Die Demokratie ist unter Beschuss, in Deutschland und anderswo. Gestern, am Freitag, dem 4. Januar 2019, sind es (mindestens) zwei aktuelle Meldungen, die den Demokraten unruhig machen (sollten) – zwei wurden weit verbreitet, die dritte ist ein Detail, aber kein unwichtiges.
Erstens: Innerhalb einer wohl seit Jahren laufenden Hack-Aktion haben sich Computerhacker die privaten Kommunikations-Verläufe vieler deutscher Politiker auf Bundes- und Landesebene angeeignet, so Medienberichte. Die Datenpakete sind teilweise mehrere Gigabyte groß (aktuelle Berichterstattung z.B. bei bild.de, 4.1.2019).
Zweitens: In Döbeln ist eine Bombe vor einem AfD-Büro explodiert. Laut Polizei wurde bewusst Schaden an Menschen in Kauf genommen. Inzwischen wurden drei Deutsche festgenommen (siehe z.B. sachsen.de, 4.1.2019), und die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf eine mögliche politische Straftat. (Während ich dies schreibe, hält man sich über eine vermutete Richtung zurück.)
Wer auch immer sich als jeweils der Schuldige herausstellt, da sind Menschen, welche die Demokratie frontal angreifen.
Hilft der AfD. Hilft der AfD?!
Der stellvertretende Ministerpräsident von Sachsen twitterte:
»Für den Anschlag auf das AfD-Büro in Döbeln gibt es keine Legitimation. Gewalt gehört nicht zu den Mitteln der Demokratie. Die AfD muss politisch bekämpft werden und nicht mit Sprengkörpern. Dieser Anschlag hilft der AfD und schadet der Demokratie.« (@martindulig, 3.1.2019 / archiviert)
Es sind 5 Worte in diesem Tweet, welche dem aufmerksamen Politikbeobachter auffallen sollten: »Dieser Anschlag hilft der AfD«.
Der politisch-mediale Komplex in Deutschland strauchelt schon länger bei der demokratischen Klarheit, doch während man bei Politikern der CDU oder FDP etwa noch Rechtfertigungsversuche (»alternativlos«) oder zumindest die trotzige Anerkennung einer Diskrepanz (»ist mir egal«) erlebt, implizieren die Äußerungen von SPD-Politikern eine befremdliche Fernbeziehung zu demokratischen Werten und Prinzipien. (siehe auch mein SPD-Text von 2017: »Das sollen die Guten sein?! – Teil 2: Weniger Demokratie wagen«)
Es waren SPD-Minister, welche offen anti-freiheitliche Parolen wie »Hass ist keine Meinung« verbreiten ließen, teils mit Steuergeldern (siehe auch »Deine Meinung ist Hass, und Hass ist keine Meinung«). Es waren immer wieder SPD-Politiker, welche mit zweideutigen Äußerungen die Grenze zwischen Debatte und offener Aggression zu verwischen schienen, ob Sawsan Chebli, die »Wir sind zu wenig radikal« klagte (siehe z.B. welt.de, 13.9.2018) oder SPD-Vizechef und Dauerverlierer Ralf Stegner, welcher fordert:
»Fakt bleibt, man muss Positionen und Personal der Rechtspopulisten attackieren, weil sie gestrig,intolerant, rechtsaußen und gefährlich sind!« (@ralf_stegner, 8.5.2016/archiviert)
Die heutige SPD, dieser Medienkonzern mit angeschlossenem Hobby-Politikbetrieb, wie Zyniker sagen könnten, diese SPD ist mehr Symptom als Ursache. Die gesamte öffentliche Debatte hat ein Demokratie-Problem, und sie muss es bereits logisch haben: Demokratie braucht demokratische Prinzipien, wer aber spontanes Bauchgefühl und billige Empörung zum Leitfaden erklärt – bildungssprachlich: Gesinnungsethik – der wird sich mit allen Prinzipien schwertun, und damit auch den demokratischen.
Die SPD ist heute eine Partei, deren Politiker immer wieder erschreckend weit von den Werten der Demokratie entfernt palavern.
An ihren Tweets sollt ihr sie erkennen. Sogar wenn SPD-ler sich bemühen, staatsmännisch und demokratisch zu klingen, wirkt es zu oft, als ob da wenig demokratisches Gerüst ist, an dem sie ihre Machtlust aufspannen können.
Der im dritten Punkt zitierte Martin Dulig ist – müssen wir es noch sagen? – ein SPD-Politiker, und die fünf Worte »Dieser Anschlag hilft der AfD« lassen uns zumindest die Augenbrauen heben.
Was wäre wenn?
Greifen wir die inhaltliche Klammer auf, welche der sächsische SPD-Vorsitzende Dulig da öffnet:
- »Für den Anschlag auf das AfD-Büro in Döbeln gibt es keine Legitimation …«
- »… Dieser Anschlag hilft der AfD und schadet der Demokratie.«
Der demokratisch feinsinnige(re) Bürger hört auf: Wäre der Anschlag denn legitimiert gewesen, wenn er der AfD geschadet hätte?! (Abgesehen von der Frage, ob Bürger nicht eben doch abgeschreckt werden, ihre Meinung kundzutun, wenn ihnen dafür Gefahr an Gesundheit und Existenz droht.)
Man könnte fragen: Hat der SPD-Mann das denn so gemeint? – Und man muss zurückfragen: wenn nicht, wie hat er es denn gemeint? Warum stellt es ein Politiker als Argument gegen politische Gewalt hin, dass diese den Opfern nutze? Warum?
Wahrscheinlich hat er es nicht gemeint, also nicht aktiv, er hat es ganz automatisch gesagt; das Problem ist, was in diesen Zeilen drinsteckt, und das ist problematisch genug.
Zweckvergessen
Die deutsche Linke, ob Politiker oder Journalisten, hat in Teilen gar nicht mehr auf dem Radar, dass ganz besonders in der Demokratie politische Macht nicht ihr eigener Zweck ist.
Es ist widersinnig, aus vorgeblicher Sorge um die Demokratie genau diese Demokratie zu beschädigen. Politiker, die »das Personal« der Opposition »angreifen« wollen, oder die Anschläge auch deshalb abzulehnen scheinen, weil die dem Gegner ja eh nicht schaden, haben diese Politiker schlicht vergessen, worum es in der Demokratie geht, was Demokratie überhaupt ist? Haben sie es je gewusst? Was ist dann passiert?
In der Demokratie wählen Bürger ihre Repräsentanten, welche dann die Weltsicht und Werte der Bürger bündeln und ins parlamentarische Geschehen tragen. Ein Politiker steht für ein Wertesystem (für Details siehe auch »Talking Points«), und in der demokratischen Debatte verfeinert sich das gemeinsame Wertesystem (und hoffentlich gelegentlich auch das einzelne).
Der Zweck des demokratischen Machtkampfes ist nicht die Macht eines Einzelnen oder einer Partei an sich – deswegen ist das Abgewähltwerden mindestens so wichtig wie das Gewähltwerden! Im politischen Ringen und demokratischer Debatte gilt es, die nächsten, die besseren, ja, die gerechteren nächsten Schritte zu finden. Die nur vorübergehend verliehene Macht soll die Beauftragung durch den Souverän abbilden – kann man »Souverän« noch sagen, ohne zynisch mit dem Mundwinkel zu zucken? Ich hoffe es!
Noch so legal
Wer auch immer es war, der die Daten von Politikern hackte und veröffentlichte, sein Handeln ist ein direkter Angriff auf die Demokratie. Man kann mithilfe privater Daten einen Menschen persönlich vernichten, selbst wenn er nichts Illegales getan hat – oder man kann mindestens seine Machtposition schwächen, an allen demokratischen Argumenten vorbei.
Wer auch immer es war, der irgendeinen Sprengsatz vor einem AfD-Büro zündete, sein Handeln ist ein direkter Angriff auf die Demokratie. Man kann auch durch Angst an Macht gelangen, an allen Argumenten vorbei.
Doch, vergessen wir nicht: Eine Handlung muss nicht unbedingt illegal sein, um der Demokratie zu schaden. Wenn Journalisten die Wahrheit verdrehen und Andersdenkende öffentlich verunglimpfen, wenn Staatsfunkler ihre Listen missliebiger Personen zusammenstellen und verbreiten. Wenn Politiker die ihnen nicht genehme Meinung als »Hass« deklarieren, diesen dann als »Nicht-Meinung« bezeichnen und so dem Bürger das Gefühl geben, sein Recht auf Meinungsfreiheit erstrecke sich nur auf »Hurra!« und »Weiter so!«, auch das schadet der Demokratie, und es schadet ihr gründlich und nachhaltig, auch wenn es noch so legal und sogar angesehen ist.
Niemand ist der Klügste
Die deutsche Demokratie wird »gehacked«. Auf der einen Seite stehen vermutlich nach deutschem Recht kriminelle Akteure, die in Computer und Netzwerke einbrechen und Daten stehlen, die aber auch blanke Gewalt bis nun auch wohl hin zu Sprengsätzen gegen Parteien einsetzen (wobei derzeit die politische Richtung keineswegs geklärt ist). Doch, vertun wir uns nicht: auf der anderen Seite können auch vollständig legale, womöglich sogar in Medien gefeierte und mit Preisen überhäufte Handlungen die Prinzipien der Demokratie beschädigen.
Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile – und größer als selbst das größte Teil ist es sowieso. Deshalb gilt auch, ganz selbstverständlich: Kein einzelner Demokrat ist klüger als die gesamte Demokratie – auch wenn mancher grüne Studienabbrecher sich dies einbilden mag – und allein schon deshalb darf keinem einzelnen machtgewieften Besserwisser die Möglichkeit eingeräumt werden, sein Machtstreben über die Regeln der Demokratie und damit über die Demokratie selbst zu stellen.
Sind Anschläge auf die Opposition, sind Gewalt gegen Andersdenkende und zuletzt der Politikerhack, sind diese Taten die Konsequenz populistischer Aufrufe linker Bessermenschen? Nein, in solcher Simplizität wäre es wohl überzogen und falsch.
Zugleich: Den Linken, der den Andersdenkenden zu »Nazi« und damit außerhalb des Spektrums zulässiger Meinung erklärt, und den Hacker, der einen öffentlichen Akteur mit kriminellen Methoden bloßstellt, wie weit ähneln sich diese beiden zumindest in der methodischen Stoßrichtung? Mit Methoden außerhalb der demokratischen Debatte soll die Debatte selbst verhindert werden; doch: wer in der Demokratie die Debatte kontrolliert, der kontrolliert die Macht. (Notiz: Sollten wir also nicht von Staatsfunk sondern präziser von Funkstaat reden?)
Unter Beschuss
Die Demokratie ist unter Beschuss, und sie wird es ein Stück weit immer sein, aus einem simplen Grund: die Demokratie soll die menschlichen Instinkte, den Mob und die Machtgier des Einzelnen einhegen, und insofern werden unsere eigenen Instinkte immer gegen die Innenwände unseres eigenen demokratischen Hauses anrennen. Die Notwendigkeit der Demokratie ergibt sich gerade aus der Einsicht unserer Fehlbarkeit, daher ist jede Überzeugung, selbst die letzte oder auch beste Erkenntnis zu besitzen, im Wesen undemokratisch.
Demokrat zu sein bedeutet auch, sich selbst jederzeit demütig gegenüber der Debatte zu zeigen.
Dieser Tage wird viel von Religion geredet, und ganz konkret von Unterwerfung. – Okay: Demokrat zu sein bedeutet auch, sich und den eigenen Machtanspruch immer der Demokratie selbst zu unterwerfen. Deine Moral und deine hehre Ansicht rechtfertigen heute nicht und werden niemals rechtfertigen, dass du deinen Machtanspruch an der Debatte und den demokratischen Wegen vorbei realisierst.
Wir wollen klüger werden, ja, auch gemeinsam klüger werden, und die erste Bedingung zum Klügerwerden besteht darin, einzusehen und ernst zu meinen, dass man selbst nicht der Allerklügste ist, und tatsächlich in aller Konsequenz darauf zu vertrauen, dass die Debatte und der Austausch mit dem Gegenüber zu einer klügeren Lösung führen kann – und wird.
Wie können wir die Demokratie stärken, gegen ihre böswilligen wie gegen ihre gutmeinenden Gegens-Schienbein-Treter? Vielleicht so: Wisse, dass du nicht der Klügste bist; lache jeden aus, der von sich meint, der Klügste zu sein; doch jene, welche die Debatte verhindern und die Macht an den Regeln der Demokratie vorbei erlangen möchten, die halte mit aller demokratischen Macht von eben dieser fern, ganz weit fern.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.