Giovannino Guareschi hat mit Don Camillo den Prototypen des klerikalen Kundgebungsstörers erfunden. Der Pfarrer, der eine Rivalität mit dem kommunistischen Bürgermeister Peppone pflegt, torpediert kurz nach dessen Wahl die Feier der Roten. Auf der Piazza vor der Kirche stimmen diese ihre revolutionären Reden an, während Don Camillo im Inneren des Gotteshauses auf- und abgeht; am liebsten will er das ganze Pack vertreiben, wenn nicht verprügeln, doch Jesus ermahnt ihn, dass sein Platz „in seinem Haus“ sei. Sofort stürmt der Pfarrer den Campanile hinauf und sabotiert die Versammlung durch eifriges Glockengeläut.
Darf sich die Kirche in politische Angelegenheiten einmischen? Historisch sei gesagt: Der Kommunismus war nicht irgendeine politische Ideologie, sondern eine dezidiert antichristliche. Die katholische Kirche konnte in der Sowjetunion sehen, welches Schicksal ihre orthodoxen Glaubensbrüder in der „Diktatur des Proletariats“ erlitten. Es war der polnische Papst Johannes Paul II., der eine alles andere als neutrale Haltung gegenüber dem Ostblock einnahm und seinen Teil beisteuerte, diesen zu Fall zu bringen.
Eine eskalierte Corona-Demonstration als Auslöser
Im fränkischen Schweinfurt versucht man es nunmehr mit der Don-Camillo-Imitation. Dort erregen die Corona-Demonstrationen seit einiger Zeit den Unmut der Stadt. Am 12. Dezember hatten 2.000 Bürger gegen die staatlichen Maßnahmen protestiert – unangemeldet. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Die Einsatzkräfte beklagten eine „teils heftige Aggressivität“. 15 Anzeigen wurden gegen Tatverdächtige erstattet, zehn Personen vorläufig festgenommen. Acht Personen sollen sich durch Schläge und Tritte gewehrt haben, zwei weitere hätten versucht, ein Zivilfahrzeug der Schweinfurter Polizei in Brand zu setzen.
Die meisten Protestler hätten sich zwar nach Polizeiangaben friedlich verhalten, es seien jedoch ein paar Dutzend „aufwiegelnde Aggressoren“ in der Menge gewesen. Die Demonstranten hätten größtenteils keine Masken getragen, der Mindestabstand habe immer wieder eingefordert werden müssen. Gegen die Initiatoren der Veranstaltung wird ermittelt. Kurz: Die Demo ist ein Ärgernis. Verständlich, dass sich bald der Protest gegen den Protest sammelte.
Das Glockengeläut hebt die Corona-Demo auf eine Ebene, die ihr nicht zusteht
An dieser Stelle kommt die katholische Kirche in Schweinfurt ins Spiel. In vollem Umfang unterstützten die Seelsorgerinnen und Seelsorger der Stadt die Erklärung. Die eskalierende Gewalt bereitete Stadtpfarrer Joachim Morgenroth große Sorge. Doch die Verantwortlichen gehen noch einen Schritt weiter: Am Sonntagabend sollten die Glocken der Stadtkirche gegen nicht angemeldete Corona-Demonstrationen läuten und die Menschen zur Bitte um den Heiligen Geist aufrufen. Amen, so geschah es.
Inwiefern die Schweinfurter mit dem Demonstrationsproblem umgehen, ist tatsächlich ihre Sache. Niemand sieht es gerne, wenn Auswärtige in einer Stadt ankommen und Unruhe stiften – geschenkt. Jedoch ist es eine andere Sache, inwiefern die katholische Kirche vor Ort ihr moralisches Gewicht in die Waagschale wirft, angesichts der historischen Verwerfung im Lande und den Vergleichen zur Vergangenheit. Kirchenglocken läuten entweder zum Gebetsaufruf, zum Anlass der Freude oder zur Warnung vor Gefahr.
Die Aktion erinnert an die Verdunkelung des Kölner Doms
Die Provinzposse erinnert frappierend an die Verdunkelung des Kölner Doms im Jahr 2015, als das Domkapitel entschied, das Wahrzeichen nicht zu beleuchten, wenn die Pegida-Bewegung demonstrierte. Es war ein Zeichen, das niemand gefordert hatte. Umso verzückter reagierten Politik und Medien. Dass die Kirche dem Aufzug damit mehr Bedeutung schenkte, als es die Erzbischöfe der Vergangenheit für einen Demonstrationszug jemals zugelassen hätten, interessierte nicht. Obwohl jeder wusste, wo die Una Sancta stand, bedurfte es des öffentlichen Offenbarungseides. Warum eigentlich? Hatte irgendjemand die Kirche im Verdacht, xenophob zu sein?
Damals wie heute muss sich die Kirche unangenehmen Fragen stellen. Nämlich, warum sie nur in ganz bestimmten Fällen von ihrer moralischen Macht Gebrauch macht, und in anderen nicht. Jedes Zeichen in die eine Richtung betont das Fehlen eines Zeichens in die andere Richtung. Das Kirchglockengeläut wirft wie bei der Verdunkelung des Doms die Frage auf, warum der Klerus an anderer Stelle schwieg. Sie erhebt damit die mediale Überhöhung von Anti-Rassismus und Impfsolidarität zur Priorität, ohne etwa ihren anders gearteten Verpflichtungen nachzukommen – beispielsweise dem Schutz aller Ausgegrenzter, und mögen sie noch so sehr sündigen.
Wer einmal läutet, muss immer läuten
Zu den Fragen, die beim Kirchengeläut von Schweinfurt in der Seele brennen, gehören: Warum läutete die Kirche keine Glocken, als 2015 Frankfurt bei der Eröffnung des EZB-Sitzes in linker Randale ertrank? Warum läutete sie keine Glocken, als 2017 Hamburgs Straßen beim G20-Gipfel brannten? Warum läutete sie keine Glocken, als die EU 2021 de facto ein Recht auf Abtreibung anerkannte? Warum läutet sie nicht bei Antifa-Aufmärschen? Warum nicht bei Maikrawallen? Weshalb gilt eine Corona-Demonstration als moralisch so viel gefährlicher und staatszersetzender? Es sind Fragen, die sich die Kirche ohne Not selbst einbrockt.
Wer einmal läutet, muss immer läuten. Wer bei Lappalien läutet, muss den Ruf aushalten, es anderen recht zu machen, statt dann zu läuten, wenn es ernst ist. Als Don Camillo einsam auf dem Glockenturm stand, drohte man ihm mit Erschießung. Die Seelsorger Schweinfurts können dagegen davon ausgehen, dass sie die Meinung der Mehrheit auf ihrer Seite haben. Sie leisten damit selbst dem Eindruck Vorschub, nur dann Gesicht zu zeigen, wenn es opportun ist – oder im Sinne des Staates. Für solche Marginalien wäre ein Don Camillo nicht einmal auf den Campanile geklettert.