Tichys Einblick
Berliner Testballon

Die Forderung nach einer Migrantenquote zielt auf eine Änderung des Grundgesetzes

Der rot-grüne Berliner Senat unternimmt einen ersten Vorstoß für eine gesetzliche Migrantenquote im öffentlichen Dienst. Vorbild sind die von Union und SPD schon beschlossenen und noch geplanten Quoten-Gesetze für Frauen.

imago images / Reiner Zensen

Nach Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes lautet eines unserer Grundrechte: “Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Benachteiligungen einzelner Bevölkerungsgruppen, etwa durch gesetzliche Quotenregelungen in Unternehmen oder Behörden, sind daher ebenso verboten wie deren Bevorzugung. Einzig für Menschen mit Behinderungen gilt nur ein Benachteiligungs-, aber kein Bevorzugungsverbot. Private wie öffentliche Arbeitgeber sind in Deutschland daher gesetzlich verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit behinderten Mitarbeitern zu besetzen.

Berlin
Senatorin fordert 35-Prozent-Migrantenquote in Verwaltung
Der Frauenbewegung ist es mittlerweile gelungen, die Widerstände gegen die gesetzliche Bevorzugungen von Frauen zu durchbrechen und nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in Aufsichtsräten von Privatunternehmen eine gesetzliche Frauenquote durchzusetzen. Darüber hinaus ist von der Bundesregierung geplant, noch während der laufenden Legislaturperiode eine Quotenregelung für Frauen in Vorständen von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen einzuführen. Die Protagonisten dieser Gesetze berufen sich auf Absatz 2 von Artikel 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Das Bevorzugungsverbot gemäß Absatz 3 wird dadurch zwar bezüglich der Gleichbehandlung von Männern und Frauen eingeschränkt, nicht jedoch aufgehoben.

Da Frauen nach herrschender Auffassung im Berufsleben gegenüber Männern unter Nachteilen zu leiden haben, wird inzwischen das Bevorzugungsverbot aufgrund Absatz 2 für Frauen als eingeschränkt betrachtet. Mit Hilfe von gesetzlich vorgeschriebenen Quoten sollen Frauen daher verstärkt bei der Besetzung von Stellen in privaten und öffentlichen Unternehmen bevorzugt werden. Eine neue Qualität erhielt dieser Ansatz durch den Vorstoß der Grünen, der SPD und der Linken bei der Besetzung von Partei-Listenplätzen für Wahlen. Entsprechende rot-grüne Gesetze für „paritätische Wahllisten“ in Thüringen und Brandenburg wurden nach Klagen der AfD von den zuständigen Verfassungsgerichten mittlerweile jedoch als verfassungswidrig verworfen. Parteien müssen bei der Aufstellung ihrer Kandidaten und Kandidatinnen frei bleiben.

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Das gilt bei der Besetzung von Stellen in privaten und öffentlichen Unternehmen so nicht. Deswegen gelten gesetzliche Quotenregelungen auf diesem Gebiet nach herrschender verfassungsrechtlicher Meinung aufgrund von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes auch als verfassungskonform. Anders dürfte es sich indes mit dem aktuellen Vorstoß der rot-grünen Regierung in Berlin verhalten, die per Gesetz eine Migrantenquote von 35 Prozent bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst vorschreiben möchte. Sie folgt damit einer identitätspolitischen Agenda, die sich die „positive Diskriminierung“ von bestimmten sozialen Gruppen auf die Fahnen geschrieben hat, die von einigen Sozialwissenschaftlern sowie von linken und grünen Parteien zu Opfern „struktureller Diskriminierung“ deklariert worden sind.

Unabhängig von der Frage, wer nach Vorstellung des Berliner Senats genau in den Genuss der vorgesehenen migrantischen Bevorzugung kommen soll, ob also etwa europäische Migranten ebenso darunter fallen sollen wie außereuropäische, dürfte ein solches Gesetz, das Migranten bei der Stellenbesetzung einen rechtlichen Anspruch auf Bevorzugung verschaffen will, wegen der damit einhergehenden schwerwiegenden Benachteiligung von Nicht-Migranten gegen Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßen. Hinzu könnte ein Verstoß gegen Artikel 33, Absatz 2 des Grundgesetzes kommen, der jedem deutschen Staatsbürger einen „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amte“ zusichert. Genau dies stünde in Frage, sollte in Zukunft, wie geplant, die Herkunft eines Bewerbers oder einer Bewerberin bei gleicher Eignung darüber entscheiden, ob er oder sie eine Stelle zum Beispiel in einer Stadtverwaltung, in einem Jobcenter oder an einer Hochschule erhält.

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Wir können von daher sicher sein, dass auch gegen das geplante Berliner Quoten-Gesetz für Migranten mit guten Erfolgsaussichten geklagt werden wird. Anders als bei den Behinderten und den Frauen verbietet das Grundgesetz nämlich zum Schutz der Gleichberechtigung eine Bevorzugung aufgrund der Abstammung. Genau dagegen richten sich nicht nur die Betreiber des neuen Gesetzes, sondern etwa auch die von jesidischen Kurden abstammende Publizistin Düzen Tekkal. In einem Interview mit der Welt vom 19. Januar zur geplanten Berliner Migrantenquote fordert sie, der Migrationshintergrund eines Bewerbers solle per Gesetz allgemein „als positives Einstellungsmerkmal definiert werden, ähnlich wie bei Frauen und Schwerbehinderten.“ Wer über ein solches Merkmal nicht verfügt, soll bei gleicher Qualifikation bis zur Erreichung der Quote keine Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst erhalten. Da das Grundgesetz einen Abstammungs-Bonus aber ebenso verbietet wie einen Abstammungs-Malus, läuft diese Forderung darauf hinaus, per Quoten-Gesetz dagegen zu verstoßen oder Artikel 3 des Grundgesetzes in Zukunft so zu ändern, dass nicht nur Frauen, sondern auch Migranten mittels gesetzlicher Quoten bei Stellenbesetzungen bevorzugt werden können.

Das dürfte auch die eigentliche Absicht hinter dem Vorstoß des rot-grünen Berliner Senats sein, der sich der Verfassungswidrigkeit seines geplanten Gesetzes bewusst sein dürfte, mit Blick auf die nächste Bundesregierung aber darauf setzt, im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes initiieren und organisieren zu können. Dazu bedarf es nicht, wie derzeit im Land Berlin, einer Regierung aus Grünen, SPD und Linken, nachdem die Union sich bereit erklärt hat, Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes mit Blick auf das dort verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse zu ändern. Bei dieser Gelegenheit ließe sich auch ein Förderungsgebot für Migranten einbauen, dem dann wie bei den Frauen mittels gesetzlicher Quoten nachgekommen werden kann.

Bewerber für den öffentlichen Dienst müssten dann mittels eines Abstammungsnachweises belegen, dass sie über einen Migrationshintergrund verfügen. Eine Idee, die die Grünen mit in die Verhandlungen für eine schwarz-grüne (wahlweise auch schwarz-grün-gelbe oder schwarz-grün-rote) Bundesregierung einbringen könnten. Vielleicht wird die Union diese Idee im Sinne ihrer weiteren „Modernisierung“ aber selbst schon in ihr Programm für die kommende Bundestagswahl mit aufnehmen. Identitätspolitisch ist sie nämlich, wie auch die CDU-Anhängerin Tekkal meint, noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Der rot-grüne Testballon aus Berlin könnte dies ändern.

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