Tichys Einblick
Schweigen ist Gold, Reden bringt Knast

Die Grenzen der Unfreiheit

Politik, viele Medien, Teile der Wirtschaft und der Justiz sowie die US-Tech-Industrie haben gemeinsam einen riesigen Filter geschaffen. Er soll nur noch durchlassen, was den gesammelten Interessen des Kartells nicht zuwiderläuft. Die Wahrheit wird sich durchsetzen. Aber wie lange kann das dauern?

picture alliance / ZB | Sascha Steinach

„Früher ging’s uns gut. Heute geht’s uns besser. Es wäre besser, wenn es uns wieder gut ginge.“

Den Satz wagte der große Humorist Werner Finck noch 1935 in seinem legendären Berliner Keller-Kabarett „Katakombe“. Das war im Wortsinn lebensgefährlich, denn in der ersten Publikumsreihe saß regelmäßig die Gestapo. Die wenig freundlichen Herren in den langen schwarzen Ledermänteln standen dann in der Pause auch prompt in Finks Garderobe und forderten ihn auf, auf die Pointe künftig zu verzichten.

Nach dem Besuch der Nazi-Schergen sagte der Kabarettist im zweiten Teil des Programms: „Ich muss meine Aussage von eben korrigieren. Es geht uns heute nicht besser.“ Das war seine letzte Vorstellung. Die „Katakombe“ wurde geschlossen, Finck bekam Berufsverbot.

Seit jeher fürchten die Mächtigen nichts so sehr wie die freie Rede.

Aus ihrer Perspektive haben sie auch recht damit. Aufstände kann man mehr oder weniger leicht niederknüppeln, Überzeugungen nicht. Aufständische kann man mehr oder weniger leicht verschwinden lassen, Ideen nicht. Überzeugungen und Ideen verbreiten sich durch das freie Wort, geschrieben oder gesprochen. Wer die freie Rede nicht kontrolliert, kontrolliert auch nicht die Überzeugungen und Ideen.

Und wer die Gedanken seiner Untertanen nicht kontrolliert, ist sehr schnell kein mächtiger Herrscher mehr, sondern ein ehemaliger.

Je scheinbar größer die Möglichkeiten für den einzelnen Menschen sind, sich in der ganzen Welt zu informieren und umgekehrt auch die eigene Meinung der ganzen Welt mitzuteilen, desto aggressiver reagiert das politische Personal. Aggression wird durch Angst erzeugt. Die Herrschenden in Politik, Medien und selbst in der Wirtschaft haben ganz offenkundig Angst davor, dass sie die Kontrolle über die Menschen verlieren.

Die Angst ist berechtigt. Aber anders, als die derzeit Verantwortlichen uns – und oft auch sich selbst – weismachen wollen, liegt das nicht an den neuen Techniken. Das Internet, die Sozialen Medien und auch die Künstliche Intelligenz verhindern ja nicht, dass grandiose Lösungsangebote unserer Herrschenden für die Probleme dieser Welt bekannt werden.

In Wahrheit ist es genau andersherum: Im digitalen Zeitalter verbreitet sich einfach nur viel schneller als früher die Einsicht, dass diese Angebote schlicht nicht attraktiv sind. Das Elektro-Auto rettet nicht das Weltklima, und Berufspolitiker sind für unseren Wohlstand eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Das sieht inzwischen fast jeder.

Die gesellschaftlichen Eliten haben, wie der Kaiser im Märchen, gar keine Kleider an.

Durch die freie Rede in Verbindung mit den neuen Techniken spricht sich das rasend schnell herum – und anscheinend schneller, als das Establishment Gegenmaßnahmen zur Sicherung der eigenen Position entwickeln kann.

Um die Spirale hin zum sich abzeichnenden Machtverlust zumindest etwas zu verlangsamen, haben die üblichen Verdächtigen damit begonnen, die für ihre eigenen Interessen viel zu schnell gewordenen Kommunikationswege sukzessive zu blockieren. Einfacher gesagt: Die freie Rede wird beschnitten, wo immer es geht. Das passiert in Wort, Bild und Ton.

Dabei hat sich der schon länger bekannte polit-mediale Komplex erweitert:

George Orwell hatte seinen dystopischen Roman „1984“ als abschreckende Vision einer totalitären, menschenverachtenden Gesellschaftsordnung geschrieben. Im Jahr 2024 haben maßgebliche Kräfte in den westlichen Industriestaaten das Werk wiederentdeckt – aber nicht etwa als belletristische Literatur, sondern als Bedienungsanleitung.

Wer hätte es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass Facebook den anerkannt wichtigsten Evolutionsbiologen des Jahrhunderts komplett sperrt – weil der mit Wissenschaftspreisen überhäufte 83-jährige Richard Dawkins mit Ehrendoktorwürden von fünf (!) Universitäten kritisiert, dass biologische Männer bei den Olympischen Spielen in Frauenwettbewerben starten?

Der Fall zeigt beispielhaft, wie Facebook einfach eine ideologische Mode zur allein gültigen Wahrheit erklärt und abweichende Ansichten (auch von nun wirklich der Ideologie völlig unverdächtigen Naturwissenschaftlern) aus den zulässigen Debattenbeiträgen kurzerhand herauskatapultiert.

Das ist per definitionem: Zensur.

Wer hätte es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass die Journalistin Annabel Schunke von deutschen Gerichten wegen „Volksverhetzung“ verurteilt wird, weil sie den Lebensstil von einigen in Deutschland lebenden Sinti und Roma kritisiert?

Schunke hatte einen Beitrag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Facebook so kommentiert: „… ein großer Teil der Sinti und Roma in Deutschland“ würde sich durch Steuerbetrug, Schulpflichtverweigerung, Diebstahl und Unordnung „selbst aus der zivilisierten Gesellschaft“ ausschließen. Ein großer Teil dieser Bevölkerungsgruppen ziehe „als Mietnomaden von Wohnung zu Wohnung“.

Schunke seinerzeit weiter: „Wer das benennt, wird von der eigenen Innenministerin des neu erfundenen ‚Antiziganismus‘ bezichtigt. (…) Wie jedwede andere Kritik an einer jahrzehntelang völlig fehlgeleiteten Zuwanderungspolitik soll auch diese unter dem Rassismusvorwurf erstickt werden. Als Deutscher bist du damit mittlerweile nicht mehr als ein Zahlsklave im eigenen Land, der alles hinnehmen muss, was ihm vorgesetzt wird.“

Gegen mehrere Strafbefehle legte Schunke Beschwerde ein. Jetzt hat das Amtsgericht Goslar sie zu 90 Tagessätzen verurteilt. Die Journalistin wird dagegen in die Berufung gehen.

Der Fall ist nicht nur wegen des Niedergangs der Redefreiheit bei uns interessant, den er abbildet. An ihm zeigt sich auch, wie weit Teile unserer Justiz sich inzwischen von der Idee der Unabhängigkeit entfernt haben. Angezeigt wurde Schunke nämlich von der „Zentralstelle für Hasskriminalität im Internet“ (ZHIN). Die ist bei der Göttinger Staatsanwaltschaft angesiedelt. Die Staatsanwältin, die ganz am Anfang des Verfahrens darüber zu entscheiden hatte, ob Schunkes Äußerungen überhaupt juristisch verfolgt werden, ist gleichzeitig auch im Namen der ZHIN tätig.

Die Juristin im Staatsdienst kann also im Namen der Meldestelle erst Anzeige erstatten – und dann als Staatsanwältin selbst die Ermittlungen einleiten. Durch diese juristische Hintertür ist aus „Hassrede“ inzwischen de facto ein Offizialdelikt geworden: also ein Delikt, dass der Staat immer verfolgt, auch wenn sich sonst gar niemand beschwert.

„Hassrede“ ist damit in etwa auf der Ebene von Mord und Vergewaltigung angekommen.

Aus Sicht des Staates ist das durchaus folgerichtig. Denn Worte – in Text, Ton und Bild – sind für ihn deutlich gefährlicher als Taten. Man möge es zynisch nennen, aber bei wertfreier Beurteilung der Machtverhältnisse sind ein paar – oder auch ein paar tausend – Islamisten nun wirklich keine Bedrohung für Deutschlands Mächtige.

Die Zeiten, da Politiker und Wirtschaftsbosse so lausig beschützt wurden, dass sie zur Zielscheibe der RAF werden konnten, sind lange vorbei. Und Verbrechen auf den Straßen fordern zwar Opfer, aber auch nur bei den Normalsterblichen. Selbst die organisierte Kriminalität ist keine ernsthafte Gefahr für den Staatsapparat, jedenfalls noch nicht.

Bedrohlich dagegen sind – richtig: Ideen, transportiert über Worte. Darum ist das Konzept von „Hass und Hetze“ zur Machterhaltung so wichtig: Es ist nahezu beliebig unbestimmt. Es bietet keinerlei konkreten Korridor des Erlaubten und des Verbotenen an. Es ist eine Generalermächtigung für die Staatsmacht, gegen alles und jeden vorzugehen.

Und die Staatsmacht nutzt das ausgiebig. Das Verbot des Magazins „Compact“ zeigt die perfide Dreistigkeit, mit der da dem Rechtsstaat, man kann es nicht anders ausdrücken, ins Gesicht gespuckt wird. Es wird erstmal einfach verboten. Das ist zwar erkennbar verfassungswidrig, aber darum schert sich die Verfassungsministerin Faeser nicht. Wem es nicht passt, der kann sich ja später vor Gericht freiklagen – falls die Betroffenen das Verfahren so lange finanziell, publizistisch und nervlich überleben.

Irritierenderweise beteiligen sich auch unsere sogenannten Leitmedien geradezu lustvoll an der Beschneidung der Meinungsfreiheit.

Die „Süddeutsche Zeitung“ etwa inszenierte eine recht aufwändige Kampagne, um den regierungskritischen Journalisten Boris Reitschuster aus der Bundespressekonferenz zu mobben. Und mit welchen Methoden die öffentlich-rechtlichen Anstalten Kritiker der Corona-Maßnahmen diffamiert haben und systematisch nicht zu Wort kommen ließen, haben wir hier bei TE vielfach ausführlich geschildert.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versucht in seinen Reden und Büchern, das vom Grundgesetz gewollte Ideal einer Gesellschaft der Bürger, also einer Herrschaft von unten, durch sein eigenes Ideal einer Gesellschaft des Staates, also einer Herrschaft von oben, zu ersetzen. Trotzdem sind zwar schon beinahe alle, aber eben doch noch nicht restlos alle Hemmungen gefallen. Alles traut sich auch der Staatsapparat (noch) nicht. Also wird das, was er erledigt haben will, es aber nicht selbst erledigen will, outgesourct: an die „Nicht-Regierungs-Organisationen“ (NGOs).

Das sind fast immer fast völlig von Staatsknete abhängige Einrichtungen. Ohne das – häufig sehr üppig fließende – Steuergeld wären die NGOs keine eingetragenen, sondern insolvente Vereine. Und sie erledigen für den Staat das, wofür sich der Staat selbst zu schade ist.

Nehmen wir die gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) „Correctiv“. Das selbsternannte „Rechercheportal“ hatte ja ein Treffen konservativer Kreise in Potsdam zu einem halben Putschversuch hochgejazzt. Dafür wurden dem Portal sogar mehrere Journalistenpreise hinterhergeworfen. Dumm nur, dass sich vor Gericht herausstellte, dass praktisch alle Behauptungen von „Correctiv“ über das Potsdamer Treffen, nun ja, falsch waren. Und nicht nur ein bisschen falsch, sondern sehr falsch.

Der geschätzte Kollege Alexander Wendt hat in einer beeindruckenden Recherche hier bei TE dargelegt, wie intensiv die Kontakte zwischen „Correctiv“, der Bundesregierung und anderen Medien im Vorfeld der falschen „Enthüllungen“ waren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Selbst der nicht als revolutionärer Umstürzler bekannte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP findet „Correctiv“ inzwischen offenkundig eher dubios. Im Zusammenhang mit den jüngsten Corona-Enthüllungen schreibt er:

„Ferner verriet mir Lauterbachs Staatssekretärin – allerdings auch erst auf hartnäckige Nachfrage –, dass es im Juni 2020 eine Art ‚Geheimtreffen‘ mit mehreren Bundesministerien und dem Regierungssprecher Seibert einerseits sowie Vertretern unter anderem von YouTube, Facebook, der Correctiv gGmbH und der Amadeu Antonio Stiftung andererseits gegeben hat. Bedauerlicherweise gäbe es hierüber keinerlei Aufzeichnungen, erklärte man mir. Es ging in diesem ‚Gedankenaustausch‘ aber um die Abwehr von Desinformation.“

Kubicki ist Jurist und mit Vorwürfen, die er nicht belegen kann, entsprechend vorsichtig. Aber einen Schlusskommentar zu dem „Geheimtreffen zur Abwehr von Desinformation“ kann er sich nicht verkneifen: „So weit, so gut.“

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

So wird die Redefreiheit nach und nach beschnitten. Meldestellen werden eingerichtet, bei denen Denunzianten (völlig ohne Beweislast) behaupten können, irgendwer habe irgendwas Böses gesagt – ausdrücklich übrigens „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Es geht also um die Markierung und staatliche Registrierung erlaubter Meinungsäußerungen. Das ist per definitionem: Zensur.

Aber man verteidigt die Redefreiheit nicht dadurch, dass man sie abschafft.

Das alles implementieren nicht irgendwelche rechten Regierungen, sondern die vermeintlich Linken von SPD und Grünen – unter gütiger Mithilfe der FDP und sogar der Union (die beide eigentlich vor Scham nicht mehr in den Nachtschlaf finden dürften). Der linke Vordenker Jürgen Habermas hat einst das Konzept vom „herrschaftsfreien Diskurs“ entworfen. Menschen wie Ricarda Lang oder Emilia Fester dürften von Habermas noch nie etwas gehört haben. Ihnen geht es sowieso um etwas ganz Anderes. Der gesellschaftliche Diskurs soll nicht herrschaftsfrei sein: Er soll gar nicht sein.

Und alles geschieht natürlich immer im Namen des Fortschritts, für eine schöne neue Welt. Es ging uns zwar gut, aber jetzt geht es uns besser.

Na ja. Es wäre besser, wenn es uns wieder gut ginge.

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