Wer sind die Vorsitzenden der Linken in Deutschland? Die Antwort auf diese Frage dürfte bei Günther Jauch locker eine halbe Million Euro wert sein: Janine Wissler fällt ab und an auf, wenn sie in ihrem Landesverband Hessen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs kleinreden muss – Martin Schirdewan dürfte nur einer überschaubaren Zahl Interessierter bekannt sein.
Schirdewan hat sein komplettes Berufsleben im Umfeld der Linken verbracht, sitzt für sie im EU-Parlament und soll jetzt wieder Spitzenkandidat werden. Damit wäre der Funktionär zu Ende erzählt. Er will den Menschen „Europa zurückgeben“. Das Zurückgeben von Staat oder Demokratie gilt als rechter Topik. Fordert es jemand wie Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bauen deutsche Medien einen Skandal daraus – bei einem Linken schauen sie darüber hinweg.
Interessant ist erst die Kandidatin auf Listenplatz zwei: Carola Rackete. Der Bachelor der Nautik wurde 2019 bekannt, als sie als Kapitänin der Sea-Watch 3 trotz Verbots in das italienische Lampedusa einlief. Ziel der Aktion war es, über 50 Einwanderer, die das Schiff vor Libyen aufgriff, in den Raum der EU zu bringen. Wohlgesinnte deutsche Medien feierten Rackete darauf als Heldin.
Racketes Nominierung auf dem sicheren Listenplatz zwei ist eine politische Grundsatz-Entscheidung der Linken. Im Herbst hatte die Partei noch versucht, eine Sammlungsbewegung gegen die Politik der Ampel zu werden – unter anderem durch den Protest gegen die damals geplante Gasumlage von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Doch für eine Sammlungsbewegung fehlt den Linken die Toleranz. Von Beginn an schlossen sie jeden aus, der nicht die reine Lehre vertrat – sodass aus der Nummer die nächste Sektierer-Erfahrung der Linken wurde.
Wissler preist den Linksruck an, den Rackete verkörpert. Die Kandidatin stelle die Kombination aus „Klima- und Klassenpolitik“ dar. Sprich: Die einstige SED will ihre alten roten Hüte nun unter einem grünen Label vermarkten. Rackete bläst ins gleiche Horn und sieht in der „Klimakrise ein Ergebnis kolonialer Ausbeutung“. Deswegen will Rackete „Lebensmittel und Ackerböden den Finanzspekulationen entziehen“.
Die Idee, gewerkschaftliche Positionen zu beziehen, hat die Linke aufgegeben. Dafür steht die Personalie Özlem Demirel. Sie arbeitete für Gewerkschaften und war in der vergangenen EU-Wahl die Spitzenkandidatin der Linken. Nun muss sie für den Liebling der woken Medien weichen und auf Platz drei antreten.
Ob der sicher ist, wird sich zeigen. Im Westen waren die Linken in der Fläche zuletzt im freien Fall: 2,7 Prozent in Niedersachsen, 2,1 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 1,7 Prozent in Schleswig-Holstein. Im Osten hat die Linke ihre einstige Rolle als Volkspartei an die AfD verloren und rutscht auch dort immer weiter ab. 96 Abgeordnete ziehen für Deutschland ins EU-Parlament ein. Als Faustregel gilt: Auf jeden Prozentpunkt kommt ein Sitz.
Die Ergebnisse in der Fläche sind ein Grund für die neue Orientierung der Linken. In den urbanen Zentren Bremen und Berlin konnte die Partei ihren Sturz zuletzt abbremsen. Statt auf sozial Abgehängte setzt sie jetzt wieder auf urbane Wohlstandsverwahrloste als Zielgruppe. Sprich: Immer dann, wenn die Grünen in der Ampel einen Kompromiss machen müssen, stehen die Linken künftig bereit, um die enttäuschten Anhänger der reinen Lehre als Wähler einzufangen.
Die linke Einwanderungspolitik brachte Rackete damit in einem Zitat zusammen: grenzenlose Einwanderung fordern. Negative Folgen verneinen und deren Aussprechen unter rechten Ideologieverdacht stellen. Außer es geht um einen selbst. Dann möchte man als linker Weltenretter doch nicht mit „zu vielen Menschen auf zu engem Raum“ leben.
Für die Linke trete sie an, weil es für die Klimabewegung wichtig sei, dass eine wie sie an den Schaltstellen sitze. Und weil sie „Ressourcen“ für die Bewegung erschließen wolle. Für die Kapitänin springen auch einige Ressourcen raus: über 9.000 Euro im Monat garantiert, dazu ein bunter Strauß an Tagesgeldern und anderen Zuschlägen. Damit kann man dann später bequem den „zu vielen Menschen“ aus dem Weg gehen, die man selbst „auf zu engen Raum“ gebracht hat.