Tichys Einblick
Ein Zeichen "weißer Suprematie"

Die Debatte um die Dachetage des Berliner Stadtschlosses

Die Angriffe auf das Berliner Stadtschloss hören nicht auf. Nun soll es nicht nur Symbol preußischen Expansionismus und Nationalismus sein; ein Artikel rückt die Hohenzollern ideologisch sogar in die Nähe fundamentalististischer Islamisten.

IMAGO

Das Berliner Stadtschloss steht im Zentrum der nächsten Runde der ideologischen Selbstfindung Deutschlands. Worum geht es diesmal? Um den von der Straßenebene größtenteils unsichtbaren Figurenschmuck, welcher in Form acht alttestamentlicher Propheten die Kuppelkapelle des Schlosses einrahmt, und – natürlich – um die „umstrittene“ Aufschrift auf der Kuppel selbst, welche sage und schreibe zwei Sätze aus dem Neuen Testament zitiert. Die hiervon ausgehende Gefahr für die Identität der Bundesrepublik scheint nun solchermaßen akut zu sein, dass sich selbst die Briten erschreckt zeigen sollten, wie ein kürzlich veröffentlichter Artikel im „Guardian“ suggeriert.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Ein zweiter Blick offenbart freilich, dass sich nicht nur sämtliche Aussagen des Textes auf die Meinung der üblichen deutschen „Experten“ gründen, sondern dass auch der Autor des Aufsatzes ein altbekannter Hamburger Journalist ist, der regelmäßig auch für die SZ schreibt und in Berlin als Korrespondent des „Guardian“ arbeitet: Sich in einem kleinen Bekanntenkreis den Ball zuzuspielen, um dadurch vermeintliche Mehrheitsmeinungen zu suggerieren und somit die Stimmung nicht nur im In-, sondern auch im Ausland zu beeinflussen, ist eine wohlgeübte, wenn auch zunehmend an Glaubwürdigkeit verlierende Technik der „Leitmedien“. Worum geht es also?

Die hier lancierte Polemik gegen die Rekonstruktion des Schlosses entfaltet sich in zwei Stoßrichtungen, wie bereits die ganz an den Beginn des Textes gestellte Aussage des ersten „Experten“ zeigt, Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle für Hamburgs „postkoloniales Erbe“. Dieser erklärt, dass die historisch-getreue Rekonstruktion der Dachlandschaft des Stadtschlosses nichts weniger sei als der Versuch einiger „fundamentalistischer Rechtsextremer“, dieses in ein „Symbol eines christlichen und daher ethnisch weißen Deutschlands“ zu verwandeln (“It appears that we are dealing with a targeted infiltration of the Berlin palace by fundamentalist rightwingers who want to turn it into symbol of a Christian and thereby ‘white’ ethnic Germany”). Jüdische Propheten und Bibelzitate als Garanten deutscher Rassereinheit: Diesen intellektuellen Salto Mortale sollte man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Denn diese Aussagen, allen voran das verräterische „daher“ („thereby“), sind natürlich in jeder Hinsicht gefährlicher Unfug, durchziehen aber sinngemäß in der Folge den gesamten Artikel.

So wird zunächst versucht, die historisch getreue Rekonstruktion des Gebäudes dadurch zu diskreditieren, dass einige der vielen hundert großzügigen Spender in die übliche „rechte Ecke“ gerückt werden, wobei hier so verschiedene biographische Elemente wie Migrationskritik, Preußennostalgie, konservative Publizistik, AfD-Nähe und echter Geschichtsrevisionismus wild vermischt werden, um eine ominöse allgemeine Drohkulisse zu schaffen. Nun soll in diesem Artikel keine Hand dafür ins Feuer gelegt werden, dass nun wirklich alle Geldgeber in der Tat lupenreine deutsche Verfassungspatrioten seien; und in der Tat ist es betrüblich, dass in konservativen Milieus durchaus gelegentlich Ansichten anzutreffen sind, die als längst überwunden gelten sollten (wie ja auch die Linke ihre Last an Spätstalinisten und DDR-Verherrlichern mit sich herumschleppt, allerdings ohne analoge mediale oder politische Konsequenzen fürchten zu müssen).

Die routinierte Hexenjagd, mit der allerdings durch einige hingeworfene Generalisierungen und Anspielungen eine allgemeine „rechte“ Kontaktschuld geschaffen werden soll und zwei letztlich unverbundene Elemente – nämlich auf der einen Seite politische Privatmeinungen und auf der anderen Seite die Mitfinanzierung der historisch getreuen Rekonstruktion von Gebäudefassaden des 18. und 19. Jahrhunderts – miteinander vermengt werden, ist überaus bedenklich, aber leider bezeichnend für den Versuch, nicht nur die deutsche, sondern eigentlich die ganze abendländische Geschichte bis 1945 unter den Generalverdacht des Rechtsextremismus zu stellen.

Dies zeigt sich dann auch ganz klar an den inhaltlichen Aussagen zur angeblich „nationalistischen“ Symbolik des „preußischen Steinhaufens“ („Prussian pile’s nationalist symbolism”); Aussagen, die in geradezu grotesker Weise die christliche Gottesfürchtigkeit des alten Europas, preußisch-protestantischen Partikularismus und deutschen Nationalismus miteinander vermengen. Nun wissen viele Leser wohl, dass dem aus dem „belgischen Rheinland“ stammenden und in Polen lebenden Verfasser dieser Zeilen alles Mögliche, aber kaum Preußenverherrlichung vorgeworfen werden kann, ist sein eigenes Weltbild doch eher katholisch-abendländisch als protestantisch-deutsch dominiert. Umso ärgerlicher ist es daher aber, wenn gerade eine Person wie Friedrich Wilhelm IV., einer der wohl sympathischeren Preußenkönige, zum ideologischen Angelpunkt einer anachronistischen Geschichtsklitterung sondergleichen instrumentalisiert wird.

Gerade dieser König hatte sich nicht nur um eine Versöhnung mit der katholischen Bevölkerung Preußens bemüht, sondern sich auch der nationalistischen Vereinnahmung seines Staats verweigert, da er vielmehr dem alten, übernationalen Reichsgedanken und dem Ideal des Gottesgnadentums anhing, also der letztendlichen Verantwortlichkeit des Herrschers gegenüber der absoluten Transzendenz Gottes und nicht einer stets relativistisch schwankenden Volksmeinung. Gerade das sollte eben auch mit dem zwischen 1845 und 1853 vollzogenen Bau der Kuppelkapelle, der Aufstellung der Prophetenstatuen und der Auswahl der „umstrittenen“ Inschrift gezeigt werden, dessen Text bekannterweise lautet: „Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind“ – eine stilistisch etwas ungelenke Kombination aus Apostelgeschichte 4,12 und Philipper 2,10-11, deren Sinn allerdings überdeutlich ist: Nicht ein „nationaler“ Volkswille und schon gar nicht eine wie auch immer geartete völkische Überlegenheit, sondern eben die Unterwerfung unter den Heiland soll als oberste Richtschnur unseres Handelns gelten. Man darf also, wenn man will, Friedrich Wilhelm IV. als christlich-mittelalterlichen „Reaktionär“ beschimpfen, aber wohl kaum als Vater preußischen Expansionismus oder gar deutscher „white supremacy“.

In dem hier diskutierten Artikel allerdings lesen wir neben unzähligen anderen Schmähungen und Suggestionen, die wir hier gar nicht aufzählen wollen und können, dass die Fassade (sic) des Schlosses sich „überaus unkritisch“ durch eine „nostalgische Verherrlichung jenes protestantischen Christentums“ auszeichne, „aus dem das Deutsche Reich den Glauben an seine Überlegenheit bezogen habe“, wie Zimmerer behauptet (“And then you have this facade which is utterly uncritical in its nostalgic adulation of the Protestant Christianity that the German empire drew its belief in its own supremacy from”).

Denn, so wird mit Philip Oswalt ein weiterer Experte angeführt, der als „Associated Investigator“ am „Exzellenzcluster Bild-Wissen-Gestaltung“ der Humboldt-Universität zu Berlin zu den Themen „Anthropozänküche und Bildmarke Bauhaus“ arbeitete und seit 2019 Co-Vorsitzender des Landesdenkmalrats Hessen ist, „die Verbindung zwischen Protestantismus und imperialen Ambitionen unter den Hohenzollern darf nicht unterschätzt werden: Wenn wir heute von islamistischen heiligen Kriegern reden, waren diese christliche heilige Krieger.“ (“The joining-up of protestantism and imperial ambition under the Hohenzollerns was no laughing matter. If we talk about Islamist holy warriors now, then these were Christian holy warriors.”)

Moderne islamistische Terroristen mit den Hohenzollern zu vergleichen, dürfte sich als historisch valide Aussage wohl ganz von selbst diskreditieren (wenn man nicht bis zu den Deutschordensrittern zurückgehen will): Der Aufstieg der Hohenzollern zu einer europäischen Macht wurde nun gerade nicht durch einen Gotteskrieger, sondern durch einen atheistischen „Aufklärer“ vollzogen, der sich ebenso durch rabiat anti-christliche wie anti-deutsche Aussagen auszeichnete; und wenn man einigen späteren Herrschern sicherlich kaum jenes partikulare Sendungsbewusstsein absprechen kann, das so viele protestantische Monarchen (und Kapitalisten) auszeichnete, so hat doch weder die Reichseinigung des 19. Jahrhunderts noch der Wunsch nach einem „Platz an der Sonne“ und ganz sicherlich nicht der Versuch einer West- und Ost-Expansion des bikonfessionellen Hohenzollernreiches im Ersten Weltkrieg eine genuin protestantische, geschweige denn christliche Motivation gehabt.

Sicherlich, man wird in den bramarbasierenden Reden Wilhelms II. und seiner Zeit fraglos die eine oder andere dekorative Anspielung auf den „lieben Gott“ finden und in den kurzlebigen deutschen Kolonien die üblichen Missionare. Hieraus aber einen Generalverdacht gegen die von Friedrich Wilhelm IV. platzierten jüdischen Propheten und die Kuppelkapelle auf der Dachetage des Stadtschlosses abzuleiten und gar eine Kontinuität zwischen christlich-protestantischer Pietät des 19. Jahrhunderts, den deutschen Weltmachtsambitionen des Ersten und dem rassischen Größenwahn des Zweiten Weltkriegs und schließlich dem (echten oder imaginierten) Rechtsextremismus des 21. Jahrhunderts ziehen zu wollen, ist ebenso grotesk, wie die kürzlich geschehene Grundsanierung der 28 Statuen von Aposteln und Kirchenvätern auf dem Dach der Versailler Schlosskapelle abzulehnen, nur weil auch Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert imperiale Ambitionen in Afrika und Indochina hegte und dortige Missionare unterstützte …

Freilich sind Sanierung und Rekonstruktion zwei verschiedene Dinge, wie man zurecht einwenden wird; und so lesen wir denn auch in besagtem Artikel, dass eine „Rekonstruktion kein wissenschaftlich neutraler Prozess, sondern ein kulturelles Programm“ sei, das „gewisse Werte suggeriere“, und wir daher debattieren müssen, „ob diese Werte uns immer noch definieren“; denn diesen Prozess auf eine „Debatte um Schönheit und authentische Geschichte“ zu reduzieren, hieße, „den Rechtsextremen in die Hände zu spielen“ („This isn’t about whether reconstructing historic buildings is right or wrong per se. The point is that reconstruction isn’t a neutral scientific process, but a cultural programme that comes with certain values, and we should debate whether these values still represent us. To pretend that this is only a debate about beauty and ‘authentic’ history is to play straight into the playbook of the far right.”)

So sehr man den Beginn der Aussage unterstützen kann, so sehr muss man seinen Schluss ablehnen, der in verräterischer Weise zeigt, worum es den Kritikern des Dachschmucks wirklich geht: nicht um eine historische Debatte, sondern um den expliziten Versuch, grundlegende traditionelle Werte unserer Zivilisation durch ominöse Verweise auf ihren imaginierten oder realen Bezug auf den „Rechtsextremismus“ zu diabolisieren und auch materiell aus dem kulturellen Bewusstsein zu verbannen. Dabei geht es längst nicht mehr um den Streit um die Rekonstruktion „ex nihilo“ des Berliner Schlossdachs, der Dresdner Frauenkirche oder der Frankfurter Altstadt; denn auch an die Stelle von bloßen Sanierungen geschichtlicher Monumente tritt zunehmend die Forderung nach zeitgemäß-modernistischer Ergänzung zum Zweck bewusster „Verfremdung“ und „Rekontextualisierung“ von natürlich immerzu „problematischen“ historischen Objekten – und die Unruhen infolge der Ereignisse um George Floyd haben gezeigt, dass die woken Weltverbesserer nunmehr selbst vor brachialem Bildersturm nicht Halt machen und selbst Statuen bekannter Aufklärer und Republikaner einreißen.

Selbstverständlich gilt es in der Tat, beim Umgang mit der Geschichte Umsicht und Bedacht zu zeigen: Nicht alles ist es wert, erhalten oder rekonstruiert zu werden, nur weil es vergangen ist. Den Streit um die Kriterien einer solchen Auswahl müssen wir aber mit historischer Ehrlichkeit und Verantwortungsgefühl nicht nur der Zukunft, sondern auch unseren Vorfahren gegenüber ausfechten und dafür eintreten, dass der Umgang mit der Vergangenheit eben nicht unter dem Zeichen der willentlichen Abschneidung von unseren Wurzeln stattfindet, sondern der Berufung auf unser jahrhundertelanges Streben nach dem Wahren, Guten und Schönen. Und in dieser Hinsicht würde ich sogar mit einem Quentchen Ironie zu behaupten wagen, dass die Berliner Kuppelkapelle mitsamt seiner alttestamentlichen Propheten und geschraubten Bibelzitate der wohl in vielerlei Hinsicht sympathischste Teil der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist.

Anzeige
Die mobile Version verlassen