Tichys Einblick
Die Linke

Untergang auf Raten

Bei den Landtagswahlen in NRW hat die Linke nur noch 2,1 Prozent erreicht. Sind die Postkommunisten in Deutschland bald Geschichte? Eine Analyse.

IMAGO / Christian Spicker

Die Linke hat in NRW erneut eine Wahlniederlage erlitten. Nach Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und dem Saarland hat sie mit nur noch 2,1 Prozent der Stimmen in einem weiteren Bundesland den Einzug in den Landtag verfehlt. Geht die Partei, die noch vor Kurzem von einer Regierungsbeteiligung im Bund träumte, ihrem Ende zu?

Selbst Linken-Funktionäre wie Gregor Gysi räumen ein, dass sich die Partei in einer existenziellen Krise befindet. Nicht nur im Westen ist sie vielerorts auf das Niveau der Tierschutzpartei geschrumpft, auch im Osten hat sie ihre einstige Vormachtstellung verloren. Bei der Bundestagswahl im September verfehlte sie mit 4,9 Prozent knapp die Fünf-Prozent-Hürde. Nur weil sie drei Direktmandate erobern konnte, kam sie noch ins Parlament.

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Existenzielle Krisen hat die Partei allerdings schon einige erlebt. Bei den Bundestagswahlen 2002 erreichte die ehemalige Staatspartei der DDR lediglich vier Prozent. Drei Jahre lang war sie nur noch mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten. Doch danach erholte sie sich wieder. Ihr Wiederaufstieg wurde möglich durch den von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi ausgetüftelten Coup, der Partei ein neues, gesamtdeutsches Image zu verpassen: 2007 traten ihr die Mitglieder der westdeutschen Neugründung WASG bei und sie nannte sich fortan „Die Linke“.

Eine ähnliche Rettungsaktion ist derzeit jedoch nicht in Sicht. Die Partei verliert vielmehr seit Jahren kontinuierlich Wählerstimmen – vor allem in ihrer einstigen Hochburg Ostdeutschland. In Brandenburg sank sie zwischen 2009 und 2019 von 27,2 auf 10,7 Prozent, in Sachsen von 20,6 auf 10,4 Prozent. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt halbierten sich ihre Ergebnisse auf rund zehn Prozent. Nur im bevölkerungsarmen Thüringen erreichte die Linke 2019 ein Rekordergebnis, was jedoch vor allem regionale Gründe hatte.

Auch in den westdeutschen Flächenländern rangiert die Partei seit Längerem auf den hinteren Plätzen. Nur in Hessen gehört sie noch dem Landtag an. In allen anderen Ländern kam sie bei den letzten Wahlen lediglich auf zwei bis drei Prozent. Um die eigene Stimme nicht zu verschenken, wählen selbst Anhänger der Linken dort inzwischen lieber Grüne oder SPD. Allein in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, wo die Partei bei rund zehn Prozent liegt, konnte sie zuletzt leichte Zuwächse verzeichnen.

Der gleichzeitige Wählerverlust im Osten und im Westen ist für die Linke tatsächlich existenzbedrohend. Denn ihr bundesweites Überleben beruhte lange Zeit auf einer einfachen Rechnung: Wenn sie im Osten gut 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte, würde sie bei Bundestagswahlen auch dann die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, wenn sie im Westen nur drei bis vier Prozent erreichte. Doch von diesen Werten hat sie sich inzwischen deutlich entfernt.

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Die Ursachen dafür liegen auf verschiedenen Ebenen. Zum Einen erscheinen ihre programmatischen Vorstellungen vielen Wählern nicht mehr zeitgemäß. Zum Anderen mangelt es der Partei an überzeugendem Führungspersonal. Hinzu kommt eine notorische Zerstrittenheit, die auch öffentlich zur Schau gestellt wird. Strategisch bedeutsam ist aber vor allem, dass sich die AfD im rebellischen Osten als Fundamentalopposition dauerhaft etablieren konnte. Aktuelle Krisen wie die Sexismus-Vorwürfe gegenüber männlichen Parteifunktionären kratzen weiter am Image der Partei.

Programmatisch wirkt die Partei altbacken und wie aus der Zeit gefallen. Seit 30 Jahren fordert sie, dass der Staat mehr soziale Wohltaten verteilen soll. Doch das Mantra von der „sozialen Gerechtigkeit“, das an einen Gewerkschaftskongress der 1970er Jahre erinnert, wirkt immer weniger überzeugend. Denn die Probleme, die aus der globalen Konkurrenz für den Industriestandort Deutschland und einer immer älter werdenden Gesellschaft resultieren, lassen sich damit nicht lösen. Vorschläge, wie die Bundesrepublik ihren Wohlstand auch in Zukunft bewahren kann, sucht man vergebens im Programm der Linken.

Auch eine weitere Säule des Programms wirkt seltsam antiquiert. Wenn es nach der Linken ginge, soll der Staat zahlreiche Wirtschaftssektoren selbst betreiben: Krankenhäuser, Energieversorgung, Wohnungsbau und weitere Bereiche der sogenannten Daseinsvorsorge sollen „vergesellschaftet“ und dazu gegebenenfalls auch enteignet werden. Selbst die Lufthansa will die Linke verstaatlichen und mit der Deutschen Bahn zu einem „Mobilitätskonzern“ verschmelzen. Doch dass der Staat ein besserer Manager sein soll als private Unternehmen, bezweifeln viele Wähler. Wer einmal Kontakt mit deutschen Behörden hatte, weiß, warum.

Hinzu kommt, dass dieser programmatische Markenkern der Linken in den letzten Jahren zunehmend von grün-alternativen Themen überdeckt wurde. Bei der letzten Bundestagswahl stand „Klimagerechtigkeit“ sogar auf dem Titel ihres Wahlprogramms. Während ehemalige SED-Funktionäre im Osten und aktive Gewerkschafter im Westen früher für eine gewisse Bodenständigkeit sorgten, wird der Diskurs in der Partei heute von „Lifestyle-Linken“ bestimmt – wie die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht jene meist jüngeren Genossen nennt, die der Linken in den letzten Jahren beigetreten sind.

Für diese Mitglieder stehen Sprachvorschriften, vermeintlich falsche Konsumgewohnheiten und die Rechte diverser Minderheiten ganz oben auf der Agenda. Geringverdiener, die die Linke laut ihrem Programm eigentlich vertreten will, fühlen sich dadurch eher abgestoßen. Auch die Forderung nach „offenen Grenzen für alle Menschen“, wie sie im Wahlprogramm zur Bundestagswahl steht, dürfte insbesondere in Ostdeutschland kaum auf Zustimmung stoßen. Reüssieren kann die Partei mit dieser Ausrichtung zwar in den großen Städten – doch das allein reicht nicht fürs bundesweite Überleben.

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Partei jetzt auch noch auf außenpolitischem Gebiet kalt erwischt. „Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands,“ heißt es im Programm der Linken zur letzten Bundestagswahl. Auch Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Abwendung weiterer Krisen wollte die Linke nicht gestatten. Gysi bemüht sich zwar, diese Positionen aufzuweichen, doch fahren dem außenpolitischen Sprecher der Fraktion linke Fundamentalisten regelmäßig in die Parade.

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Verstärkt werden diese Probleme durch eine offensichtliche Führungsschwäche. Seit dem Abgang von Oskar Lafontaine als Vorsitzender (2010) und Gregor Gysi als Fraktionschef (2015) gibt es kaum noch Funktionäre, die über das eigene Klientel hinaus strahlen. Während Lafontaine die Partei inzwischen verlassen hat, ist Gysi mit seinen 74 Jahren ein Auslaufmodell. Sollte er in drei Jahren nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren, dürfte die Partei auch sein Direktmandat verlieren – und damit ihre Überlebensversicherung bei einem Abschneiden von unter fünf Prozent. Die einzige Linken-Politikerin mit bundesweiter Ausstrahlung ist derzeit Wagenknecht, doch die ist in der Partei bei vielen regelrecht verhasst.

Im Vergleich zu ihr haben es die langjährigen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger nie vermocht, größere Gruppen der Bevölkerung zu erreichen. Den im vergangenen Jahr gewählten Nachfolgerinnen Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler ist dies erst recht nicht gelungen. Während Hennig-Wellsow nach mehreren missratenen Fernsehauftritten im April von ihrem Amt zurücktrat, sieht sich Wissler inzwischen mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihrem hessischen Landesverband sexistischen Übergriffen nicht entgegengetreten zu sein. Auf einem Parteitag Ende Juni soll nun der gesamte Parteivorstand neu gewählt werden.

Dass die Linke dabei einen Ausweg aus ihrer Krise findet, ist eher unwahrscheinlich. Im für die Partei besten Fall werden die politischen Konflikte mit Formelkompromissen überdeckt. Neues, überzeugenderes Führungspersonal ist nicht in Sicht. Vieles spricht deshalb dafür, dass der Untergang auf Raten weitergeht. Die nächste Wahlniederlage droht der Linken am 9. Oktober bei den Landtagswahlen in Niedersachsen. Laut einer Forsa-Umfrage vom April liegt sie bei drei Prozent.

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