Tichys Einblick
Verehrter Kardinal Marx, Eminenz

Die Freiheit eines Christenmenschen

Der Kardinal sollte bedenken, welche Schleusen des Unheils marxistische Denkschulen geöffnet haben, weil sie sich dem Ideal des freien Willens und damit dem Willen unseres Schöpfers entgegengestellt haben.

© Alexander Hassenstein/Getty Images

Als treuer und gläubiger katholischer Christ, der allzeit bereit ist, zu seinem Glauben zu stehen und ihn öffentlich zu bekennen, muss ich jetzt auf die lutherische Freiheit des Christenmenschen zurückgreifen, um Ihnen zur Jahreswende eine kultivierte Methodenkritik ins Erzbistum München und Freising zu übermitteln. Wie man der von meinen GEZ-Beiträgen finanzierten Tagesschau entnehmen konnte, haben Eure Eminenz mal wieder den Hof der reinen Theologie verlassen, um in vermeintlich interdisziplinärer theologisch-wirtschafts-sozialwissenschaftlicher Kompetenz und mit der Autorität, die Ihnen ihr Amt verleiht, die Rückkehr des Marxismus anzukündigen und dies mit ihrem wohlwollenden Kardinalssegen für eine gar nicht so schlimme Sache zu halten, wo doch die Marktwirtschaft mit ihrer Seelenkälte die Menschen enttäuscht und verarmt hat.

Sie müssen jetzt nicht befürchten, dass ich zu den Lutheranischen überlaufe. Dort träfe ich nämlich auf Käßmann und Bedford-Strohm, deren auf Facebook- und öffentlich-rechtlichem Seichtmedien-Niveau am Zeitgeist festgenagelte Flachheit des Diskurses mir eine paulinische Zornesfalte ins Gesicht treiben würde. Dieser Fluchtweg ist also verbarrikadiert.

Aber ihre andere Befürchtung kann ich Ihnen bestätigen: Nämlich, dass diese gehorsamst vorgetragene Kritik an ihren regelmäßigen Ausflügen in die Untiefen der vermeintlich ungerechten Wirtschaftsordnung sich nicht darauf beschränken wird, Argumente der wirtschaftlichen Vernunft vorzutragen. Vielmehr werde ich mir erlauben, Sie mit einigen philosophisch-religiösen Überzeugungen zu belästigen in der Hoffnung, dass meine Küchentheologie mehr taugt, als ihre Küchenökonomie.

Anfangen möchte ich aber mit der Ökonomie und da, Eure Eminenz, ist es mir ein Bedürfnis, Sie einmal mit ein paar ganz simplen Grundlagen vertraut zu machen, die ihrem in dieser Disziplin nun mal offenbar ungeschulten Auge bisher entgangen sind.

Wenn sie über die Unterschiede von Markt und Marx nachdenken, dann sollten Sie nämlich zunächst wissen, dass den Menschen in der Welt der Knappheit, wie Gott sie nun mal geschaffen hat (ich bin sicher, er hat sich was dabei gedacht) nur eine begrenzte Anzahl von Mechanismen zur Verfügung stehen, um Güter an Menschen zu bringen. Man nennt das Güterallokation. Es gibt davon leider nur vier, wenn man mal von der Brotvermehrungs-Geschichte absieht, deren Moral darin besteht, dass das Teilen eine Win-Win-Situation schaffen kann, aber davon später mehr.

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Die erste Form der Güterallokation ist der Markt. Der Markt ist entgegen marxistisch-sozialistischen Verschwörungstheorien kein anonymes Monster, das darauf lauert, Arbeiter, Bauern und kleine Theologen zum Frühstück zu verschlingen. Er sagt nur etwas ganz einfaches aus: Wenn Sie, verehrter Kardinal, und ich etwas tauschen wollen, dann können wir beide das tun, wann und wo und zu welchem Preis wir das wollen, ohne dass uns jemand da rein redet. Wenn Sie also zum Bäcker gehen und der Ihnen einen Laib Brot für drei Euro verkauft, dann führen Sie beide diese Transaktion aus freiem Willen durch, weil es für sie beide von Vorteil ist. Wenn weder Papst noch Kanzlerin ihnen dabei reinreden dürfen, dann liegt Markt vor. Das ist schon alles. Wer das verstanden hat, weiß, wie Markt funktioniert.

Kommen wir zur zweiten Form der Güterallokation, der Bürokratie. Wenn jemand mit dem Ergebnis des Marktes nicht einverstanden ist, meistens aus eigennützigen Gründen, dann wird er die Moral als Waffe ins Feld führen und Ihnen sagen, dass bei ihrem Brotkauf Ausbeutung im Spiel war. Er wird dann eine Zwangsmaßnahme fordern und einführen, die es Ihnen und dem Bäcker unmöglich macht, den Leib Brot zu dem Preis zu tauschen, der ihnen beiden gerade noch wechselseitig vorteilhaft erschien. Das kann in zwei Richtungen gehen: Entweder findet er den Brotpreis zu hoch („Die Leute können sich kein Brot mehr leisten“) oder zu niedrig („Aldi betreibt Preisdumping gegenüber dem Bäcker“). Damit dieser kleine Brief nicht zu lange wird, nehmen wir den in der Geschichte häufigeren Fall, dass jemand mit der Macht von Schergen und Waffen den Preis zu hoch findet, so wie jüngst die Bundesregierung bei den Mieten.  Er wird ihnen einen Preis vorschreiben, zum Beispiel zwei Euro. Das Problem: Der niedrigere Preis gibt ein falsches Signal an die Produzenten von Brot, nämlich dass Brot nicht so knapp ist, wie gedacht, sonst wäre es ja nicht so billig. Infolgedessen sinkt die Produktion von Weizen und von Brot und die Knappheit wird größer, nicht kleiner.

Unser schlauer Bürokrat hat damit nicht gerechnet, aber der neue Gleichgewichtspreis, der sich dann auf einem freien Markt einstellen würde, beträgt dann eher vier Euro, als zwei oder drei und da die Nachfrage nach Brot aufgrund seiner Eigenschaft, die Leute am Leben zu erhalten, relativ starr ist, passieren zwei Dinge: Es bildet sich ein – unterdrückter und verfolgter – Schwarzmarkt. Dort findet unser Bürokrat dann die Sündenböcke für die Folgen seiner arroganten und anmaßenden Politik. Und es bildet sich ein neuer Mechanismus der Güterallokation heraus.

Damit kommen wir zum dritten möglichen Weg, Güter an Menschen zu bringen: Schlange stehen. Und damit meine ich nicht die Schlange auf dem Weg zur heiligen Kommunion, die dem Gläubigen Gelegenheit gibt, vor dem gemeinsamen Abendmahl im stillen Gebet mit Gott zu kommunizieren und den meditativen Moment der Gemeinschaft zu erleben. Ich sage das nur, weil Sie vielleicht beim Stichwort Schlange stehen berufsbedingt eher positive Assoziationen haben. Die sind hier aber völlig fehl am Platze.

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Die Schlange von der ich hier schreibe, bildet sich vor den Lebensmittelausgabestellen, die zur Verwaltung des Mangels von den Mächtigen eingerichtet werden oder die sich spontan bilden, wenn zum staatsbürokratisch verordneten Preis nicht mehr ausreichend produziert wird, um die Nachfrage zu decken. Es ist dies die Schlange, die im Laufe der Zeit immer länger wird, weil Menschen, die in ihr auf Zuteilung warten, nichts produzieren können und so die Knappheit immer größer wird. Dies ist übrigens üblicherweise der Moment, wo die Schergen des bürokratischen Regimes die Maske ihres Gutmenschentums fallen lassen und anfangen, den Laden mit Zwang und struktureller Gewalt, Überwachung, Verhaftungen und Verfolgung Andersdenkender zusammenzuhalten.

Während diese Schlange immer länger wird, fällt die Produktion von Brot – und allen anderen Gütern – immer weiter und der Brotpreis in Form von Wartezeit steigt in einer speziellen Form der Inflation immer weiter an. Das tut er solange, bis die Knappheit ein Niveau erreicht hat, bei dem das Schlange stehen keine funktionierende Überlebensstrategie für die Menschen mehr darstellt. Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann findet die Gesellschaft den Übergang zum vierten und letzten Allokationsmechanismus.

Dieser vierte Allokationsmechanismus ist die Gewalt, Herr Kardinal. Sie ist das zwingende und unausweichliche Ergebnis des manipulativen Willens der Mächtigen, die Ergebnisse des freien Tausches und Handels mit der Begründung eines angeblichen, aber in Wahrheit erlogenen Marktversagens, nicht hinnehmen zu wollen. Deshalb bringen sich heute in Venezuela Menschen für einen Laib Brot oder ein gefrorenes Huhn gegenseitig um. Und ob die Motivation für dieses Handeln wider den Markt ein eigennütziges der Mächtigen war, die meistens irgendeinem Verwandten oder Günstling mit der Abschaffung des freien Tausches einen markt- und damit leistungswidrigen Vorteil zu verschaffen suchen, oder ob moralinschwangerer Irrtum mit oder ohne theologische Begründung dafür herhalten musste ist egal: Das Ergebnis ist das Gleiche.

Krieg und Bürgerkrieg sind häufig genug die Folge der Sozialismus-induzierten Verarmung von Gesellschaften. Die historischen Beispiele dafür hat das 20. Jahrhundert in Hülle und Fülle geliefert. Und angesichts der realen Zusammenhänge habe ich eine Bitte: Bringen Sie mir nicht das Argument, der Sozialismus sei was Gutes und bisher nur nicht richtig in die Tat umgesetzt worden. Diesen Schwachsinn ertrage ich nicht mal mit Alkohol. Nunc est bibendum.

Sie sehen, man muss kein promovierter Ökonom sein, um das zu verstehen. Eine Theologieausbildung steht einem auch nicht wirklich dabei im Weg, sonst wäre der Präsident des liberalen Austrian Institute kein ausgebildeter Priester. Sie sind also nicht exkulpiert.

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Suchen Sie jetzt bitte nicht verzweifelt nach weiteren Allokations-Mechanismen, um dieser Wahrheit aus dem Wege zu gehen. Das Geschenk oder das karitative Teilen sind hier schon erfasst: Wenn es freiwillig geschieht, hat es Tauschcharakter, unfreiwillig hat es Bürokratiecharakter. Das unterscheidet eben den guten Menschen vom Gutmenschen: Der gute Mensch tut Gutes mit seinem eigenen Geld, der Gutmensch nimmt dafür das Geld anderer Leute, idealerweise mit Zwang. Deshalb ist er auch bekannt unter den Bezeichnungen „Sozialist“, „Marxist“ und „Kommunist“.

Und abschließend, Eminenz, erlauben Sie mir ein paar Worte zu der Frage, was mich als Christen in dieser Sache antreibt. Es gibt nämlich durchaus gewichtige theologische Gründe, für eine liberale Wirtschaftsordnung einzutreten. Das gilt sowohl für die Freiheit des Menschen als Gottes Geschöpf, wie auch für die Eigentumsordnung, die schon in den 10 Geboten („Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“) für einen Christen klar verankert ist.

Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Nur der Naive kann daraus folgern, dass damit unsere körperliche Gestalt gemeint war. Was also ist dann gemeint? Vielleicht ja das Geschenk des freien Willens. Gott hat uns als freie Wesen geschaffen, ein Geschenk, das so groß war, dass er dafür sogar bereit war, das Böse in der Welt hinzunehmen, weil Freiheit auch immer Wahlfreiheit bedeutet. Freiheit macht den Kern unseres Wesens aus und jede Gesellschaftsordnung, die das ignoriert, versündigt sich am Wesen der Schöpfung. Der Marxismus und der Sozialismus tun genau das und das Ergebnis ist bekannt: Das Versinken der Gesellschaft in der Barbarei.

Wenn Sie, verehrter Kardinal und geschätzter Großprior, daher das nächste Mal der Auffassung sind, die Freiheit des Wirtschaftens, deren einzige Form nun mal die Marktwirtschaft ist, zu kritisieren oder sogar grundsätzlich in Frage zu stellen, dann sollten Sie bedenken, welche Schleusen des Unheils diese Denkschulen in der Vergangenheit geöffnet haben, weil sie sich dem Ideal des freien Willens und damit dem Willen unseres Schöpfers entgegengestellt haben.

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