Tichys Einblick
Landtagswahlen in Bayern und Hessen

Die gesellschaftliche und politische Polarisierung des Landes erfasst zunehmend die Bundesländer

Fest steht derzeit nur: das liberal-globale Lager wird im Osten nicht nur in der Minderheit, sondern aufgrund der Schwäche der Grünen auch ideologisch führungslos sein. Das konservativ-nationale Lager wird demgegenüber immer mehr Boden gewinnen.

The Reichstag building, which houses the Bundestag lower house of parliament, is reflected in a puddle, in Berlin on October 5, 2017

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Der Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen zeugen von einer voranschreitenden Polarisierung zwischen zwei neuen politischen Lagern. Die gesellschaftliche Mitte zerfällt in ein liberal-global und ein konservativ-national ausgerichtetes Lager. In den alten Bundesländern dominiert auf absehbare Zeit das liberal-globale und in den neuen das konservativ-nationale Lager.

Bayern: 59 % gegen Merkels Migrationspolitik, Hessen: 72 dafür

Betrachtet man die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen unter dem Gesichtspunkt, wieviel Wähler sich für Parteien entschieden haben, die sich im Wahlkampf eindeutig für oder gegen Merkels Asyl- und Migrationspolitik aussprachen, kommt man zu folgendem Ergebnis: in Bayern stimmten rund 59 Prozent der Wähler gegen, in Hessen dagegen rund 72 Prozent für Merkels Asyl- und Migrationspolitik. Diese hat die beiden Landtagswahlen zwar nicht alleine bestimmt, sie aber nicht nur in Bayern, sondern auch in Hessen so stark mit beeinflusst, dass eine solche etwas holzschnittartige Betrachtung nicht nur legitim, sondern auch recht aufschlußreich ist. Der Vergleich zeigt nämlich, dass die bayerischen Wähler mehrheitlich Parteien bevorzugen, die für ein deutlich restriktiveres Vorgehen in der Asyl- und Migrationspolitik eintreten, während die hessischen Wähler mehrheitlich für Parteien gestimmt haben, die sich für Merkels liberal-globalen asyl- und migrationspolitischen Kurs stark machen.

Notizen nach Hessen
Wenn das Neue von Gestern ist
In beiden Fällen sind die Stimmen für die FDP jeweils nicht mit eingerechnet, da sie derzeit keinem der beiden Lager eindeutig zuzuordnen ist. Als wirtschaftsliberale Partei ist sie naturgemäß für offene Grenzen nicht nur auf den Produkt- und Finanzmärkten, sondern auch auf den Arbeitsmärkten; gleichzeitig hat sie aber erkannt, dass auch Teile ihrer Wählerschaft mit dem grassierenden Missbrauch des Asylrechts zur Arbeits- und Sozialmigration nicht einverstanden sind. Sie schwankt daher zwischen der (ultra-)liberalen migrationspolitischen Haltung à la CDU, SPD, Grüne und Linke und der (ultra-)protektionistischen Haltung von CSU, AfD und Freien Wählern (FW). Mit dieser Profillosigkeit lässt sich im Moment aber weder im Bund noch in den Ländern ein Blumentopf gewinnen, weshalb die derzeitigen Wählerwanderungen auch nicht in Richtung FDP, sondern in Richtung AfD und Grüne gehen. Bei der FDP landen die deutlich wenigeren verschämten Wechsler.
 Konservativ-national gegen liberal-global

Diese beiden Parteien, die ihre Anhänger gegenseitig jeweils als „Rassisten“ oder „Vaterlandsverräter“ anfeinden, stehen für die fortschreitende politische wie ideologische Polarisierung des Landes zwischen einem vorwiegend liberal-global geprägten und einem vorwiegend konservativ-national geprägten (Klein-)Bürgertum. Soziologisch speisen sich beide Richtungen aus teilweise denselben (Berufs-)Gruppen (Akademiker in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, Selbständige, Landwirte, Rentner), unterscheiden sich aber gleichwohl in ihren politischen Präferenzen insbesondere in Hinblick auf Fragen der Europäischen Union und des EURO, der Migration sowie des Energiewandels. Während sich die Interessen und Weltanschauungen der (klein-)bürgerlichen Globalisierungsanhänger stark mit denen des Großbürgertums (Unternehmer, Banker, Manager) überschneiden, decken sich demgegenüber die Interessen und Weltanschauungen der (klein-)bürgerlichen Globalisierungsgegner deutlich mit denen der einfachen Angestellten, Arbeiter und Arbeitslosen. Daher ist die voranschreitende Polarisierung auch eng mit der wachsenden ökonomischen Kluft zwischen ‚Globalisierungsgewinnern‘ und ‚Globalisierungsverlierern‘ verknüpft.

Dokumentation
Die Mittelstands-Union der CSU fragt: Mit Soft Law am Parlament vorbei?
Dies macht deutlich: die voranschreitende gesellschaftliche und wirtschaftliche Polarisierung spaltet zusehends die sogenannte politische Mitte, deren auseinandertriftende Teile sich entweder stärker liberal-global oder stärker konservativ-national ausrichten. Die SPD verliert deswegen schon längere Zeit nicht nur ihre liberal-global gesonnenen Wähler an die Grünen, sondern inzwischen auch ihre stärker konservativ-national gesonnenen Wähler an die AfD. Nicht besser geht es allerdings inzwischen auch der CDU und selbst der CSU. Auch sie verlieren in beide Richtungen, da sie einem Teil ihrer bisherigen Wählerschaft zu ‚globalistisch‘ und einem anderen zu ‚nationalistisch‘ geworden sind. Allen drei schrumpfenden Volksparteien fällt es zusehends schwerer, gleichermaßen die Interessen beider gesellschaftlichen Strömungen abzudecken oder Interessenkompromisse zu schmieden, durch die sich beide ausreichend vertreten fühlen.
Grün-West gegen AfD-Ost und/oder Linke-Ost

Das spiegelt sich auch in den bayerischen und hessischen Wahlergebnissen wieder. In Bayern wird die CSU angesichts der 59 Prozent konservativ-national orientierten Wähler im Land zusammen mit den Freien Wählern eine vorwiegend an deren Interessen und Weltanschauungen ausgerichtete (Migrations-)Politik betreiben, nicht zuletzt, um an die AfD verloren gegangene Wähler wieder zurückzugewinnen. Das schließt Versuche, auch die an die Grünen verloren gegangenen liberal-global orientieren Wähler wieder zurückzuholen, nicht aus, wird aber nicht richtungsbestimmend sein.

CDU: Richtungskorrektur oder nicht
Starten sie oder warten sie?
Demgegenüber will die hessische CDU zusammen mit den Grünen den ohnehin schon eingeschlagenen liberal-globalen Weg, nicht zuletzt in der Migrationsfrage, weiter fortsetzen. Mit 72 Prozent entsprechend orientierten hessischen Wählern ist das Fundament ausreichend breit, um einen eventuell noch größeren Schwund im konservativ-nationalen Wählerreservoir zu verkraften. Notfalls besorgt man sich beim nächsten Mal einen dritten Koalitionspartner, wenn es für Schwarz-Grün endgültig nicht mehr reicht. Die Grünen werden der CDU in dieser Hinsicht in der fortgesetzten Koalition jedenfalls wenig bis gar keinen Spielraum lassen und alle Versuche der CDU, verloren gegangene AfD-Wähler wieder für sich zu gewinnen, unterbinden. Ob dies bei der nächsten hessischen Landtagswahl, wie in Baden-Württemberg, dazu führt, daß nicht mehr die CDU, sondern die Grünen stärkste Partei werden, wird man sehen.

In den alten Bundesländern zeichnen sich somit zunehmend schwarz-grüne oder auch grün-schwarze Regierungsbündnisse, mal ohne, mal mit dritten Partnern ab, wie sie in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hessen inzwischen schon existieren. Sie fußen auf einer in den neuen Bundesländern bestehenden gesellschaftlichen Mehrheit liberal-global gesonnener Wähler, die zwar in einem allmählichen Erosionsprozess begriffen ist, auf absehbare Zeit aber nicht ihre Vorherrschaft verlieren. Sie basiert keineswegs nur auf der ideologischen Hegemonie ihrer Vertreter in Medien, Universitäten, Kirchen, Verbänden und Kultur, sondern verfügt auch über eine solide ökonomische Basis in einer fortschreitend global strukturierten und handelnden Finanzwelt und Industrie.

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In den neuen Bundesländern ticken die Uhren demgegenüber erkennbar anders. Hier ist es im Moment völlig offen, von welchen Koalitionen die jeweiligen Länder in den nächsten Jahren geführt werden. Die Grünen spielen dort als Speerspitze eines liberal-globalen Lagers so gut wie keine Rolle. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass die AfD als ihr Gegenpol sich in dem einen oder anderen ostdeutschen Bundesland zur Partei mit der stärksten Fraktion im jeweiligen Landtag entwickelt. Ihr fehlen im Osten bislang aber koalitionswillige Bündnispartner, obwohl große Teile der CDU anders als im Westen im Osten auch eher dem national-konservativen Lager zuzurechnen sind.

Der mit den Grünen und der FDP regierende schleswig-holsteinsche CDU-Ministerpräsident Daniel Günther hat seiner Partei deswegen vorsorglich schon einmal vorgeschlagen, sich für die neuen Bundesländer erste Gedanken über Koalitionen mit der Linken zu machen. Er wurde diesbezüglich von der Parteiführung zwar zurückgepfiffen. Sein Vorstoß zeigt aber, dass man sich in Teilen der CDU sehr wohl Gedanken macht, wie man auch im Osten unter erschwerten Bedingungen neue liberal-globale Regierungsbündnisse schmieden könnte.

Nur Bayern bleibt schwarz

Eine Sonderstellung kommt in den alten Bundesländern Bayern zu. Die bisherige Stärke der CSU beruhte nicht zuletzt darauf, durch die Kombination einer vorwiegend auf die Interessen des eigenen Landes und der eigenen Bevölkerung orientierten Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik sowohl Wähler der gesellschaftlichen Mittelschichten wie auch der oberen und unteren sozialen Schichten an sich zu binden. ‚Bayern first‘ ist deswegen schon lange vor Trumps ‚America first‘ die Devise der CSU gewesen, mit der sie über Jahrzehnte den Großteil der bayerischen Wähler hinter sich gebracht hat. Das wird sie im Verbund mit den Freien Wählern die nächsten Jahre sicherlich wieder verstärkt tun und dabei besonders in der Migrationsfrage restriktiver vorgehen, sofern die Bundesregierung ihr dies erlaubt.

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Bayern wird von daher vorerst das einzige Bundesland sein, in dem das konservativ-nationale Lager dank der CSU über ein handlungsfähiges Regierungsbündnis verfügt. In den neuen Bundesländern ist hingegen trotz oder auch wegen der Stärke der AfD derzeit völlig offen, von wem und wie sie in Zukunft regiert sein werden. Fest steht derzeit nur: das liberal-globale Lager wird dort nicht nur in der Minderheit, sondern aufgrund der Schwäche der Grünen auch ideologisch führungslos sein. Das konservativ-nationale Lager wird demgegenüber zwar über eine gestärkte AfD verfügen, aber nicht regierungsfähig sein, sofern die potentiellen Bündnispartner vor und nach den im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen weiterhin eine Zusammenarbeit kategorisch ausschließen.

Solange dies so bleibt, wird das liberal-globale Lager aufgrund der Größenverhältnisse der alten gegenüber den neuen Bundesländern länderübergreifend über eine Mehrheit verfügen. Sie wird den von Merkel eingeschlagenen liberal-globalen Kurs der CDU im Bund stärken und auch dort zu einer Koalition mit den Grünen führen. Sobald sich in den neuen Bundesländern hingegen regierungsfähige konservativ-nationale Koalitionen zwischen CDU und AFD bilden, wird dies zusammen mit Bayern auch die Kräfteverhältnisse im Bund zugunsten des konservativ-nationalen Lagers verschieben. Das ist der derzeitige Albtraum des liberal-globalen Lagers im Bund, allen voran der Grünen.

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