Tichys Einblick
Die Selbstaufgabe der Geldpolitik

Die EZB sitzt in der eigenen Falle: Sie kann nichts tun gegen die Geldentwertung

EZB-Präsidentin Lagarde hat gegen die Inflation nur Propaganda zu bieten. Jede Zinsanhebung könnte schließlich das Kartenhaus der Staatsfinanzierung zum Einsturz bringen. Fragt sich nur, wie lange das Finanz-Establishment noch mitmacht, wenn die Bankkunden das Vertrauen verlieren.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde

IMAGO / Nicolo Campo

Während die Inflationsraten nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten Euro-Raum nach oben schießen und unabhängig von den Verbraucherpreisen besonders die Immobilienpreise in den Innenstädten Höhen erreicht haben, die bislang unvorstellbar schienen, setzt die EZB auf Propaganda, statt die Inflationsrealität als Folge ihrer langjährigen Nullzins- und Anleihenkaufpolitik anzuerkennen. Die EZB-Präsidentin – mit bürgerlichem Namen Christine Lagarde, obschon sie angesichts der Preisentwicklung den Beinahmen „Madame Inflation“ verdienen würde – hat einen der Herausgeber der FAZ zu sich zitiert, um im Sonntagsgespräch die Deutschen zu beruhigen. Unbelastet durch finanzökonomische Sachkenntnis setzt die Pariserin auf die einnehmende Wirkung ihrer französischen Allüren. Die Deutschen sollen bitte verstehen: Alles wird wieder gut. Die gegenwärtige Preisdynamik bei den Verbraucherpreisen sei nur vorübergehend. 

Ihre treue Sekundantin, Isabel Schnabel, einstmals Ordinaria für Finanzökonomie an der Universität Bonn, jetzt EZB-Direktoriumsmitglied, pflichtet ihr in der Tagesschau bei. Obwohl ökonomisch versierter als Lagarde, vermag auch sie nicht zu erklären, warum die gerade erst in Schwung gekommene Inflation so schnell verschwinden werde. 

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Mehr noch: Ihre Selbstverleugnung als Wissenschaftlerin nimmt immer groteskere Formen an. So erklärte sie unlängst, warum die EZB auf keinen Fall die Nullzinspolitik vor der Beendigung der Nettozukäufe von Staatsanleihen aufgeben könne. Dann, so Schnabel, würden die Eurozentralbanken freiwillig Verluste in ihren Bilanzen ausweisen müssen. Dies würde zu Verlusten beim Durchschnittssteuerzahler führen. Wahrscheinlich hatte der Juristische Dienst der EZB es versäumt, sich von Frau Schnabel diese Ausführungen vorlegen zu lassen. Denn sie sind das Eingeständnis, dass die EZB bei der Durchführung der von allen Banken erhofften Zinserhöhung hohe Verluste in ihrem Anleihenbestand berichtigen müsste – und vom Steuerzahler hierfür Kapitalzuweisungen benötigen würde. Gleiches gilt auch für die nationalen Zentralbanken des Eurosystems, die 80 Prozent der im Eurosystem gekauften Anleihen in ihren Büchern halten.

Das dürfte das Bundesverfassungsgericht besonders interessieren, zumal es genau diesen Gefahrentatbestand in seinem OMT-Urteil 2016 als einen zwingenden Grund benannte, die Bundesbank zum Ausstieg zum verpflichten. 

In der Weigerung der EZB, die Zinserhöhung vor Beendigung der Netto-Käufe durchzuführen, weil dies zu Verlusten im Eurosystem führe, liegt indes auch das Zugeständnis, über das Zinsinstrument der Geldpolitik zwecks Preisstabilisierung gar nicht mehr unabhängig verfügen zu können. Die EZB hat sich durch den Umfang der Anleihenkäufe um ihre Unabhängigkeit gebracht und verschleiert diese selbstverschuldete Zwangslage unter Hinweis auf Verluste im Anleihenbestand im Falle einer Zinserhöhung. Ein beeindruckender Fall der Selbstaufgabe des Preisstabilitätsmandats infolge der lockeren Geldpolitik („quantitative easing“) durch die Anleihenkaufprogramme PSPP und PEPP. 

Sprachlos sind die beiden Damen bei der anhaltenden Rechtfertigung der Nettokäufe. Obwohl nun schon ca. 33 Prozent der öffentlichen Euro-Schuld in den Bilanzen der Zentralbanken „eingesargt“ sind, soll die Geldmenge weiterhin aufgebläht werden. Zwar räumt Lagarde ein, dass das pandemische Notkaufprogramm PEPP zum 31.3.2022 auslaufen werde. Doch kann das Eurosystem auf Nettokäufe schon deshalb nicht verzichten, weil anderenfalls die Zinsen bei den Südstaatenanleihen schnell nach oben schießen werden. Ferner bedeutet das Auslaufen des PEPP nicht, dass man die Anleihen in den Markt zurückgibt, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem OMT-Urteil 2016 forderte. Vielmehr wird die Summe der Annuitäten und Zinsen wieder in den erneuten Kauf von Anleihen re-investiert, sodass EZB und Euro-System selbst bei einem Ende der Nettoankäufe über Jahre hinaus ein unverzichtbarer Intervenient und damit Wettbewerbsverfälscher an den Kapitalmärkten bleiben würden. 

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Währenddessen verstärken die Bankvorstände den Druck auf ihre Filialen, von den Einlagen-Sparern unterschiedlichste Entgelte zu fordern. Zunächst hatte man versucht, den Negativzinsaufwand durch die Anlage von überschüssiger Liquidität bei der EZB durch die diskrete Steigerung von Gebühren zu kompensieren. Dann war man dazu übergegangen, „Verwahrentgelte“ von größeren Kunden zu fordern. Nun geht es ans Eingemachte. Die Deutsche Bank fordert jenseits eines Freibetrags von 50.000 Euro auch von privaten Sparern ein Verwahrentgelt von 0,5 Prozent. Bei juristischen Personen wird vom ersten Euro Einlagevolumen das Verwahrentgelt – also eine Beteiligung an den Kosten der Zwangsliquiditätsabführung zu -0,5 Prozent bei der EZB – eingefordert. 

Jetzt könnte das Gasgemisch unterschiedlicher unkonventioneller Geldpolitiken deshalb zur Explosion geraten, weil die Geldanleger auf Dauer eine Inflation von ca. 5 Prozent und gleichzeitig Negativzinsen auf ihre Spareinlagen kaum akzeptieren werden. 

Zuerst aber sind die Bankvorstände gefragt. Sie werden der Dame aus Paris und ihrer deutschen Gehilfin darzulegen haben, dass auf Dauer das Vertrauen ihrer Kunden in die Kreditinstitute kaum aufrechterhalten werden kann, wenn sie in die Schere von Inflation und Verwahrentgelten geraten werden. Am 16.12.21 muss sich Madame Inflation erklären. Dann nämlich tagt der EZB-Rat und wird weitreichende Beschlüsse über Zinsen und Anleihenkaufpolitik zu treffen haben. Bleibt es beim Alten, dürfte das Vertrauen nicht nur der kleinen Sparer, sondern auch der großen Banken in die EZB-Politik erodieren. 

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