Tichys Einblick
Grüne Löcher

Die Löcher in den Socken sind Robert Habecks Stigmata

Wie die CDU die Zerstörung der CDU selbst herbeiführte und die Löcher in den Socken von der Heiligkeit des Robert Habeck zeugen, weswegen die Tage bis zu seiner Seligsprechung nur eine Frage von wenigen ZEIT-Ausgaben sein werden.

imago images / Peter Endig

In Deutschlands Parteiengefüge vollzieht sich ein Umbruch, den die meisten in Berlin Mitte noch gar nicht richtig begriffen haben. Beziehungsweise: gerade die Leute im Zentrum der Hauptstadt nicht.

Ein nicht mehr ganz so junger 26-jähriger Mann namens Yannick Frickenschmidt sendet kurz vor der EU-Wahl ein etwa einstündiges Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“. Es enthält im wesentlichen die Fridays-for-Future-Rhetorik, dass die Politik auf eine Klimaapokalypse zusteuere und nur allerradikalste Maßnahmen helfen, ferner ältere Schablonen der Grünen, etwa die, die Bundesregierung sei schuld am Untergang der deutschen Solarindustrie („Das Abbremsen der Energiewende würgt zukunftsfähige Unternehmen ab […] Das hat man an der Solarindustrie gesehen, in der Zigtausende Jobs verloren gingen“, eine schlecht erfundene Behauptung von Anton Hofreiter aus dem Jahr 2016).

Von Anton Hofreiter unterscheidet sich Yannick Frickenschmidt dadurch, dass er die Haare kürzer und blau trägt, sich Rezo nennt und beim Reden vor der Kamera viel mit den Armen fuchtelt.

Vor dem Video standen die Grünen in den Wahlumfragen ungefähr auch schon dort, wo sie dann landeten, ebenso CDU und SPD. Die meisten, die sich vorranging bei Youtube bilden, gehören noch nicht zu den Wahlberechtigten, und die Minderheit der regelmäßigen Youtube-Konsumenten, die schon wählen dürfen, bilden in der Gesamtwählerschaft wiederum eine sehr schmale Kohorte.

Der entscheidende Punkt liegt woanders. Genau die Rhetorik von Rezo Frickenschmidts „Die Zerstörung der CDU“ hatten führende Vertreter der CDU (und auch der Randpartei SPD) vor dem Video mit einem hochoffiziellen Gütestempel versehen, indem sie die Fridays-for-Future-Marschierer lobten („Wir haben ja die Entwicklung, dass uns die jungen Menschen Dampf und Druck machen“ – A. Merkel), ihre politisch gut orchestrierten puerilen Parolen („Kohle ist Scheiße“) für besonders authentisch hielten und sich überhaupt bemühte, durch Mithampeln im Kinderkreuzzug einen kleinen windfall profit für ihre eigene Truppe herauszuschinden.

Bei ihrem so genannten Bürgerdialog-Auftritt in Wuppertal am 13. Mai versuchte Angela Merkel sogar so etwas wie einen Schulpflichtausstieg für Deutschland, als sie erklärte: „Die Schulpflicht ist eins, aber es gibt auch noch andere Erwägungsgründe.“

Der zentrale Frickenschmidt-Satz zur Klimapolitik aus dem Zerstörungsvideo hört sich an wie die exemplarische Verdichtung der merkelschen Diktion zur Migrationspolitik, EU und ihrer Weltmission:

„Das heißt, es gibt hier keine unterschiedlichen legitimen politischen Meinungen. Sondern es gibt nur eine legitime Einstellung.”

Es ist Merkels Alternativlosigkeit, Merkels argumentative Schlichtheit, Merkels gespielter Schulmädchenton und Merkels Desinteresse an jeder echten Debatte, die der CDU jetzt aus Rezos Video ins Gesicht explodiert. Wenn mehr und mehr selbst harte bürgerliche Restwähler der auf gut 20 Prozent heruntermodernisierten CDU weglaufen, dann nicht, weil die CDU immer noch nicht alle Kohlekraftwerke abgeschaltet hat. Sondern weil sie das letzte bisschen Würde einbüßt, wenn sie sich von einem Yannick Frickenschmidt, einer Luisa Neubauer und ein paar tausend Schulabstinenzlern durch die Manege jagen lässt.

So, wie auch diverse nicht mehr so große Medien, die in dem neocalvinistischen Prediger ein Phänomen erkennen. Es handelt sich um ein Medienphänomen, deshalb kommt es ihnen so vertraut vor.

Was will Annegret Kramp-Karrenbauer dem Rezo-Video entgegensetzen, das aus dem Herzen einer durchdesignten Bewegung kommt, die Merkels Sprachform einfach übernimmt und mit Anton Hofreiters und Greta Thunbergs Agitation befüllt?

Kramp-Karrenbauer braucht übrigens nicht so überrascht zu tun. Sie hatte diesen Effekt schon einmal im Kleinen erlebt, als sie 2018 als frisch gewählte Generalsekretärin den Auftritt der linksradikalen Band „Feine Sahne Fischfilet“ in Chemnitz kritisierte, und sich vorhalten lassen musste, dass sie auf Facebook vorher schon einmal ein Festival gelobt hatte („einfach nur wow“), auf dem auch die Feine-Sahne-Jungs geschrammelt hatten, genau so amusisch wie in Chemnitz, aber damals sogar noch ein bisschen radikaler.

In Bahnhofsvierteln sieht man öfter Leute neben einem handgeschriebenen Pappschild mit der sinngemäßen Aufschrift: „Unschuldig in Not“ sitzen. Für die CDU empfiehlt sich spätestens jetzt eins mit dem Satz: „Durch eigne Anschleimerei in die Grütze geraten“.

Und kein Weg führt dort heraus.

In der vergangenen Woche sanken sowohl Union als auch SPD auf ein frisches Allzeittief (24 plus 12 Prozent). Die Grünen führen dagegen nicht nur, nach einer Umfrage wünscht sich die relative Mehrheit der Bundesbürger als nächste Koalition Grün-Rot-Rot, um die Erfolgsmodelle von Berlin und demnächst Bremen endlich überall durchzusetzen. In periodischen Abständen gibt es in Deutschland offenbar tatsächlich eine Mehrheitsstimmung, die dem Prinzip folgt: Das hatten wir noch nicht, das probieren wir mal aus.

Angela Merkel reagierte darauf mit einem Vortrag vor dem Parteipräsidium, wo sie verkündete, jetzt müsse endlich Schluss sein mit Pillepalle wie Atom- und Kohleausstieg, stattdessen müsse es jetzt richtig disruptiv zugehen in Deutschland. Das hat schon Format. Kramp-Karrenbauer forderte in der verwichenen Woche nur, dieses blöde Internet endlich durchzuregulieren.

Währenddessen eilte Robert Habeck durch Deutschland. Wir wissen davon durch einen Bericht der ZEIT-Autorin Jana Hensel, die mehrere Tage zum journalistischen Habeckbegleitkommando gehörte.

Bei Claas Relotius war es das Problem, dass er öfter nicht wirklich am Ort der Handlung war und sich viel ausdachte. Bei Jana Hensel besteht das Problem darin, dass sie wirklich dort war, und vermutlich nichts erfindet. Stattdessen sieht sie ganz genau hin. Da es sich um die Pfingstwoche handelte, geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel, und Jana Hensel bezeugte die Fähigkeiten Robert Habecks:

„Habeck, seine Reisetasche über der linken Schulter, läuft behände und erstaunlich schnell durch die Menschenmassen am Kölner Hauptbahnhof, die ebenso keine Notiz von ihm nehmen wie er von ihr.“

Im ICE erkennt sie die Stigmata des Hoffnungs-, Bart- und Reisetaschenträgers:

Es klingt eine feine Dialektik von Sehen, Nichtsehen und Sehnen an, wie sie Ältere aus diesem Lied kennen, jedenfalls so ungefähr.

Leider erfahren wir von Frau Hensel nicht mehr, wonach Robert Habecks Zehen schmecken. Ab diesem Punkt setzt sich die journalistische Diskretion nämlich endgültig durch.

Wirklich disruptiv, so sieht es nach dieser Woche aus, wäre ein Kanzler Habeck, endlich wäre Schluss mit Pillepalle, es würden belüftete Fußnägel mit Köpfen gemacht und das Land gründlich umgekrempelt wie ein habeckscher Hemdsärmel. Millionen Deutsche irren bekanntlich nicht.

Was den Autor angeht: Wirkliche pfingstliche Zuversicht beginnt dann, wenn einen keine Vorstellung mehr schrecken kann.

Ich bin für alles sogar offener, als es die Socken des Erlösers sind.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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