Mit seinen knapp über 300.000 Einwohnern ist Mannheim auch als „Quadratestadt“ bekannt. Die historische Innenstadt ist quasi als Planstadt in Häuserblocks, statt in Straßenzügen angelegt. Diese 144 „Quadrate“ sind aber auch nicht solche Quadrate „qua“ Geometrie, sondern auch mal schlichte Rechtecke. In Sachen Integrationsarbeit versucht die Stadt die Quadratur des Kreises. Nordafrikaner sorgen anscheinend für neue Drogenumschlagsplätze. Und, Mannheim wird zur Projektstadt für „Intelligente Videoüberwachung“.
Mannheim war von je her eine multikulturelle Stadt, in der sich in den Sechzigern und Siebzigern Gastarbeiter gerne niederließen und auch blieben. Heute sind viele Italiener, Griechen und vorwiegend Türken in der dritten und vierten Generation hier zu Hause. Direkt hinter dem Marktplatz, Adresse Quadrat G 1, befindet sich das Marktviertel „Little Istanbul“. So klein ist dieser Marktabschnitt gar nicht, in dem man (nicht nur) als Türke alles bekommt, was es in der fernen Heimat eben auch gibt. Gemüse aller Farben, Fleisch immer „halal“, und die Barber- sowie orientalischen Brautmodenshops wechseln einander hier auf Schrittlänge ab. Düfte steigen einem in die Nase, man fühlt sich an den letzten Aufenthalt in der Türkei erinnert.
„Multikulti“ war in Mannheim schon immer Programm und eigentlich nie ein Problem in dem Sinne, denn die Pizzerie und Trattorie oder Gelaterie mit dem Eis in allen Farben, und genauso die Gyros-und Döner-Imbisse, werden von den einheimischen „Monnämern“ genauso frequentiert, wie von den ausländischen Bewohnern. Wobei, viele Türken bleiben schon gern unter sich – auch wenn die Kindeskinder bereits den Mannheimer Dialekt besser beherrschen als die „Muttersprache“. War aber alles nie wirklich ein Problem. Und doch berichtete der Mannheimer Integrationsbeauftragte Claus Preißler neulich auf einer Tagung, wie sehr sich auch Mannheim „verändert“ habe, und es sei eben eine ganz neue Herausforderung – allgemein.
Mit der Flüchtlingskrise von 2015 habe sich vieles „verstärkt“ und kumuliert. Am Rande einer Tagung trafen wir ihn, und lauschten intensiv, was Preißler über die Integrationsbemühungen so zu berichten wusste. Leise und sachlich trat Preißler auf, und dennoch merkten wir, Bemühungen und „Goodwill“ blieben auch in Mannheim Schwerstarbeit. Sprich, Preißler und seine Sozialarbeiter und Helfer versuchen sich in der Quadratur des Kreises.
Vor 2015 kamen plötzlich verstärkt die Südosteuropäer, Rumänen und Bulgaren, mitunter auch Arbeiter und Tagelöhner aus Moldawien, manchmal Kleinfamilien, um ihr Glück in Mannheim, nah des Drehkreuzes in Frankfurt am Main, zu versuchen. Gar nicht so einfach, in einer Stadt, die stets als „Arbeiterstadt“ der fleißigen Menschen gilt, in der aber am besagten 15. März 2016, selbst die SPD als letzte Bastion fiel – an die AfD.
Warum, nur? Weil die Sozialdemokraten lange die Tatsachen in und um Mannheim, aber in ganz Baden-Württemberg „schönredeten“, nur so kann man es sich im Nachhinein erklären.
Denn, die Kriminalitätsstatistik und etliche Vorkommnisse wiesen plötzlich Delikte ganz neuer, und nie gekannter Brutalität auf. Hierzu, und so wurde es vor einem Jahr (2017) durch Polizeipräsident, Thomas Köber (Rhein-Neckar-Kreis) offen dargelegt, „Die Flüchtlinge seien in der Statistik angekommen“, sagte Köber. Von den 29.634 Tatverdächtigen sind 12.749 nicht deutscher Abstammung und davon 4.312 Asylbewerber (plus 43 Prozent). Wobei sich Köber fragte, ob die Einteilung in Deutsche und Nichtdeutsche etwa in einer Vielvölkerstadt wie Mannheim künftig überhaupt Sinn macht.
Oh doch, sie macht Sinn, schieben wir (verspätet) nach. Immerhin, die „Aufklärungsrate“ sei ebenso gestiegen.
Mannheims Integrationsbeauftragter, Claus Preißler, gilt als „Mann der Praxis“, immer im Bilde, was in seiner Stadt und in der Umgebung „so abgeht“. Bei seinem Vortrag wies Preißler die anwesenden Besucher gleich darauf hin, seinen Bericht könne er nicht immer „political correct“ ausführen. Sein Thema ist oft die „Herausforderung“ prekärer EU-Binnenzuwanderung. Preißler, studierter Soziologe, und eher ein Sozialarbeiter alter Schule, firmiert mit seinem Fachbereich für „Vielfalt, Internationales und Protokoll“. Auf die „bunte“ Vielfalt käme es ihm nicht an, bunt seien alle, es gehe vielmehr um Menschen, und wie diese, wenn sie denn schon „ausgerechnet“ in Mannheim ankämen, auch menschenwürdig aufgenommen und behandelt würden. Das ist Preißlers Ansatz, und dennoch ist er weit davon entfernt, ein unreflektierter „Gutmensch“ zu sein, der allen anderen Vorschriften macht, wie man ja heutzutage oft erleben kann.
Realismus wurde gefragt, damals und heute.
„Migranten aus fast 190 Nationen sind in Mannheim…“, erzählt Preißler beim Gastvortrag an der Hochschule für Verwaltung und Finanzen. Und er fragte sich auch, „Wie fanden die ausgerechnet hierher? Statt nach Frankfurt oder Stuttgart…“ zu gehen (wo sie aber auch angekommen sind). Seine Kollegen und er selbst waren immer wieder verblüfft und überrascht, die Arbeit ging schließlich nie aus, oft auch nach Feierabend nicht.
Seit Bulgarien und Rumänien der EU beigetreten sind, sprechen monatlich 260 Personen in Mannheim vor. Weit vor dem EU-Beitritt waren es „gerade einmal 60 im Jahr“. Dies stellt Mannheim vor ganz anderen Problemen. Diese Menschen müssen ja irgendwie „unterkommen“. Aus Elendsquartieren in der Heimat kommend, erhoffen sie sich hier viel Besserung.
Preißler betonte ausdrücklich, es sei definitiv kein „Rumänien-Bulgarien-Bashing“, aber es herrschten bis kurz vorm EU-Eintritt eklatante Defizite in diesen Ländern (im Raum stand die Frage, wie die EU solche Länder zulassen konnte, bzw. mit welchen Auflagen?). Korruption, eine mangelhafte Gesetzlichkeit und Rechtsversäumnisse, und mit dieser Sozialisation und „diesen, anderen Vorstellungen“, kommen weiterhin tagein, tagaus, die Einwanderer aus prekären Milieus zu uns.
Ihr Motto: Sich irgendwie in Mannheim „durchzuschlagen“. Über Hartz-IV und ALG-II wissen alle Bescheid.
Claus Preißler, sympathisch-sachlich, der ein wenig wie der bekannte TV-Hundelehrer Martin Rütter aussieht, musste nun selbst viele zugewanderte Tagelöhner und Kleinfamilien, die mit wenig Habseligkeiten ankamen und kommen, auf den Boden der Tatsachen bringen, und ihnen viel erklären, eben lehren, und auch irgendwie „domptieren“.
Der Integrationsbeauftragte ringt jetzt noch manchmal nach Worten wie bei seinem Vortrag im Ludwigsburger Hörsaal, wenn er Erlebtes schildert: „Mütter aus Südosteuropa schaffen an, deren Kinder verwahrlos(t)en teils. Eine Mutter schloss die Kinder in der Mannheimer Wohnung ein, ging „anschaffen“, es geschah ein schrecklicher Unfall“ – die Kinder verbrannten.
Schnell war klar, was alles getan werden musste: Von der Organisation der aufsuchenden Sozialarbeit, eben mit den Mitteln, die das Budget hergab, Übersetzungen von Texten und Anlaufstellen in etlichen gängigen Sprachen, und die „Aufklärung“ der Zugewanderten hier.
Alles müsse bewerkstelligt werden, von der „Anmeldung der Kinder an den Schulen“, das andere aber war, dass bei den Eltern und Kindern gar „keine Bildungsaffinität“ vorhanden sei. Dann kamen auch noch Migranten hinzu, eine „Never ending Story“
Die Schulen waren überfordert, schrieben Brandbriefe, übrigens nicht nur in Mannheim. Bundesweit schlugen Eltern, Lehrer und Schulleitungen „Alarm“.
Die Stadt rief mit Preißler vor rund zwei Jahren alle betroffenen Bereiche und Akteure an einen Tisch. Was die Bundespolitik kaum zu leisten vermochte, mussten eben die Kommunen und Gemeinden in „Eigenregie“ leisten. So entstand auch die „Mannheimer Erklärung, für ein Zusammenleben in Vielfalt“.
Schnellere Ansprachen in der jeweiligen Sprache, und in den Quartieren wurden arrangiert, genauso in der Stadtverwaltung gab es Infos im Bürgerbüro, im (An-)Meldeservice. Kein Kind sollte verloren gehen, den Anschluss an die Schulen möglichst schnell „umgesetzt“ werden.
Aber, Preißler macht sich nichts vor, die Probleme sind natürlich da, wo sich viele verschiedene Nationen und viele männliche Miranten auf engstem Raum arrangieren müssen. Immer wieder fragen sich Kollegen Preißlers allgemein, was genau tut die EU, um solche Zuwanderungen ein wenig „einzudämmen“, wenn es doch gar nicht mehr die Jobs und Helfertätigkeiten von früher gäbe?
Preißler wusste, wie andere Teilnehmer auch, davon zu berichten, dass sich viele rumänische und bulgarische Tagelöhner (im Lauf der Zeit auch andere), im wahrsten Sinne des Wortes, frühmorgens auf die Straßen stellten, um „ihre Dienste“ anzubieten. Fast wie ein „Arbeiterstrich“. Und es kämen tatsächlich Autos und Kleinlastwagen (Sprinter), die nach kurzer Abstimmung, Arbeiter mitnehmen. Die Baubranche boomt bis nach Stuttgart hinein.
Dann, eine neue Baustelle:
Ganz aktuell, die Nachrichtenmeldungen einer groß angelegten Gaststätten-Razzia in Mannheim, die Quadrate wurden intensiv vermessen, und hochgenommen. Hinweisen auf neue Drogenumschlagsplätze wurde intensiv nachgegangen.
Nordafrikaner seien die kriminellen Protagonisten.
Auch deshalb startet Mannheim auf öffentlichen Plätzen mit einer „intelligenten Videoüberwachung“, um suspekte Handlungen, verdächtige Bewegungen und sich andeutenden Gewalttaten schneller beizukommen. Man lässt nichts unversucht, ein Sicherheitszeichen an die Bürgerschaft. Die Sicherheitsbehörden sind also in präventiver Obacht-Stellung.
Fünf Jahre soll die „Pilotphase“ dauern, bei der schrittweise die Aufzeichnungen automatisch ausgewertet werden. Dabei gehe es darum, „Verhaltensmuster“ zu erkennen, propagiert das Ministerium die intelligenten Kameras.
Integration und Innere Sicherheit, zwei Seiten einer Medaille, oder: wie beruhigt man die gespaltene Gesellschaft, seit Merkels „Wir schaffen das“?
Fakt ist: „Deutschland tut sehr viel“, schloss Integrationsbeauftragter Preißler auf der Tagung, was die Integration betrifft. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, in einer Stadt, bei der man wegen der Probleme schon mal im Viereck herumspringen könnte. Die Quadratur des Kreises geht also weiter …
Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.