Vor 40 Jahren, im Januar 1980, wurden die Grünen gegründet und heute, so der Tenor bei den Jubiläumsfeierlichkeiten, gehe es der Partei besser als je zuvor: „Die Grünen auf Erfolgskurs“, titelten zahlreiche Zeitungen und manche Kommentatoren sprechen gar von der Möglichkeit eines Kanzlers namens Robert Habeck.
Und tatsächlich hat die Partei, die von ihrem Gründungsmitglied Petra Kelly einst als „Antipartei-Partei“ bezeichnet wurde, einen langen Weg zurückgelegt. Viele Mitglieder des damaligen Establishments betrachteten sie als eine Ansammlung von Träumern oder gefährlichen Freaks. Das Land stünde vor der Entscheidung, ob es „auf dem Boden trockener […] bürgerlicher Vernunft und ihrer Tugenden [bleiben] oder in das buntgeschmückte Narrenschiff Utopia“ einsteigen wolle, sagte Franz Josef Strauß, der damalige bayerische Ministerpräsident 1986.
Wer hat damals geahnt, wie sehr die Grünen die politische Debatte der nächsten Jahrzehnte bestimmen würden? „Ökologie und Nachhaltigkeit sind zum Maßstab von Politik geworden – auch weit jenseits dieser Partei“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner enthusiastischen Rede bei der Jubiläumsfeier. Recht hat er. Und es ist kaum auszumalen, wie überrascht der längst im Jenseits weilende Franz Josef Strauß wäre, wenn er wüsste, dass sich heute sogar sein Nachfolger im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten für das Verbot von Plastiktüten, den Kohleausstieg noch vor 2030 und die Verankerung des Klimaschutzes im Grundgesetz stark macht.
„Der ideologische Einfluss der Grünen ist stark, aber ihr Wahlerfolg war bisher bestenfalls mittelmäßig.“
Doch gleichzeitig ist manches erstaunlich konsistent geblieben. Von Anfang an waren die Grünen eine durch und durch bürgerliche Partei, deren Anhänger ganz vorwiegend den wohlhabenden Schichten der Gesellschaft entstammen. „Grüne Ideen gedeihen nicht in den Quartieren der Arbeiter. Sie gedeihen in den Luxusvillen der Schickeria“ war ein weiterer Satz des Populisten Strauß. Und im Jahr 2012, ein Jahr vor der Gründung der AfD, schrieb Manfred Güllner, der Chef des Forsa-Instituts in seinem Buch „Die Grünen. Höhenflug oder Absturz?“: „Die Grünen waren und sind eine Partei für die Minorität der oberen Bildungs- und zunehmend auch der oberen Einkommensschichten […] Die Übernahme zahlreicher grüner Vorstellungen durch die anderen Parteien führt dazu, dass weite Teile der Bevölkerung ihre Interessen und Probleme nicht mehr in der Politik vertreten sehen.“
Deshalb muss auch die viel umjubelte Erfolgswelle der Partei mit Skepsis betrachtet werden. Der ideologische Einfluss der Grünen ist stark, aber ihr Wahlerfolg war bisher bestenfalls mittelmäßig. Nur einmal seit 1980 ist es der Partei bei einer Bundestagswahl gelungen, die 10-Prozent-Marke knapp zu überschreiten. Im Jahr 2009 erhielt sie 10,7 Prozent; ihr zweitbestes Ergebnis erzielte sie 2017 mit 8,9 Prozent. Das Gerede von einem Grünen Erfolgskurs fand seinen ersten Höhepunkt nach der EU-Wahl im Mai des letzten Jahres, als die Partei mit 20,5 Prozent den dritten Platz erzielte. Doch EU-Wahlen sind untypisch, schon allein wegen ihrer niedrigen Wahlbeteiligung, die 2019 bei 61 Prozent lag.
Weniger als fünf Monate später schnitten die Grünen bei den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen unerwartet schlecht ab und schafften nur den vierten oder fünften Platz. In Thüringen und Sachsen erzielte die Partei weniger als ein Drittel der Stimmenzahl, die die AfD auf sich vereinen konnte. „Auch die Grünen können nicht zaubern. Der Höhenflug scheint vorerst gestoppt“, kommentierte eine ernüchterte Valerie Höhne im Spiegel.
In den Monaten vor den Wahlen wurden der Führung der Grünen von Teilen der Presse fast eine Art „Filmstar-Status“ zugesprochen. „Die Deutschen und Robert Habeck, das ist Liebe“, behauptet Ulrich Schulte in der taz: Habeck verkörpere die perfekte Mischung aus Zukunftsoptimismus, Zugewandtheit und Lässigkeit, die das Land aus der jahrelangen Merkel-Lethargie reißen könne. Er könne mit jedem sprechen, schwärmte Jana Hensel in der Zeit.
„Das Hochjubeln der Grünen ist die Strategie derer, die hoffen, die Partei könne die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler kanalisieren. In Wahrheit sind die Grünen meilenweit von den ‚normalen‘ Wählern entfernt.“
Das Hochjubeln der Grünen ist die Strategie derer, die hoffen, die Partei könne die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler kanalisieren – vor allem in Zeiten, da die anderen Parteien an Vertrauen verlieren. In Wahrheit sind die Grünen meilenweit von den ‚normalen‘ Wählern entfernt. Immer wieder zeigen Grüne Politiker einen Hang zum Autoritären und stellen sich an die Spitze von Verbots- und Regulierungsforderungen aller Art. Das gilt längst nicht nur für den berüchtigten wöchentlichen Veggie Day, den Renate Künast 2013 verlangte. Die Grünen kämpfen gegen Fast Food, billiges Fleisch, billige Fflüge, Autos, Rauchen an öffentlichen Orten, Böllern an Silvester usw. Vor der Wahl in Thüringen sorgte Habeck für Spott, als er twitterte: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“ Auch dieser Tweet trug dazu bei, das verbreitete Bild der Grünen als herablassend zu verfestigen – Thüringen sei bereits liberal und demokratisch, konterten viele Kritiker zu Recht.
Seit ihrer Gründung hat die Grüne Partei einen zutiefst konservativen, elitären und wachstumsfeindlichen Kern. Ihr einstiger Anspruch, eine Anti-Mainstream Partei zu sein, die auch freiheitlich-liberale soziale Werte verkörpert, klingt längst nicht mehr überzeugend. Um zu wissen, wofür die Grünen stehen, genügt es, ins letzte Bundestags-Wahlprogramm zu blicken. „Wir machen Deutschland zum Vorreiter beim Klimaschutz“, heißt es da und weiter: „In die Preise für Güter und Dienstleistungen soll einfließen, wenn sie Umweltschäden anrichten.“ Doch schon jetzt tragen die Ärmeren die Last der hohen Stromkosten. Die Strompreise sind in Deutschland seit 2000 um 118 Prozent gestiegen und der durchschnittliche Preis pro Kilowattstunde lag im Jahr 2019 bei fast 33 Cent – ein Rekordhoch, das maßgeblich durch die vollkommen ineffiziente Energiewende verursacht wurde. Das Versprechen, die Lebenshaltungskosten weiter zu erhöhen, dürfte kaum ein Renner bei der nächsten Wahl werden.
Wenige Wochen vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg (am 23. Februar) sprechen wieder viele Umfragen von einem großen Stimmengewinn für die Grünen. Laut Infratest dimap käme die Partei auf 29 Prozent. Ganz gewiss profitiert sie überall von der Schwäche der SPD. Doch selbst wenn die Vorhersagen diesmal stimmen, wäre dies kein Zeichen für eine neue Grüne Erfolgswelle. In dem relativ wohlhabenden Hamburg hat die Partei tatsächlich eine starke Wählerbasis – in den meisten Landesteilen sieht es anders aus. Die Mehrheit der Wähler zu überzeugen, ist nicht das Gleiche wie die politischen Debatten mit grünen Ideen zu überschwemmen.
Dieser Beitrag von Sabine Beppler-Spahl ist zuerst bei Spiked und Novo erschienen.