Tichys Einblick
"Sozialdemokratisiert und ergrünt"

Die CDU sollte nicht nur dem Namen nach „christlich“ bleiben

Der Historiker Andreas Rödder empfiehlt der CDU, das „C“ in ihrem Namen zu streichen. Doch das „C“ ist ihr Erkennungsmerkmal. Beide C-Parteien sollten deutlich machen, was christlich orientierte Politik ist und warum man sie braucht. Dafür eine Kommission einzusetzen, würde sich lohnen.

Graffiti der CDU an einer Mauer in Hamburg-Barmbek

IMAGO / Hanno Bode

Eines ist unübersehbar: Deutschland befindet sich – wie der gesamte Westen der Welt – inmitten einer fortschreitenden Entchristlichung. Säkularisierung nennt man das etwas neutraler. Indes: Die Kirchenaustritte mehren sich. Die Gottesdienste finden – nicht nur wegen Corona – vor immer weniger Gläubigen statt. Es mangelt an Pfarrern. Immer mehr Kinder werden vom Unterricht im Fach Religion abgemeldet, wiewohl dieses das einzige Schulfach ist, das in Artikel 7 (3) des Grundgesetzes eine Verfassungsgarantie hat: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Christliche Symbole verschwinden: Weihnachtsmärkte werden zu Lichtermärkten, Martinsumzüge zu Laternenumzügen, das Osterfest wird zum Hasenfest.

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Regierungsmitglieder verzichten beim Amtseid zuhauf auf die religiöse Beteuerungsformel „So wahr mir Gott helfe!“ Auf Flyern oberbayerischer Tourismusorganisationen werden Gipfelkreuze wegretuschiert. Die Missbrauchsverbrechen kleben wie ein Fluch an den Kirchen, an der katholischen Kirche noch mehr als an der evangelischen. Die Amtskirchen sind insofern alles andere als unschuldig an diesen Entwicklungen. Immer mehr Kirchenfürsten biedern sich obendrein dem politischen Mainstream an, sodass die Kirchen manchmal wie moralisierende NGOs daherkommen. Man braucht sich ja nur die Programme der Kirchentage anschauen!

Aber sind all diese Entwicklungen der maßgebliche Grund für die Wahl- und Wählerverluste der C-Parteien, der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) in den letzten Jahrzehnten? Würden die dann vormaligen C-Parteien mehr Wähler an sich binden können, wenn sie auf das „C“ im Namen verzichteten?

Noch-CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatte nach der Schlappe der CDU bei der Bundestagswahl 2021 (die CSU stand kaum besser da) eine angeblich schonungslose, indes interne Wahlanalyse in Auftrag gegeben. Experten sollten gehört werden. Einer der Experten ist der Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder. Er empfiehlt der CDU im Rahmen einer Art „Flurbereinigung“, das „C“ im Namen der CDU zu streichen, weil man dann neue Wählerschichten erschließen könne.

Hätte der Zeithistoriker Rödder die Frage gestellt, ob alles immer „christlich“ war, was die CDU an Politik betrieb, hätte er wohl richtig gelegen. Man denke etwa daran, dass ein führender Kirchenmann, der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner, die CDU im Jahr 2007 schon einmal aufgefordert hatte, das „C“ aus ihrem Namen zu streichen. Anlass für Meisner war unter anderem die Zustimmung der CDU zur Stammzellenforschung und zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Für Meisner war das ein eklatanter Verstoß gegen das Gebot des Lebensschutzes auch von ungeborenem Leben.

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Aber das ist Geschichte. In den Zehnerjahren (2010 und folgende) hat sich die CDU unter Merkel – Säkularisierung hin oder her – programmatisch und damit ideell gewaltig verändert. Sie hat sich sozialdemokratisiert und ist ergrünt. Der Wähler stand also oft genug vor der Wahl: Wähle ich das rote bzw. grüne Original oder das C-Imitat? Man denke nur an den Atomausstieg, die Schuldenunion, das Aussetzen der Wehrpflicht, die willkürliche Grenzöffnung 2015 usw. Und man vergesse nicht, dass es Merkel und ihre Adlati waren, die jedes Parteimitglied, das gegen den neuen CDU-Mainstream aufbegehrte, in den Senkel stellte. Friedrich Merz, den jetzt neuen CDU-Bundesvorsitzenden, eingeschlossen.

Nein, nicht das „C“ ist schuld daran, dass die CDU abstürzte. Eine „schonungslose“ Analyse der CDU-Lage wäre 2015 nach dem Aufstieg der AfD und nach der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 2017 mit einem Verlust von 8,6 Prozentpunkten für CDU/CSU gegenüber 2013 dringendst notwendig gewesen. Aber da galt ja noch – unreflektiert auch in den Medien – Merkels Spruch unmittelbar nach der Wahl: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Will sagen: Dass CDU/CSU dann 2021 weitere 8,8 Prozentpunkte verloren, all das soll damit nichts zu tun haben. Und es hat damit zu tun, dass die CDU – ferngesteuert aus dem Kanzleramt – Friedrich Merz zweimal als CDU-Chef verhinderte. Wer dies vergessen machen will, betreibt Geschichtsklitterung, zumindest ein Ablenkungsmanöver.

Aber sehen wir die Frage nach dem „C“ pragmatisch: Gibt es denn einen alternativen Namen? Nein, da helfen auch Anleihen von Namen anderer Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) nicht weiter – etwa: Nea Dimokratia (Griechenland), Forza Italia (Italien), Österreichische Volkspartei, Partido Popular (Spanien) usw.

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Das heißt: Die CDU (im Verein mit der CSU) kommt am „C“ auf längere Sicht nicht vorbei. Das ist ihr Erkennungsmerkmal und ihr äußerer (!) Wiedererkennungswert. Vielleicht würde es den C-Parteien nicht schaden, inhaltlich, innerlich deutlich zu machen, was christlich orientierte Politik ist und warum man sie braucht. Dafür eine Kommission einzusetzen würde sich lohnen, statt immer nur utilitaristischen und wahltaktischen Zielen hinterherzujagen. Aber dafür fehlt es in den vorderen C-Parteirängen an Köpfen, die mit Überzeugung folgende Grundsätze klarmachen und meinungsbildend unter die Leute bringen könnten.

Erstens: Ohne das Christentum (sowie ohne das Judentum, ohne Rom und Athen) gäbe es keine Bürger- und Menschenrechte. Zweitens: Die in allen modernen Verfassungen und Konventionen verankerte Achtung der Würde des Menschen ist Ausdruck der christlich geprägten Gottesebenbildlichkeit des Menschen, wie sie so in keiner anderen Weltreligion vorkommt. Drittens: Die bewährte Soziale Marktwirtschaft ist der Kompromiss aus Solidarität (christlich: „Nächstenliebe“) und Kapitalismus.

Die Gründungsväter und -mütter der C-Parteien wussten nach den Erfahrungen der NS-Schreckensherrschaft und des Zweiten Weltkrieges um die Bedeutung dieser drei Grundsätze. Mit einer Streichung des „C“ aus dem Parteinamen gerät all dies in Vergessenheit.


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