Der Realitätsverlust Angela Merkels, wenn sie überhaupt in den letzten Jahren ein Verhältnis zur Realität besaß, das sich nicht im Anblick der durch aktivistische Medien errichteten Potjomkinschen Dörfer erschöpfte, zeigt sich in ihrem hektischen Bemühen, ein positives Bild ihrer Kanzlerschaft in den Geschichtsbüchern zu sichern. Drei Wahlkampfauftritte will sie mit Armin Laschet absolvieren, einer fand gestern Abend in Stralsund statt – im strömenden Regen, begleitet von einem Pfeiffkonzert und „Haut-ab!“-Rufen. Die Welt berichtet darüber in der typischen Häme eines westdeutschen Journalisten, der nach der Bestätigung seiner Vorurteile über Ostdeutschland sucht und natürlich findet. Darin ähnelt er Merkel: die Medien und ihre Kanzlerin vereint in größtmöglicher Ferne von der Wirklichkeit.
Den einzig originellen Gedanken der Darstellung konnte man übrigens schon bei TE lesen: dass es Angela Merkel nämlich nicht um die Rettung ihres Kanzlerkandidaten oder des Kanzleramtes für die Union, sondern um ihren Platz in den Geschichtsbüchern geht. Den hat sie nämlich versemmelt.
Merkel hat geglaubt, dass sie als strahlende Kanzlerin das Amt verlassen wird und nach ihr Deutschlands große Transformation mit großer Konsequenz, drastisch, vielleicht sogar brutal durch Leute wie Baerbock, Habeck und Göring-Eckardt durchgesetzt wird – und ihren Platz in den Geschichtsbüchern als die große Ermöglicherin, als die Ahnherrin dieser großen Umwälzung, als Künderin des Morgenrots gesehen. Irgendwann hat sie dem Bild, das sie von sich in den Medien zu schaffen sich stets bemühte, auch selbst geglaubt. Das war der Anfang vom Niedergang ihrer Medienkanzlerschaft.
Denn Referenzpunkt ihres Wirkens waren stets die Medien, die sie um so stärker für sich gewann, um so weiter sie sich von der Geschichte der CDU, von Wesen und Werten der Partei, übrigens auch von Deutschland entfernte. Doch, wie heißt es, wer mit den Medien im Fahrstuhl nach oben fährt, fährt mit ihnen auch wieder nach unten.
Merkel im Regen, das erinnert an das Schlussbild der Verfilmung von Heinrich Manns Roman Der Untertan, als Diederich Heßling vor dem Denkmal des Kaisers in flutendem Regen steht, im Unwetter, ganz allein, er und die untergehende Macht.
Wie heißt es schon in Schillers Die Verschwörung des Fiesco von Genua: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“ Doch da sagt es noch Muley Hassan über sich selbst. Die Zeiten ändern sich. Da es kein kritisches, was eigentlich eine Tautologie, sondern nur noch ein affirmatives Theater, was eine contradictio in adiecto darstellt, gibt, bringt die Geschichte selbst das Stück zur Aufführung. Es sind die Grünen und die aktivistischen Medien, die nun sagen: Die Kanzlerin hat ihre Arbeit getan, die Kanzlerin kann gehen. Selbst wenn es gelingt, in letzter Sekunde das Blatt zu wenden, die Seiten der Geschichte sind bereits geschrieben.