Tichys Einblick
Bundeshaushalt

Die Flitterwochen der Ampel sind zu Ende

Christian Lindners Haushalt ist mehr als ein Zahlenwerk. Es ist das Ende der Flitterwochen der Ampel, ja rot-grüner Träume überhaupt. Die Realität zwingt die Berliner Politik nun allmählich, ihre Blase zu verlassen.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Erfahrene Journalisten wissen: Kaum ein Thema ist für den Leser so unsexy wie der Haushalt. Das bringt ein Dilemma mit sich: Denn der Haushalt ist eigentlich das einzig wichtige Thema. Parlament ohne Geld ist nur Geschwätz. Ohne Haushalt ist Politik reine Symbolik. Im besseren Fall. Im schlimmsten Fall beginnt eine Politik ohne Geld, ins Privatleben seiner Bürger zu regieren – wie während der Corona-Politik oder wie demnächst mit dem „Hitzetod”.

Der Haushalt 2024 ist zudem einer, der aus seinen Vorgängern herausragt. Denn er bedeutet das Ende der Flitterwochen von Rot-Grün samt Alibi-Gelb. Ja, der Haushalt 2024 bedeutet sogar mehr – er stellt das Ende aller linken Phantasien dar, die seit 1968 in deutschen Medien, Hörsälen und Hinterzimmern blühen. Der traumhafte Rausch ist vorbei. Jetzt heißt es: Morgens zur Arbeit gehen, abends frustriert zusammenhocken und zusehen, wie er immer fetter und sie immer schrumpeliger wird.

Sonntagsfrage in Deutschland und Österreich
Ampel fällt auf niedrigsten Wert seit ihrem Regierungsbeginn
Das erste Jahr der Ampel war wie rauschhafte Flitterwochen. Geld spielte keine Rolle: 100 Milliarden Euro für drei Entlastungspakete? Wumms! 50 Milliarden Euro fürs Klima? Zack! 100 Milliarden Euro für die Armee? Sondervermögen! 200 Milliarden Euro, um die verfehlte Energiepolitik auszugleichen? Doppelwumms! Die Ampel agierte wie ein Paar, das sein ganzes Geld raushaut und meint, sich alles leisten zu können – bis es merkt, dass es davon ja eigentlich auch noch Rechnungen zahlen müsste. Versicherungen, Steuern, Strom, Miete und Essen.

445,7 Milliarden Euro stehen dem Bund 2024 zur Verfügung. Wer im Absatz davor einen schnellen Überschlag gemacht hat, weiß: Das ist weniger als die Ampel im vergangenen Jahr an Wumms, Sondervermögen oder Doppelwumms rausgehauen hat. Davon muss alles bezahlt werden: Vom Hausmeister des Reichstages, über die Patronen für die Bundeswehr bis zur Visagistin von Annalena Baerbock (Grüne) oder den Zinsen für die Schulden: 40 Milliarden Euro im Jahr. Wie der Präsident des Bundesrechnungshofes vorgerechnet hat.

Der Haushalt liegt vor. Der Morgen nach den Flitterwochen ist grau. Eine Generation, die sich in ihrer Blase vom Kreißsaal über den Hör- bis in den Plenarsaal gehangelt hat, ahnt allmählich, dass sie bald in den grauen Alltag hinaus muss. Baerbock etwa, die sagte, die Zeit der deutschen Scheckbuch-Politik sei vorbei. Gemeint hat die feministische Außenministerin das anders. Sie wollte sagen, dass die Deutschen in den Kriegen dieser Welt jetzt auch aktiv mitmischen. Doch aus Versehen hat das blinde Huhn ein Korn gefunden. Die Zeiten, in denen Deutschland mit seinem Geld Politik machen – und sich sogar eine Einheit von der UdSSR kaufen – konnte, sind vorbei. Eine Erinnerung an Kohl, Brandt und Adenauer.

Die Europäische Union wird das vor eine Zerreißprobe stellen. Der Geldrausch, den die Ampel 2022 veranstaltete, war nur möglich, weil die EU bis 2026 die Stabilitätskriterien für den Euro außer Kraft gesetzt hat. Um die Folgen der Corona-Politik bewältigen zu können. Nur: Was, wenn Deutschland bis dahin die Kriterien nicht einhalten kann? Soll die EU ihre wichtigste Wirtschaftskraft für deren Verschwendungssucht abstrafen – da doch eben nur diese Verschwendungssucht als größter Netto-Zahler die EU zusammenhält?

Einsparungen im Gesundheitswesen
Für Christian Lindner gilt: Show statt Substanz
Deutschland wird wieder solide. Es will seine eigene Schuldenbremse einhalten und damit auch die Stabilitätskriterien der EU. Das ist das Versprechen des Finanzministers Christian Lindner (FDP). Nur: Wie weit trägt dieses Versprechen? Das Bruttosozialprodukt geht trotz Rekord-Einwanderung zurück. Die Unternehmen haben allein im vergangenen Jahr 130 Milliarden Dollar an Kapital aus Deutschland abgezogen. Zuletzt stieg sogar trotz Arbeitskräftemangels die Arbeitslosigkeit.

Das Land hat strukturelle Probleme: allen voran die ungünstige Demografie. Die Ausgaben für Pflege und Rente steigen, die Wirtschaft verliert Fachkräfte. Echte Fachkräfte. Und nicht ungelernte Einwanderer, die man erst per Gesetz zu Fachkräften umdefinieren muss. Straßen, Brücken und Schienen sind marode. Der Netzempfang in Deutschland ist weltweit nicht einmal zweite Liga. Zu den strukturellen Problemen kommen die Folgen der überhasteten, ideologisch motivierten Wirtschaftspolitik der Grünen mit Gasumlage unbedingt und dann doch nicht, Atomausstieg gegen jede Vernunft, Zerstörung von Immobilienwerten durch den Heizhammer oder eine Einwanderung, die für den Arbeitsmarkt gedacht sein soll – aber doch immer wieder in den Sozialsystemen landet. Mit über 171 Milliarden Euro ist der Sozialhaushalt denn auch der mit Abstand größte Posten in Lindners Entwurf.

Mit diesem Haushalt vor Augen platzen allmählich Deutschlands linke Träume. Vorerst noch langsam. Etwa beim „Elterngeld“. Das gab es bisher für Paare, die weniger als 300.000 Euro im Jahr verdienten. Künftig soll ab 150.000 Euro Schluss sein. Da wird die FDP nun eine öffentliche Scheindebatte mit SPD und Grünen führen, an deren Ende eine Höchstgrenze von 200.000 oder 250.000 Euro steht. So verschafft sich die Ampel noch ein wenig Zeit vorm Aufwachen. Fünf Minuten. Mit der Schlummertaste.

Deutsche Bahn
Sparen statt Schienen: Aus der Traum von der Verkehrswende
Doch eigentlich hat sich die Ampel von ihren Lieblingsprojekten schon verabschiedet. Etwa von der Verkehrswende. Der zuständige Minister Volker Wissing hat von Angela Merkel (CDU) und ihren CSU-Verkehrsministern ein ebenso marodes wie überfordertes Schienennetz geerbt. An Expansion des öffentlichen Verkehrs ist mit dem nicht zu denken. Doch das Geld, das Lindner dem Verkehrsminister zusätzlich zur Verfügung stellt – entgegen bisherigen Beschlüssen – wird bestenfalls für die Sanierung reichen. Kaum aber für einen zügigen Ausbau des Netzes. Die Ampel könnte es umgekehrt machen. So wie im Wummsjahr. Erst das Geld für den Spaß ausgeben. Nur würden dann halt schicke neue Nebenstrecken entstehen – und die Züge auf den Hauptstrecken stehen bleiben.

Die Prioritätensetzung der Politik ist von ihrem Leben in der Blase geprägt. Sie glauben, dass man dem Wähler mit PR-Etat und liebedienerischen Medien einen Netzausbau und eine Verkehrswende vorspielen kann, wo es gar keine gibt. Doch der Internetnutzer merkt recht bald, dass er sein digitales Start-Up-Unternehmen vom Empfang her besser von Tansania oder Botswana aus als aus der Eifel oder dem Odenwald betreiben könnte. Und der Bahnpendler wird nicht vergessen, dass er den dritten Freitagnachmittag am Stück in einer stehen gebliebenen Bahn verbracht hat.

Auch im Gesundheitsbereich hat die Ampel ausgeträumt. Im fieberhaften Tiefschlaf des Dezembers sah sich Karl Lauterbach (SPD) noch als Revolutionär des Krankenhauswesens. Er wollte Kliniken von ökonomischen Zwängen befreien und damit leistungsfähiger machen. Doch der Pfleger pflegt nicht ohne Lohn. Und ohne Strom ist ein OP nicht mehr als eine Kulisse. Geld bekommt Lauterbach aber von Lindner nicht. Deswegen wird seine linke Revolution darin enden, worin linke Revolutionen immer enden: im Chaos und der Mangelwirtschaft. Und im Sterben. Erst dem der Kliniken, dann dem der Herzinfarktpatienten auf ihrem 100 Kilometer langen Weg zur nächsten Notversorgung.

Gescheiterter Antrag im Bundestag
„Es droht ein Kliniksterben, wie es diese Gesellschaft noch nie gesehen hat“
Im Gesundheitswesen schließt sich der Kreis. Eigentlich bräuchten Pflegeversicherung und Krankenkassen mehr Steuergeld, um die Aufgaben bewältigen zu können. Doch das verweigert Lindner. Also müssen sie es sich über höhere Abgaben holen. Arbeit wird damit (noch) teurer. Eigentlich bräuchte Lindner eine erfolgreichere Wirtschaft, um zu einer soliden Haushaltspolitik zurückzukehren – ganz ohne Tricks wie „Sondervermögen“. Doch statt das Rennpferd zu ertüchtigen, sattelt er ihm mit den höheren Abgaben weitere Lasten auf den ohnehin krummen Rücken. Das wird nicht funktionieren. Das kann gar nicht funktionieren.

1,7 Billionen Euro Schulden hat allein der Bund laut Statistischem Bundesamt. 2,4 Billionen Euro die öffentliche Hand. Die Zinsen werden weltweit weiter steigen. Ob die EU will oder nicht. Dafür sorgen schon die USA. Mit Blick auf die Präsidentenwahl 2024 wollen die Staaten die Inflation wieder in den Griff kriegen. Dank Krieg in der Ukraine und Frackinggas haben sie ohnehin genügend Wachstum. Während das grün-ideologische Deutschland schrumpft statt wächst – außer bei den Preisen. Im Juni ist die Inflationsrate wieder gestiegen. Stagflation nennt sich das. Wer das Wort nicht kennt und es auch nicht nachschlagen will: Es lässt sich auch mit ausgewummst übersetzen.

Die Flitterwochen der Ampel sind vorbei. Noch feiern Olaf Scholz (SPD) und Co ein wenig auf Pump: Im Kontext von 1,7 Billionen Euro sind die 200 Millionen Euro im „Kampf gegen Rechts“ Kleingeld. Peanuts. Doch um der grün-roten Klientel ein dekadentes Leben zu finanzieren, dafür reicht es allemal. Oder die Einwanderung. Da hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) beschlossen, dass die keine zusätzlichen Kosten verursacht. Und falls doch? Egal, im Flitterbett gibt es kein Morgen. Die Hausfrau kann ja auch leasen statt kaufen. Kostet ja nichts. Anfangs.

Schulden sind kein Problem. Die Zinsen sind das Unangenehme. Schon jetzt geht fast jeder zehnte Euro für die Zinslast drauf. Das wird sich verschlimmern. Der neue Haushalt enthält weitere 16 Milliarden Euro Schulden. Ganz ohne die rausgetricksten Sondervermögen. Wenn die Ampel den Haushalt nicht in den Griff kriegt, wird sie keine glückliche Ehe führen. Er ist zwar als Thema unsexy. Aber ohne einen guten Haushalt ist Politik bestenfalls Geschwätz – und schlimmstenfalls übergriffiges Regieren in den persönlichen Alltag.

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