Beiträge mit historischen Bezügen zu beginnen, kann eine sinnvolle Strategie sein, um Dinge einzuordnen. Vor allem in einer paranoiden Zeit, deren Protagonisten gerne so tun, als ob die Welt noch nie derart von den Untergängen verschiedenster Art bedroht gewesen wäre wie heute – obwohl es jeden dieser Untergänge schon einmal gegeben hat.
Also wollen wir einen historischen Vergleich heranziehen, warum der ehemalige FDP-Generalsekretär Volker Wissing mit dem Ende der Koalition droht, falls die „Schuldenbremse“ aufgeweicht würde. Oder warum sein Nachfolger Bijan Djir-Sarai ein Zwölf-Punkte-Papier vorstellt mit Punkten, von denen kein einziger für die Koalitionspartner SPD und Grüne darstellbar ist. Keine Angst. Es folgt kein Vergleich mit Otto Graf Lambsdorff, der einst ein ähnliches Papier vorstellte und damit das Ende der Koalition mit der SPD Helmut Schmidts einleitete. Djir-Sarai und seinem Chef Christian Lindner fehlen die Härte und Entschlossenheit Lambsdorffs, Worten auch Taten folgen zu lassen.
Diese Jahre gingen in die Geschichte ein als Ära der „Bastapolitik“. Anders als Scholz machte Schröder von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. In entscheidenden Fragen hielt er seinen Koalitionspartner mit der Drohung auf Kurs, notfalls die Koalition platzen zu lassen. Etwa in der Frage des Balkankrieges, der Unterstützung der USA nach dem 11. September oder eben bei der Agenda 2010. Wobei Schröder mit der Bastapolitik immer auch Teile seiner eigenen Partei auf Kurs halten musste. Bis zu dem Punkt, dass sein einst wichtigster Minister Oskar Lafontaine aus Protest alle Ämter hinschmiss und später mit der Linken eine eigene Partei gründete.
Damit sind die Stärke und Schwäche der Bastapolitik schon benannt. Die Stärke: Sinnvolle Beschlüsse wie die Agenda 2010 lassen sich auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen durchsetzen. Die Schwäche: Auf Dauer geht ein Bündnis an der Bastapolitik zugrunde. Als Schröder im November 2001 im Bundestag sogar die „Vertrauensfrage“ stellte, um seine pro-amerikanische Außenpolitik abzusichern, war auch klar: All zu lange hält Rot-Grün nicht mehr.
Die Vertrauensfrage ist das schärfste Schwert im Parlament. In 75 Jahren Bundesrepublik wurde sie erst fünf Mal gestellt. Drei Mal haben die amtierenden Kanzler sie genutzt, um Neuwahlen zum für sie günstigen Zeitpunkt herbeizuführen: Willy Brandt (SPD, 1972), Helmut Kohl (CDU, 1982) und Gerd Schröder (2005). Brandt und Kohl gewannen die folgenden Wahlen deutlich, Schröder hatte sich verkalkuliert.
Erst zwei Mal haben Kanzler die Vertrauensfrage ernst gemeint mit inhaltlichen Fragen verknüpft: zum einen eben Schröder. Zum anderen Helmut Schmidt 1982, um die Aufrüstung der 80er Jahre abzusichern, den sogenannten Nato-Doppelbeschluss. In beiden Fällen setzten sich die amtierenden Kanzler zwar durch. Doch in beiden Fällen war auch klar, dass eine Regierung, die einen solchen Schritt gehen muss, keinen weiten Weg mehr vor sich hat. Schmidts Amtszeit ging noch im gleichen Jahr zu Ende. Schröder konnte zwar noch eine Wahl für sich entscheiden. Doch das hatte mehr mit der Schwäche von FDP, Union und PDS in jenen Tagen zu tun als mit Schröders Stärke.
Das unterscheidet Schröder massiv vom Personal der FDP dieser Tage. Von Volker Wissing und Bijan Djir-Sarai, die wenigstens versuchen, Kante zu zeigen. Und erst recht von den politischen Leichtmatrosen Christian Lindner und Marco Buschmann. Die tun jetzt, was sie am besten können: sich feige zurückziehen, wenn es ernst wird. Wachsweich bis zur Selbstaufgabe sein und eben alles weiter mitmachen, solange es dem Machterhalt dient. Wobei das Wort in die Irre führt. Lindner und Buschmann haben keine Macht. Sie können nichts gestalten. Sie kleben lediglich verzweifelt an ihren Pfründen. Lindner und Buschmann betreiben Privilegienerhalt.
Bastapolitik hat ihre Grenzen, wenn sie überzeugend vorgetragen wird. Aber Bastapolitik hat keinerlei Perspektive, wenn ihr die verrückte Entschlossenheit fehlt, die einen Gerd Schröder ausgemacht hat. Wissings und Djir-Sarais Versuche mögen ehrenhaft sein. Doch beide sind in der Inszenierung der Ampel 2024 nur die Zweitbesetzungen einer Nebenfigur. Der des komischen Augusts, der ab und an rauskommen darf, wenn dem Publikum nach all der Tragik ein wenig nach Lachen zumute ist.
Wissing und Djir-Sarai mögen als Schmunzler in Erinnerung bleiben, aber sie bestimmen nicht das Stück. Dessen Name lautet weiterhin: grün-rote Ideologie in der Innenpolitik bis hin zur Aufgabe der Meinungsfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit. Sowie grün-rote Ideologie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik bis hin zur Aufgabe des Wohlstands. Die FDP spielt dabei eine traurige Rolle. Die des rückgratlosen Erfüllungsgehilfen. TE-Autoren werden die Liberalen in zehn oder 20 Jahren als Analogie verwenden, um den anstehenden Untergang einer Partei zu erklären.