Tichys Einblick
Scholz und Altmaier: Worte statt Taten

Die Falschen gerettet

Mit einer „Bazooka“ wollten die Bundesminister Scholz und Altmaier gegen die Krise ankämpfen. Die Weichen für den „Wumms“ zur Überwindung der Corona-Krise stellen sie jedoch nicht.

imago/photothek

Als die stimulierenden Effekte der EZB-Niedrigzinspolitik im Sommer 2019 endgültig verpufft waren und die deutsche Wirtschaft kurz vor der Rezession stand, kündigte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Wiederauflage der vermeintlich so erfolgreichen Wirtschaftspolitik seit der Finanzkrise 2008 an. Deutschland habe so solide Finanzgrundlagen, dass wir „in der Lage sind, mit vielen, vielen Milliarden gegenzuhalten, wenn tatsächlich in Deutschland und Europa eine Wirtschaftskrise ausbricht“, sagte er im Bundestag. Das sei „gelebter Keynesianismus, … das ist eine aktive Politik gegen die Krise – aber dazu muss sie dann erst mal da sein“, sagte Scholz weiter.

Zwar steckte die Industrie schon damals in einer Rezession, da die Gesamtwirtschaft jedoch leicht wuchs, hielt sich Scholz noch zurück. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 änderte sich dies jedoch schlagartig. So konnte er, unterstützt durch neue Anleihekaufprogramme der EZB, die Rettung vieler Unternehmen einleiten, die durch die Rezession betroffen waren. Für einige kamen die Rettungsmilliarden jedoch zu spät. Am 20. März, also noch bevor die Corona-Pandemie ihre Wirkung entfaltete, musste die Restaurantkette Vapiano ihre Insolvenz erklären. Zuvor hatte sie einen „dringenden Appell an die Bundesregierung zur schnellen Umsetzung der wirtschaftlichen Hilfen in der Covid-19-Krise“ gerichtet.

Schrotflinte ohne Wumms

Das angekündigte Hilfsprogramm bezeichnete er in Anlehnung an die zur Eurorettung verwendete „Dicke Bertha“ des EZB-Präsidenten als „Bazooka“. Im Juni ließ er ein 170 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket folgen, dessen Potenzial er mit den Worten ankündigte: „Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen.“ Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), versprachen alles zu tun, „damit kein Arbeitsplatz und kein gesundes Unternehmen wegen Corona schließen muss und verloren geht.“

Die bisherige Bilanz der Corona-Rettungspolitik ist durchwachsen. Zwar gelang trotz dauerhafter lockdowns eine wirtschaftliche Stabilisierung. Entlassungen, Betriebsaufgaben und Insolvenzen sowie Kreditausfälle haben sich bisher günstiger entwickelt, als von vielen erwartet. Andererseits werden die wirtschaftlichen Hilfen in einer Weise eingesetzt, die den „Wumms“ aus der Krise behindert. So kritisiert der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr schon seit fast einem Jahr, dass die Unternehmenshilfen nicht zielgerichtet den besser aufgestellten Unternehmen helfen, durch die Corona-Krise zu kommen.

Die staatlichen Hilfen setzen bei den fixen Kosten oder beim Umsatz an. Besser wäre es gewesen, die Betriebsüberschüsse vorangegangener Jahre zur Grundlage zu machen, denn dann würden diejenigen Unternehmen stärker unterstützt, die auch vor der Corona-Krise über profitablere Geschäftsmodelle verfügten, so Felbermayer. Bei diesen würde vermieden, dass die Eigenkapitalbasis wegen auflaufender Verluste angegriffen oder gar aufgezehrt wird. Nun sei jedoch zu befürchten, dass viele dieser Unternehmen, sofern sie die Krise überleben, keine Kredite mehr bekommen, ihnen also das Geld für Investitionen fehlt. Wegen der falschen Orientierung der staatlichen Hilfsprogramme würden zudem in erster Linie die Fremdkapitalgeber geschont, denn Fixkostenzuschüsse kämen vor allem Banken, Vermietern und Leasinggesellschaften zugute. Die Betriebe selbst profitierten hingegen kaum davon. „Wir haben die Falschen gerettet“ resümiert Felbermayr, denn es würden auch diejenigen gerettet, „die schon vor der Krise kein funktionierendes Geschäftsmodell hatten.“ Diesen Befund bestätigt eine aktuelle Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform und des Leibnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die „undifferenzierte Verteilung der Hilfsgelder … nach dem Gießkannenprinzip“ bewirke bei vielen Unternehmen nur ein zeitverzögertes Ausscheiden. Es schädige die gesünderen Unternehmen zusätzlich, da die verdeckt insolventen Unternehmen weiter am Markt bleiben und im Insolvenzfall ihre Geschäftspartner leichter in die Tiefe reißen können.

Wirtschaftspolitik nicht hilfreich

Zwar sind die Zeiten ohnehin alles andere als normal, zumal wenn der Staat Betriebe und ganze Branchen schließt. Felbermayr legt aber den Finger in die Wunde, denn für den Verlauf jeder Krise ist entscheidend, wie der Staat wirtschaftspolitisch agiert. Schon seit den 1970er Jahren, als es im Anschluss an die Nachkriegsexpansion wieder zu wirtschaftlichen Krisen kam, reagieren Staat und Politik mit dem Versuch diese zu zähmen und die Wirtschaft möglichst schnell wieder zu stabilisieren. Zunächst spielte dabei der Keynesianismus, später die Geldpolitik eine gewichtige Rolle. Heute werden beide Konzepte sogar gleichzeitig und obendrein in einem immer extremen Umfang angewendet. Es geht längst nicht mehr nur darum das Ausmaß von Krisen zu reduzieren. Geldpolitik wie auch Subventionen und sonstige, die Wirtschaft stimulierende Maßnahmen spielen eine immer größere Rolle, um überhaupt noch leichtes Wachstum zu erzielen.

Diese Stabilitätsorientierung des Staats hat zwar dazu beigetragen, die während einer Krise eintretenden Effekte wie Unternehmensinsolvenzen und Jobverluste zu mindern. Wird jedoch diese Krisenwirkung ausgehebelt, gelingt es auch schwächeren und sogar unprofitablen Unternehmen, sich auf Dauer durchzuschleppen. Daher müssen in Deutschland immer weniger Unternehmen Insolvenz anmelden. Bis zur Finanzkrise 2008 waren jährlich etwa 1,5 Prozent der Unternehmen von Insolvenz betroffen. Seitdem ist die Insolvenzrate kontinuierlich gesunken und liegt gegenwärtig bei etwa 0,5 Prozent. Im letzten Jahr haben die Unternehmensinsolvenzen, bedingt durch die Corona-Hilfen und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nochmals deutlich abgenommen und den niedrigsten Stand seit 1993 erreicht.

Da immer weniger Unternehmen infolge einer Insolvenz ausscheiden oder sich mit frischem Kapital erfolgreich restrukturierten, steigt der Bodensatz an sogenannten Zombieunternehmen. Unternehmen gelten als Zombies, wenn sie über mehrere Jahre keinen operativen Gewinn erzielt haben, der ausreichte um die anfallenden Kreditzinsen zu bedienen. Sie sind zwar nicht zur Insolvenz gezwungen, wegen dauerhaft niedriger Profitabilität sind sie jedoch in der Regel nicht mehr in der Lage, sich aus ihrer Lage zu befreien. Zudem gelingt es ihnen nicht mehr, die finanziellen Mittel zu mobilisieren, die zur Einführung produktivitäts- und wettbewerbssteigernder neuer Technologien erforderlich wären. Ein Arbeitspapier der OECD kam schon vor Jahren zu dem Ergebnis, dass in Deutschland bereits im Jahr 2013 mehr als zwölf Prozent des Kapitalstocks in Zombieunternehmen gebunden war. Eine Untersuchung der unabhängigen Wirtschaftsauskunftei Creditreform ging davon aus, dass schon deutlich vor dem Beginn der Corona-Krise im Jahr 2016 etwa 15,4 Prozent der Unternehmen, also etwa jedes sechste, ein Zombie war.

Sinkende Profitabilität und Zombifizierung

Obwohl es viele Zombieunternehmen gibt, sind sie selbst das kleinere Problem. Auf Dauer zombifiziert staatliche Protektion die gesamte Wirtschaft. Indem sie das Ausscheiden wenig profitabler Betriebe verhindert, blockiert sie die Entwertung dieser Kapitalwerte. Die insgesamt erzielten Gewinne stehen dann im Verhältnis zu einer künstlich aufgeblähten gesamtwirtschaftlichen Kapitalbasis. Zwar können die Gewinne weiter steigen, aber die Profitabilität der Gesamtwirtschaft sinkt.

Daher plagt sich die große Masse der Unternehmen mit schwacher Profitabilität und nur wenigen hochprofitablen Unternehmen gelingt es, die risikoreichen und kapitalintensiven Investitionen zu stemmen, die für technologische Innovation erforderlich sind. Die meisten Unternehmen können dies kaum mehr leisten und verzichten auf derartig umfassende Investitionen. Da sie weniger investieren, steigen buchhalterisch ihre Gewinne. Sie wirken kerngesund, erreichen jedoch die für ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit erforderlichen Arbeitsproduktivitätssteigerungen nicht mehr. Die deutsche Wirtschaft ist von dieser Zombifizierung umfassend betroffen.

Seit der Finanzkrise 2008 stagniert das gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivitätswachstum fast, denn es liegt bei noch etwa 0,5 Prozent jährlich.
Mit der Ausrichtung ihrer Corona-Hilfsprogramme greifen Scholz und Altmaier auf jahrzehntelang erprobte und bewährte wirtschaftspolitische Praxis zurück. Schließlich gelang es in Deutschland bisher recht gut, sich mit dieser Stabilisierungsorientierung durchzuwursteln. Insbesondere die wirtschaftspolitische Ausrichtung seit der Finanzkrise 2008, die Deutschland ein Jobwunder und einen soliden Staatshaushalt beschert hat, bestärkt die Politik auf diesem Weg fortzufahren. Dass die Corona-Krise nun zwar mit der Kraft einer Bazooka, dennoch aber mit der Genauigkeit einer Schrotflinte gefeuert wird, folgt dem bisherigen Muster.

Die Kehrseite dieser einseitig auf Stabilisierung ausgerichteten wirtschaftspolitischen Orientierung ist, dass die Fähigkeit der Unternehmen für steigenden Wohlstand sorgen zu können, kontinuierlich ausgehöhlt wurde. Für die anhaltende Produktivitätsschwäche zahlen die Erwerbstätigen schon heute einen hohen Preis. Zusätzliche und gutbezahlte Jobs in Bereichen neuer Technologien entstehen in Deutschland kaum noch. Der Glanz des deutschen Jobwunders wird auch dadurch relativiert, dass die mit Abstand meisten geschaffenen Stellen Teilzeitstellen sind.

Neue Jobs entstanden hauptsächlich im Gastgewerbe, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie bei freiberuflichen und sonstigen Dienstleistungen – Bereiche, die unterdurchschnittlich bezahlt werden und auch in der Vergangenheit nur unterdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen erreichten. Schon seit Mitte der 1990er Jahre erreichen auch die durchschnittlichen Reallohnsteigerungen nur noch etwa 0,5 Prozent pro Jahr. Besonders problematisch ist die Entwicklung beim am geringsten entlohnten Drittel der Beschäftigten. Im Jahr 2015 lagen die realen Stundenlöhne dieses unteren Drittels niedriger als 20 Jahre zuvor.

Der Versuch, mit dem größten Hilfsprogramm in ganz Europa, die Effekte der Corona-Pandemie wie auch die der seit 2018 herrschenden Industrierezession auszuhebeln, hat gravierende Folgen. Indem man undifferenziert alles zu retten versucht, schwächt man diejenigen Unternehmen, die profitabler sind und in der Lage sein könnten mit neuen Investitionen in Produkt- und Prozessinnovationen für steigende Arbeitsproduktivität, neue Jobs und mehr Wohlstand zu sorgen.


Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

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