Mit zahlreichen Beiträgen in den sozialen Medien, einem Countdown auf ihrer Website und einer Pressekonferenz vor dem Schloss Bellevue hat die Letzte Generation ihre heutigen „ungehorsamen Versammlungen“ beworben: Eine neue Strategie, ein neues Protestkapitel und der Start in einen „Protestfrühling“ – solch große Worte haben die Klima-Extremisten geschwungen. Aber als sie sich am heutigen Samstag um 12 Uhr für ihre Versammlung auf die Straße setzten – ohne Kleber –, zeigte sich: Es waren leere Worte. Eigentlich geht die Letzte Generation unter.
In zehn Städten hat die Letzte Generation „ungehorsame Versammlungen“ veranstaltet. Eine davon in Berlin, auf der zentral gelegenen Warschauer Brücke. Berlin ist die Stadt, in der die Klima-Extremisten am aktivsten sind. Eigentlich. Mit Farbanschlägen aufs Kanzleramt oder Brandenburger Tor sowie zahlreichen Straßenblockaden waren sie im letzten Jahr ständig in den Medien. Da könnte man denken, dass es beim Start in den von ihnen bezeichneten „Protestfrühling“ voll wird auf der Warschauer Brücke. Aber nein: Die Polizei zählt gerade einmal 130 Extremisten. Zwei junge Mitglieder der Letzten Generation zählen, „wenn es hoch kommt 200“. Sie haben eigentlich mit 300 Extremisten gerechnet, sagen sie. Aber groß zu kümmern scheint es die beiden nicht: Sie trinken Tee und beobachten das Spektakel.
Einige Extremisten setzen sich auf die Straße, ziehen ihre Warnwesten an, halten ihre Banner und Plakate hoch, trinken Kaffee, werden von Polizisten von der Straße heruntergetragen oder -geschleift und gehen wieder auf die Straße. Die Polizei trägt sie wieder von der Straße und die Extremisten schreien teilweise „vor Schmerzen“. Nach ungefähr 15 Minuten hat die Polizei die Extremisten im Griff: Die Beamten umschließen die Extremisten in einen „Polizei-Kessel“.
Und da stehen die Klima-Extremisten dann in ihren nassen Hosen und dreckigen Jacken. Petrus war heute nicht auf der Seite der Letzten Generation: Es regnet, stürmt und ist kalt. Nicht das ideale Wetter, um sich auf eine Straße zu setzen und vor einer „Klimakatastrophe“ zu warnen. Oder um ein „Straßenfest mit ein paar Polizei-Rangeleien“ zu veranstalten, wie es bei einer Pressekonferenz der Letzten Generation angekündigt wurde.
Ein weißhaariger Extremist versucht trotzdem, eine solche Straßenfest-Atmosphäre zu schaffen: Auf einer Verkehrsinsel beginnt er, Gitarre zu spielen und zu singen: „Umweltalarm“ heißt einer seiner Songs. Der Musiker gibt sich große Mühe, Passanten und Gesinnungsgenossen zu animieren, im Takt zu klatschen und mitzusingen – straßenfestlich halt. Es klatschte aber niemand und es sang auch keiner mit.
Stattdessen schütteln viele Passanten nur die Köpfe und schmunzeln. Einige schauen sich das Spektakel an, andere sind genervt, nicht vorbeizukommen: Denn der Polizei-Kessel blockiert den Bürgersteig und den Fahrradweg. Manche kümmert die „ungehorsame Versammlung“ überhaupt nicht: Ein Lieferwagen hält vor der Straßenblockade, um Getränke an einen Kiosk zu liefern. Mit Kopfhörern im Ohr bringt er eine volle Palette Getränke zu dem Kiosk und kommt nach einigen Minuten mit leeren Kisten zurück. Er brauchte sich keine Gedanken zu machen, dass ihm Getränke aus dem offenstehenden Wagen gestohlen werden: Immerhin waren mindestens zwei Polizeieinheiten vor Ort, wie ein Beamter gegenüber TE sagt. Auf einen Klima-Extremisten kam also mehr als ein Polizist.
Das große Polizei-Aufgebot scheint die Letzte Generation einzuschüchtern: Jedenfalls setzten sich die meisten nicht auf die Straße, sondern liefen als „Hummeln“ herum. Sie verteilten Flyer oder Visitenkarten, machten Fotos und Videos oder erzählten Passanten, dass sie „Ehrlichkeit“ vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier fordern. Sie versuchten sogar, einigen Polizisten ihre Visitenkarten anzudrehen – ganz heimlich: „Sie sollen sich auch anschließen“, sagt eine „Hummel“. Eine andere „Hummel“ versucht, zwei Mädchen zu überzeugen, ein Statement zu einem Gerichtsverfahren gegen Extremisten der Letzten Generation zu schreiben: Derzeit läuft ein Verfahren wegen „krimineller Vereinigung“ gegen fünf Extremisten. Die beiden Mädchen lehnen verdutzt ab: Sie wüssten gar nicht, worum es bei dem Verfahren ginge.
Eine weitere „Hummel“ ist der ehemalige Zeit- und Spiegel-Journalist Raphael Thelen: Er ist seit letztem Jahr für die Letzte Generation aktiv und sprach bereits auf Pressekonferenzen der Gruppe. Er ist also einer derjenigen, die große „ungehorsame Versammlungen“ ankündigen und zum Mitmachen aufrufen – er selbst bleibt aber neben dem Protest stehen. Carla Hinrichs, als eines der bekanntesten Gesichter der Letzten Generation, lässt sich bei der Versammlung in Berlin gar nicht blicken. Die Extremisten im Polizei-Kessel rufen aus tiefster Kehle: „Du bist nicht allein.“ Sie hoffen anscheinend, dass Passanten miteinstimmen. Tun sie aber nicht. Irgendwie sind sie also doch allein.