsam, sich aus der Position des Opfers heraus zu bewegen, denn schon Otto von Bismarck wusste, dass es keine Handlung gibt, für die niemand verantwortlich wäre.
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