Tichys Einblick

Die Kirche, das Geld und die Steuer

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm fordert eine Belastung von Reichen, um die Folgen der Corona-Pandemie zu lindern. Das kann er auch einfacher haben.

imago Images/Lindenthaler

Über Friedrich den Großen gibt es folgende Anekdote: Er bat seine Beamten um Ideen, wie der Zustand der Staatsfinanzen zu verbessern sei. Der Geheime Rat von Taubenheim machte den Vorschlag, den niederen Beamten das Gehalt zu kürzen. „Eh bien“, sagte der König: „Fangen wir gleich mit Ihm an.“ Er strich Taubenheim tausend Taler seines Jahressalärs und befahl ihm nach zwölf Monaten zu berichten, ob sich das förderlich auf dessen Haushaltsführung ausgewirkt hätte.

Einen Vorschlag zur Sanierung der deutschen Staatsfinanzen nach der Corona-Pandemie unterbreitete gerade der EKD-Ratspräsident Heinrich Bedford-Strohm. Im Detail fiel er anders aus als der Rat von Taubenheim, in der Stoßrichtung auf andere aber sehr ähnlich:
„Man darf sich keine Illusionen machen, wenn die Krise vorüber ist, wird es eine riesige Solidaritätsanstrengung brauchen, und ich hoffe, dass wir alle dazu bereit sind. Besonders die, denen es finanziell gut geht.“

Fangen wir nicht mit dem privaten Bedford-Strohm an, sondern mit den beiden großen Kirchen in Deutschland. Neben den Kirchensteuern (2018: 12,4 Milliarden Euro, 6,643 Milliarden für die katholische Kirche, 5,790 Milliarden Euro für die evangelische) und den Zahlungen für den Betrieb kirchlicher Krankenhäuser, Schulen und anderer sozialen Einrichtungen erhalten die beiden Glaubensgemeinschaften noch so genannte Staatskirchenleistungen.

Viele Steuerbürger verwechseln sie mit den beiden oben genannten Posten. Bei den Staatsleistungen handelt es sich allerdings um Zahlungen aus der allgemeinen Steuerkasse – also von allen Steuerbürgern – an die Kirche direkt, nicht an Einrichtungen in ihrer Trägerschaft. Mit dem Geld finanzieren sie so genannte Baulasten der Kirche, also die Erhaltung des Gebäudebestands, aber auch Kirchenangestellte bis zum Bischof und deren Pensionen. Der Freistaat Bayern etwa zahlt die Gehälter von Erzbischöfen und Bischöfen, Dignitären, Kanonikern, Domvikaren, Generalvikaren und Erziehern an bischöflichen Priester- und Knabenseminaren. An Staatsleistungen flossen im Freistaat allein 2018 insgesamt 96 Millionen, davon 60 Millionen zur Besoldung von Geistlichen. Wofür genau die Bezahlung dient, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Nur Hamburg und Bremen beteiligen sich aus historischen Gründen nicht an der staatlichen Kirchenfinanzierung. Die Gesamtzahlungen der anderen 14 Länder beliefen sich 2019 auf 548 Millionen Euro, wovon auf die beiden Kirchen je etwa die Hälfte entfiel.

Der Ursprung dieser Dotationen geht zum größten Teil auf die Enteignung geistlicher Ländereien durch Napoleon und die deutschen Fürsten zurück, die 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss in Regensburg bestätigt wurde. In dieser letzten großen Entscheidung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (das 1806 endete), wurden vier Erzbistümer, neun Reichsbistümer, 44 Reichsabteien und 45 Reichsstädte mit insgesamt gut 45.000 Quadratkilometern Land neuen weltlichen Herrschern zugeschlagen. Die verpflichteten sich im Gegenzug, ständige Entschädigungszahlungen für den weltlichen Besitz der Kirchen zu leisten, also für Grundbesitz, Immobilien und Wirtschaftsgüter. Bis zum Ende des Kaiserreichs, das als Bundesstaat der Fürstentümer zustande gekommen war, überwiesen die staatlichen Stellen diskussionslos. Die Weimarer Republik betrachtete sich nicht mehr ohne weiteres als Erbe dieser Pflichten. Ihre Verfassungsautoren beauftragten in Artikel 138 das Reich, eine abschließende Regelung zu finden, die von den eigentlichen Zahlern – den Ländern – umgesetzt werden sollte:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Ablösung hieß nach juristischem Sprachgebrauch, eine jährliche Leistung des Staates durch einmalige Abfindung zu beenden. Dazu kam es nicht. Auch das Dritte Reich führte die Staatskirchenleistungen weiter. Sogar die DDR-Führung behielt die Dotation bei, nur um die Hälfte gekürzt. Denn die Staatsleistungen bewährten sich auch immer als goldener Zügel, der eine weitgehende Konformität der beiden Kirchen garantierte. Vor allem die evangelische Kirche erzählt sich ihre Geschichte zwar heute anders, nämlich nachveredelt. Tatsächlich wehte in ihr immer der jeweilige Obrigkeitsgeist: Im Kaiserreich kaisertreu, im Nationalsozialismus eine Stütze oder mindestens passiv, in der DDR ganz überwiegend staatsfromm und trotzdem paranoid überwacht, in der frühen Bundesrepublik konservativ, in der späteren progressistisch und grün. Ausnahmen gab es immer, aber es waren eben Ausnahmen, von denen sich die Amtskirche meist distanzierte.

Die Schöpfer des Grundgesetzes nahmen 1949 trotzdem den unerfüllten Verfassungsauftrag von Weimar zur Abschaffung der Staatsleistungen als Artikel 140 auf:
„Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“
Einige Bundesländer schrieben die Pflicht zur Abschaffung der Staatsleistungen sogar in ihre Verfassung, Baden-Württemberg etwa als Artikel 5:
„Für das Verhältnis des Staates zu den Kirchen und den anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gilt Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Er ist Bestandteil dieser Verfassung.“

Seit 101 Jahren gibt es also eine unerfüllte Verfassungsforderung, die Staatsleistungen zu beenden. Deren Ablösung scheitert bisher an einer Formalie. Zwar existieren kaum noch staatsrechtliche Zusammenhänge zwischen den weltlichen Fürstentümern von 1803 und der Bundesrepublik. Die Bedeutung der christlichen Kirchen nimmt stetig ab, was auch am Wirken von Bedford-Strohm und Repräsentanten wie Kardinal Reinhard Marx liegt, die 2016 in Jerusalem dem Begriff Kreuzabnahme bekanntlich einen ganz neuen Sinn gegeben hatten.

Trotzdem gilt, dass der Staat nach allgemeiner Rechtsauffassung eine Staatsleistung nur durch eine Art Abfindung abwerfen kann, wenn er die Verpflichtung einmal anerkannt hat. Die Vorstellungen der Kirche für diese letzte Zahlung bewegen sich zwischen dem Vierzehnfachen, dem Achtzehnfachen und teils dem über Zwanzigfachen der jährlichen Leistungen. Dass Zwanzigfache hieße für Bayern beispielsweise: fast zwei Milliarden Euro auf einen Schlag. Kein Finanzminister würde das in seinen Haushalt schreiben. Es gäbe allerdings – und hier kommen wir wieder zu Bedford-Strohm und seiner Forderung nach einem Sonderopfer der Reichen – die Möglichkeit, dass die Kirche von sich aus entschädigungslos auf die Zahlungen verzichtet. Eine halbe Milliarde jährlich mehr für die Landeshaushalte, das würde den Spielraum für Hilfen nach der Corona-Rezession schon vergrößern. Zusätzlich könnten sich beide Kirchen verpflichten, ihre Kirchentage künftig selbst zu finanzieren. Bisher bekamen sie – jenseits der zu den Staatsleistungen – auch dafür noch kräftige Zuschüsse aus der Steuerkasse.

Im Gegensatz zu den Staatsleistungen gibt es noch nicht einmal die formale Pflicht, den Gesinnungskitsch- und Krempel-Jahrmarkt der EKD aus Steuergeldern zu subventionieren. Vor kurzem stellte Norbert Bolz die rhetorische Frage, ob eine Verbindung zwischen Christentum und Heinrich Bedford-Strohm existiert. In den meisten seiner Verlautbarungen und Interviews jedenfalls nicht. Abgabe- und Enteignungsdebatten können auch weltliche Kräfte führen.

Die Führer beider Kirchen hätten jetzt also die Chance, das zu praktizieren, was ihnen ohnehin liegt: sie könnten ein Zeichen setzen. Das Gesamtvermögen von evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland wird vage auf etwa 435 Milliarden Euro geschätzt, angelegt vor allem in Immobilien, Grundstücken und Wertpapieren. Ein Verzicht auf Staatskirchenleistungen fiele da kaum ins Gewicht. Zwar klagen die Kirchen schon präventiv, wegen der Covid-19-Krise würden auch ihre Kirchensteuereinnahmen leiden.

Das ist allerdings auch schon wegen der vermehrten Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren der Fall. 2018 verließen nur in Nordrhein-Westfalen 88 510 Menschen die katholische Kirche, ein Plus zum Vorjahr von 22 Prozent. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki kann sich das Phänomen kaum erklären, glaubt aber, dass es nicht an seinen Predigten liegt. Die Mindereinnahmen von Staatsleistungsverzicht und eigener geistlicher Misswirtschaft müssten jedenfalls nicht zwingend bei den Krankenschwestern der kirchlichen Krankenhäuser wieder hereingeholt werden. Es bieten sich andere Maßnahmen an. Der Kardinal von München und Freising, Reinhard Marx, bezieht die Besoldungsstufe B 10, die 2020 bei 13.654,43 Euro monatlich liegt. Heinrich Bedford-Strohm erhält B 9. Dazu kommen noch großzügige Wohnungen – bei Marx eine Bleibe von 90 Quadratmetern im Palais Holnstein, das aus öffentlichen Mitteln saniert wurde – und Dienstwagen.

Der übliche Einwand von Bedford-Strom und anderen lautet, es träfe ihn ja auch, wenn Steuern für Wohlhabende erhöht würden. Sehr viele Wohlhabende, beispielsweise Unternehmer, leben allerdings nicht direkt und indirekt von Staatsdotationen und von Abgaben. Praktischer wäre es, gleich an der Quelle zu streichen. Vor allem dann, wenn jemand selbst dazu aufruft, nach Corona ganz neu zu denken und sich keine Illusionen zu machen.

Um noch einmal auf Friedrich II. von Preußen zu kommen: der Monarch hatte nicht nur etwas gegen Vorschläge wie den von Taubenheim. Er besaß auch genaue Vorstellungen, in welchem Maß der Staat seine Bürger belasten sollte. Und das, obwohl er nach dem Siebenjährigen Krieg ein Land wieder aufzubauen hatte.

„Eine Regierung muss sparsam sein“, fand der Monarch, „weil das Geld, das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes stammt. Es ist gerecht, dass jeder einzelne dazu beiträgt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Einkommens mit dem Staate teilen muss.“

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