„Fördergeld“-Affäre: Was war das eigentlich los? Oder ist es nur eine Posse, die eine Bundesbildungsministerin überfordert? Hier in Kurzfassung das Geschehen:
- Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Israel mit 1.239 Toten startete Israel eine massive Offensive gegen die Hamas. Rund 38.000 Palästinenser kamen dabei nach den höchst umstrittenen Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde und verschiedener NGOs ums Leben, die tatsächliche Zahl dürfte um eine Zehnerpotenz niedriger liegen.
- Im Westen der Welt formierte sich in der Folge der Hamas-Propaganda eine massive Anti-Israel-Bewegung. Diese ging außer von Muslimorganisationen vor allem von den Universitäten aus: zunächst in den USA, dann auch in Deutschland.
- An der Freien Universität Berlin (FU) etwa besetzte im April 2024 ein „propalästinensisches Camp“ den Campus. Diese wurde auf Veranlassung der Universität am 7. Mai von der Polizei geräumt.
- In einem offenen Brief kritisierten rund eintausend Dozenten verschiedener Universitäten diese Räumung als Verletzung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
- Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger zeigte sich ob des offenen Briefes „geschockt.“ Wörtlich:“Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos.“ Nach Stark-Watzingers Ansicht werde in dem Brief „der Terror der Hamas ausgeblendet“.
- In der Folge soll es im BMBF einen Prüfauftrag der Hausspitze an die Fachreferate gegeben haben: Die sollten ermitteln, ob die Unterzeichner des Briefs strafrechtlich belangt werden könnten – und ob man ihnen bereits bewilligte Fördermittel streichen könne.
- Später hieß es aus dem Ministerium, die beamtete Staatssekretärin Sabine Döring habe telefonisch eine juristische Prüfung des Protestbriefs beauftragt. Dieser Auftrag sei von der Fachebene des Ministeriums so verstanden worden, dass sowohl eine rechtliche Prüfung als auch eine Prüfung möglicher förderrechtlicher Konsequenzen durchgeführt werden sollte.
- Dies wieder rief den Wissenschaftsbetrieb auf den Plan. Die Äußerungen bzw. Pläne der Ministerin seien einen Angriff in die Wissenschaftsfreiheit. Es gab auch Rücktrittsaufforderungen in Richtung Stark-Watzinger.
- Einige Tage später übernahm Staatssekretärin Döring in einer internen Mail die Verantwortung und spielte das Ganze als »missverständliche Formulierungen« herunter.
- Und dann das Bauernopfer: Döring wurde am 16. Juni geschasst und zum Schweigen verdonnert. Stark-Watzinger ließ verlauten, sie habe den Bundeskanzler »darum gebeten, Staatssekretärin Prof. Dr. Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.“ Grund sei das Verhalten Dörings in der seit Tagen schwelenden Affäre um den Umgang mit Fördermitteln gewesen. Dann auch noch: „Mit Blick auf die beamtenrechtlichen Vorschriften hat Staatssekretärin a.D. Prof. Dr. Sabine Döring keine Genehmigung zur Auskunft hierzu gegenüber den Medien.“
Die Posse dürfte damit nicht beendet sein. Thomas Jarzombek, bildungs- und forschungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, schrieb auf X: »Stark-Watzinger hat Recht: Ein personeller Neuanfang im BMBF ist notwendig. Sie muss den Schritt nun selbst vollziehen.« Auf der Plattform X verteidigte der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion die Forderung. „Es ist notwendig, dass auch Frau Prof. Döring ihre Sichtweise darstellen kann.“ Wenn es nichts zu verbergen gebe, sollte es keine Herausforderung für das Bildungsministerium und Stark-Watzinger sein, dies zu erlauben. Sabine Döring indes will per Gericht erstreiten, dass sie vom Schweigegebot entbunden wird.
Stark-Watzinger versucht derweil den Spagat. Am 7. Juli erklärt sie, es mache sie »bis heute fassungslos«, wie einseitig im Brief der Hochschullehrer der Terror der Hamas ausgeblendet werde. »Und wie dort etwa pauschal gefordert wurde, Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu beobachten sind.« Sich mit einer solchen Wortmeldung kritisch auseinanderzusetzen, sei legitim. Gleichzeitig sei auch klar, dass die Wissenschaftsfreiheit ein sehr hohes Gut und zu Recht verfassungsrechtlich geschützt sei: »Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien, nicht nach politischer Weltanschauung.« Und weiter: »Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt.« Durch Dörings Handeln, so Stark-Watzinger, sei jedoch ein anderer Eindruck entstanden – weshalb die Staatssekretärin nun haben gehen müssen.
Apropos „den Kanzler um Dörings Versetzung in den Ruhestand gebeten“: Diese Versetzung nimmt der Bundespräsident vor. Dazu bedarf es keiner Begründung.
Im BMBF seit zwei Jahren ein chaotisches Personenkarussell
Personalpolitisch geht es im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) drunter und drüber, seit Bettina Stark-Watzinger (FDP, 56) das Ministeramt am 8. Dezember 2021 übernommen hat. Die jüngste Station im Stellenkarussell: Am 16. Juni 2024 hat Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) ihre beamtete Staatssekretärin Sabine Döring spontan und nach nur 16-monatiger Amtszeit entlassen (siehe oben). Sabine Döring war erst am 1. Februar 2023 Staatssekretärin geworden, nachdem die Vorgängerin Kornelia Haug zum 1. Februar 2023 nach mehr als 30 Jahren BMBF-Tätigkeit, aber nur 14 Monaten in diesem Amt, ausgeschieden und „wie geplant“ in den Ruhestand eingetreten war. Nachfolger von Sabine Döring wird Roland Philippi, FDP-Parteifreund aus Hessen. Philippi (41) war Ende 2021 als Leiter der Grundsatzabteilung (Abteilung 1) ins Ministerium geholt worden; zuvor hatte Philippi als Büroleiter der vormaligen hessischen Kultusministerin und früheren FDP-Generalsekretärin Nicola Beer gearbeitet.
Bereits zwei Jahre zuvor, am 3. Juni 2022, hatte der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP, damals 73) nach nicht einmal ganze acht Monaten „aus gesundheitlichen und privaten Gründen“ seinen Rücktritt vollzogen. Er wurde ersetzt durch FDP-MdB Mario Brandenburg (40) – namensgleich mit dem anderen, seit 8. Dezember amtierenden, anderen Parlamentarischen Staatssekretär des BMBF, Jens Brandenburg (38), der seit 2017 ebenfalls MdB der FDP ist. Bereits zum 1. Januar 2023 hatte Stark-Watzinger zwei zentrale Spitzenbeamte entlassen und neue eingestellte. Sabine Döring war übrigens ab 2008 Professorin auf den Lehrstuhl für Philosophie (mit dem Schwerpunkt Praktische Philosophie) an die Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Rede und Antwort stehen muss auf alle Fälle die Ministerin selbst. Fragen über Fragen: Etwa ob Sabine Döring nicht doch im Interesse der Ministerin gehandelt hat? Oder noch grundsätzlicher die Frage: Fällt das Beschweigen von propalästinensischen Gewalttaten auch unter Wissenschaftsfreiheit?