Nach Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes lautet eines unserer Grundrechte: “Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Benachteiligungen einzelner Bevölkerungsgruppen, etwa durch gesetzliche Quotenregelungen in Unternehmen oder Behörden, sind daher ebenso verboten wie deren Bevorzugung. Einzig für Menschen mit Behinderungen gilt nur ein Benachteiligungs-, aber kein Bevorzugungsverbot. Private wie öffentliche Arbeitgeber sind in Deutschland daher gesetzlich verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit behinderten Mitarbeitern zu besetzen.
Der Frauenbewegung ist es mittlerweile gelungen, die Widerstände gegen die gesetzliche Bevorzugungen von Frauen zu durchbrechen und nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in Aufsichtsräten von Privatunternehmen eine gesetzliche Frauenquote durchzusetzen. Darüber hinaus ist von der Bundesregierung geplant, noch während der laufenden Legislaturperiode eine Quotenregelung für Frauen in Vorständen von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen einzuführen. Die Protagonisten dieser Gesetze berufen sich auf Absatz 2 von Artikel 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Das Bevorzugungsverbot gemäß Absatz 3 wird dadurch zwar bezüglich der Gleichbehandlung von Männern und Frauen eingeschränkt, nicht jedoch aufgehoben.
Da Frauen nach herrschender Auffassung im Berufsleben gegenüber Männern unter Nachteilen zu leiden haben, wird inzwischen das Bevorzugungsverbot aufgrund Absatz 2 für Frauen als eingeschränkt betrachtet. Mit Hilfe von gesetzlich vorgeschriebenen Quoten sollen Frauen daher verstärkt bei der Besetzung von Stellen in privaten und öffentlichen Unternehmen bevorzugt werden. Eine neue Qualität erhielt dieser Ansatz durch den Vorstoß der Grünen, der SPD und der Linken bei der Besetzung von Partei-Listenplätzen für Wahlen. Entsprechende rot-grüne Gesetze für „paritätische Wahllisten“ in Thüringen und Brandenburg wurden nach Klagen der AfD von den zuständigen Verfassungsgerichten mittlerweile jedoch als verfassungswidrig verworfen. Parteien müssen bei der Aufstellung ihrer Kandidaten und Kandidatinnen frei bleiben.
Unabhängig von der Frage, wer nach Vorstellung des Berliner Senats genau in den Genuss der vorgesehenen migrantischen Bevorzugung kommen soll, ob also etwa europäische Migranten ebenso darunter fallen sollen wie außereuropäische, dürfte ein solches Gesetz, das Migranten bei der Stellenbesetzung einen rechtlichen Anspruch auf Bevorzugung verschaffen will, wegen der damit einhergehenden schwerwiegenden Benachteiligung von Nicht-Migranten gegen Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßen. Hinzu könnte ein Verstoß gegen Artikel 33, Absatz 2 des Grundgesetzes kommen, der jedem deutschen Staatsbürger einen „nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amte“ zusichert. Genau dies stünde in Frage, sollte in Zukunft, wie geplant, die Herkunft eines Bewerbers oder einer Bewerberin bei gleicher Eignung darüber entscheiden, ob er oder sie eine Stelle zum Beispiel in einer Stadtverwaltung, in einem Jobcenter oder an einer Hochschule erhält.
Das dürfte auch die eigentliche Absicht hinter dem Vorstoß des rot-grünen Berliner Senats sein, der sich der Verfassungswidrigkeit seines geplanten Gesetzes bewusst sein dürfte, mit Blick auf die nächste Bundesregierung aber darauf setzt, im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes initiieren und organisieren zu können. Dazu bedarf es nicht, wie derzeit im Land Berlin, einer Regierung aus Grünen, SPD und Linken, nachdem die Union sich bereit erklärt hat, Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes mit Blick auf das dort verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse zu ändern. Bei dieser Gelegenheit ließe sich auch ein Förderungsgebot für Migranten einbauen, dem dann wie bei den Frauen mittels gesetzlicher Quoten nachgekommen werden kann.
Bewerber für den öffentlichen Dienst müssten dann mittels eines Abstammungsnachweises belegen, dass sie über einen Migrationshintergrund verfügen. Eine Idee, die die Grünen mit in die Verhandlungen für eine schwarz-grüne (wahlweise auch schwarz-grün-gelbe oder schwarz-grün-rote) Bundesregierung einbringen könnten. Vielleicht wird die Union diese Idee im Sinne ihrer weiteren „Modernisierung“ aber selbst schon in ihr Programm für die kommende Bundestagswahl mit aufnehmen. Identitätspolitisch ist sie nämlich, wie auch die CDU-Anhängerin Tekkal meint, noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Der rot-grüne Testballon aus Berlin könnte dies ändern.