Tichys Einblick
Merkel und Laschet in Stralsund

Die Kanzlerin im Regen

Angela Merkel tritt nun doch noch mit Armin Laschet im Wahlkampf auf: ein hektisches Bemühen, das Bild ihrer Kanzlerschaft in den Geschichtsbüchern positiv zu zeichnen und den Abgang durch die Hintertür zu vermeiden.

Armin Laschet, Philipp Amthor und Angela Merkel in Stralsund am 21. September 2021

IMAGO / Jens Schicke

Der Realitätsverlust Angela Merkels, wenn sie überhaupt in den letzten Jahren ein Verhältnis zur Realität besaß, das sich nicht im Anblick der durch aktivistische Medien errichteten Potjomkinschen Dörfer erschöpfte, zeigt sich in ihrem hektischen Bemühen, ein positives Bild ihrer Kanzlerschaft in den Geschichtsbüchern zu sichern. Drei Wahlkampfauftritte will sie mit Armin Laschet absolvieren, einer fand gestern Abend in Stralsund statt – im strömenden Regen, begleitet von einem Pfeiffkonzert und „Haut-ab!“-Rufen. Die Welt berichtet darüber in der typischen Häme eines westdeutschen Journalisten, der nach der Bestätigung seiner Vorurteile über Ostdeutschland sucht und natürlich findet. Darin ähnelt er Merkel: die Medien und ihre Kanzlerin vereint in größtmöglicher Ferne von der Wirklichkeit. 

Den einzig originellen Gedanken der Darstellung konnte man übrigens schon bei TE lesen: dass es Angela Merkel nämlich nicht um die Rettung ihres Kanzlerkandidaten oder des Kanzleramtes für die Union, sondern um ihren Platz in den Geschichtsbüchern geht. Den hat sie nämlich versemmelt. 

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Im Gegensatz zu Helmut Kohl ist Merkel eine Dilettantin der Geschichte. Sie hat sie immer verachtetet. Nun wird die Geschichte sie verachten. Den Mantel der Geschichte hielt sie stets für einen Mummenschanz aus böser, reaktionärer Vorzeit. Nun muss sie ohne ihn auskommen und steht deshalb da wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern. Zu spät hat sie erkannt, dass Olaf Scholz mit der Raffinesse eines Erbschleichers vorgehen und sich als Fortsetzung von Merkel ohne störendes CDU-Beiwerk präsentieren wird, zu spät durchschaut, dass sie die Medien nur damit gewann, dass sie grün trug und alles, was an die CDU auch nur erinnerte, mied. Hatte sie nicht selbst gesagt, dass die CDU kein natürliches Anrecht auf das Kanzleramt besäße? Das insinuiert, dass auch einmal die anderen dran wären. Sie hat eher das Gegenteil davon getan, der Partei, der sie „nahesteht“, die Macht zu sichern.

Merkel hat geglaubt, dass sie als strahlende Kanzlerin das Amt verlassen wird und nach ihr Deutschlands große Transformation mit großer Konsequenz, drastisch, vielleicht sogar brutal durch Leute wie Baerbock, Habeck und Göring-Eckardt durchgesetzt wird – und ihren Platz in den Geschichtsbüchern als die große Ermöglicherin, als die Ahnherrin dieser großen Umwälzung, als Künderin des Morgenrots gesehen. Irgendwann hat sie dem Bild, das sie von sich in den Medien zu schaffen sich stets bemühte, auch selbst geglaubt. Das war der Anfang vom Niedergang ihrer Medienkanzlerschaft. 

Denn Referenzpunkt ihres Wirkens waren stets die Medien, die sie um so stärker für sich gewann, um so weiter sie sich von der Geschichte der CDU, von Wesen und Werten der Partei, übrigens auch von Deutschland entfernte. Doch, wie heißt es, wer mit den Medien im Fahrstuhl nach oben fährt, fährt mit ihnen auch wieder nach unten. 

Nur noch Orthodoxe und Ketzer
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Nun steht sie in Stralsund im Regen – das muss man nicht nur wörtlich verstehen. Nun bittet sie darum, Armin Laschet zu wählen, zu spät, viel zu spät: „Bitte geben Sie Armin Laschet am kommenden Sonntag Ihre beiden Stimmen, denn er wird dafür sorgen, dass unser Wohlstand erhalten bleibt“ Und sie verspricht das, was sie nicht getan hat: „Laschet wird um jeden einzelnen Job kämpfen, wenn er erst einmal Bundeskanzler ist.“ Auch wenn Angela Merkel mit dem Satz, dass Armin Laschet um jeden Arbeitsplatz kämpfen wird, recht hat, hat sie doch selbst eine Politik der Arbeitsplatzvernichtung, der Inflation, der Energiepreisexplosion und Wohlstandsvernichtung eingeleitet und vorangetrieben. Ihr Problem besteht darin, dass nicht Armin Laschet, sondern Olaf Scholz der wahre Fortsetzer ihrer Politik ist, wenn er in Wolfsburg fast zeitgleich verkündet, dass Deutschland rasch zu einem umweltfreundlichen und fortschrittlichen Wirtschaftsmodell komme müsse, selbst wenn dadurch Arbeitsplätze gefährdet werden. Asozialer sprach noch nie in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ein Sozialdemokrat, aber die Sozialdemokratie fährt inzwischen auf dem arbeitnehmer- und familienfeindlichen Ticket der Identitätspolitik. 

Eine traurige Bilanz
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Der Kanzlerin schwant inzwischen am Ende ihrer allzu langen Kanzlerschaft, sie könnte in tiefer Nacht oder am noch finsteren Morgen das Kanzleramt durch die Hintertür verlassen müssen. Rotgrün oder Rotgrüngelb und Rotgrünerot erst werden ihr die Verantwortung auch dafür, was unter ihrer Regierung schieflaufen wird, in die Schuhe schieben. Ohnmächtig wird sie ihrer Demontage zusehen müssen. Einzig eine CDU geführte Regierung könnte diese Demontage abschwächen.

Merkel im Regen, das erinnert an das Schlussbild der Verfilmung von Heinrich Manns Roman Der Untertan, als Diederich Heßling vor dem Denkmal des Kaisers in flutendem Regen steht, im Unwetter, ganz allein, er und die untergehende Macht.

Wie heißt es schon in Schillers Die Verschwörung des Fiesco von Genua: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“ Doch da sagt es noch Muley Hassan über sich selbst. Die Zeiten ändern sich. Da es kein kritisches, was eigentlich eine Tautologie, sondern nur noch ein affirmatives Theater, was eine contradictio in adiecto darstellt, gibt, bringt die Geschichte selbst das Stück zur Aufführung. Es sind die Grünen und die aktivistischen Medien, die nun sagen: Die Kanzlerin hat ihre Arbeit getan, die Kanzlerin kann gehen. Selbst wenn es gelingt, in letzter Sekunde das Blatt zu wenden, die Seiten der Geschichte sind bereits geschrieben.  


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