Eines ist unübersehbar: Deutschland befindet sich – wie der gesamte Westen der Welt – inmitten einer fortschreitenden Entchristlichung. Säkularisierung nennt man das etwas neutraler. Indes: Die Kirchenaustritte mehren sich. Die Gottesdienste finden – nicht nur wegen Corona – vor immer weniger Gläubigen statt. Es mangelt an Pfarrern. Immer mehr Kinder werden vom Unterricht im Fach Religion abgemeldet, wiewohl dieses das einzige Schulfach ist, das in Artikel 7 (3) des Grundgesetzes eine Verfassungsgarantie hat: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Christliche Symbole verschwinden: Weihnachtsmärkte werden zu Lichtermärkten, Martinsumzüge zu Laternenumzügen, das Osterfest wird zum Hasenfest.
Aber sind all diese Entwicklungen der maßgebliche Grund für die Wahl- und Wählerverluste der C-Parteien, der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) in den letzten Jahrzehnten? Würden die dann vormaligen C-Parteien mehr Wähler an sich binden können, wenn sie auf das „C“ im Namen verzichteten?
Noch-CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatte nach der Schlappe der CDU bei der Bundestagswahl 2021 (die CSU stand kaum besser da) eine angeblich schonungslose, indes interne Wahlanalyse in Auftrag gegeben. Experten sollten gehört werden. Einer der Experten ist der Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder. Er empfiehlt der CDU im Rahmen einer Art „Flurbereinigung“, das „C“ im Namen der CDU zu streichen, weil man dann neue Wählerschichten erschließen könne.
Hätte der Zeithistoriker Rödder die Frage gestellt, ob alles immer „christlich“ war, was die CDU an Politik betrieb, hätte er wohl richtig gelegen. Man denke etwa daran, dass ein führender Kirchenmann, der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner, die CDU im Jahr 2007 schon einmal aufgefordert hatte, das „C“ aus ihrem Namen zu streichen. Anlass für Meisner war unter anderem die Zustimmung der CDU zur Stammzellenforschung und zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Für Meisner war das ein eklatanter Verstoß gegen das Gebot des Lebensschutzes auch von ungeborenem Leben.
Nein, nicht das „C“ ist schuld daran, dass die CDU abstürzte. Eine „schonungslose“ Analyse der CDU-Lage wäre 2015 nach dem Aufstieg der AfD und nach der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl 2017 mit einem Verlust von 8,6 Prozentpunkten für CDU/CSU gegenüber 2013 dringendst notwendig gewesen. Aber da galt ja noch – unreflektiert auch in den Medien – Merkels Spruch unmittelbar nach der Wahl: „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Will sagen: Dass CDU/CSU dann 2021 weitere 8,8 Prozentpunkte verloren, all das soll damit nichts zu tun haben. Und es hat damit zu tun, dass die CDU – ferngesteuert aus dem Kanzleramt – Friedrich Merz zweimal als CDU-Chef verhinderte. Wer dies vergessen machen will, betreibt Geschichtsklitterung, zumindest ein Ablenkungsmanöver.
Aber sehen wir die Frage nach dem „C“ pragmatisch: Gibt es denn einen alternativen Namen? Nein, da helfen auch Anleihen von Namen anderer Mitglieder der Europäischen Volkspartei (EVP) nicht weiter – etwa: Nea Dimokratia (Griechenland), Forza Italia (Italien), Österreichische Volkspartei, Partido Popular (Spanien) usw.
Erstens: Ohne das Christentum (sowie ohne das Judentum, ohne Rom und Athen) gäbe es keine Bürger- und Menschenrechte. Zweitens: Die in allen modernen Verfassungen und Konventionen verankerte Achtung der Würde des Menschen ist Ausdruck der christlich geprägten Gottesebenbildlichkeit des Menschen, wie sie so in keiner anderen Weltreligion vorkommt. Drittens: Die bewährte Soziale Marktwirtschaft ist der Kompromiss aus Solidarität (christlich: „Nächstenliebe“) und Kapitalismus.
Die Gründungsväter und -mütter der C-Parteien wussten nach den Erfahrungen der NS-Schreckensherrschaft und des Zweiten Weltkrieges um die Bedeutung dieser drei Grundsätze. Mit einer Streichung des „C“ aus dem Parteinamen gerät all dies in Vergessenheit.