Tichys Einblick
Wehrlose Truppe 

Die Bundeswehr ohne brauchbare Flugabwehr

Das deutsche Heer ist wehrlos gegen Drohnen und andere Angriffe aus der Luft. Diese "akute Fähigkeitslücke" hat die Verteidigungsministerin nun sogar zugegeben.

Luftabwehrpanzer OZELOT der Deutschen Bundeswehr

IMAGO / Thomas Frey

Dass die Bundeswehr nicht einmal mehr bedingt abwehrbereit ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Nun hat auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eingeräumt, was für Fachleute schon lange auf der Hand lag: Es bestehe „eine akute Fähigkeitslücke“ bei der Flugabwehr. Anstoß für diese Erkenntnis ist der wenige Wochen dauernde Krieg im letzten Herbst zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Bergkarabach. Aserbaidschanische Drohnen israelischer und türkischer Herkunft gaben den Ausschlag: Damit wurden reihenweise Flugabwehrsysteme, Kommandostände, gepanzerte Kampffahrzeuge und Artilleriestellungen zerstört. Aufklärung rund um die Uhr bei nahezu jedem Wetter, unmittelbar gefolgt von punktgenauer Zielbekämpfung. Damit sicherten sich die Azeris eine ungefährdete Luftüberlegenheit, die Armenier hatte kaum eine Chance. Und das auch ohne aufwendige und sündhaft teure Kampfflugzeuge am Himmel. Die armenischen Truppen wurden demoralisiert, sie hatten den Angriffen wenig entgegen zu setzen.

Begleitet wurden die unbemannten Kampfflieger von elektromagnetischen Störmaßnahmen und flächendeckenden Aufklärungsmitteln. Armenische Soldaten, die mit unverschlüsselten Mobiltelefonen hantierten, wurden aufgefasst und bekämpft. Die ständige Gefährdung und unvermittelte Attacken „aus heiterem Himmel“ ließen vielerorts armenische Soldaten in Panik geraten. Ob nun bewusst dafür eingesetzt, oder als Kollateraleffekt entstanden, entwickelten sich die zahlreich freigegebenen Drohnenvideos überdies zu Mitteln der Informationskriegsführung. Ihre rasche Verbreitung im Internet beflügelte die Siegeszuversicht auf der azerischen Seite und deprimierte deren Gegner. TE berichtete.

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Zurück zur Bundeswehr: Wie konnte es zu dieser unhaltbaren Situation der deutschen Streitkräfte kommen? Braucht es wirklich einen Krieg im Unruheherd Kaukasus, um fundamentale Defizite im eigenen Militär zu erkennen? Berichte darüber hatten in der Bundeswehr für einige Aufregung gesorgt. Ausgangspunkt für die aktuellen Defizite sind unverantwortliche Entscheidungen der letzten zwei Dekaden. Unter Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) wurde die herkömmliche Landesverteidigung für überflüssig erklärt. „Die nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten werden nicht länger benötigt“ hieß es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 20. Mai 2003. Das war das verheerende Signal für die Ausuferung der Friedensdividende im Glauben an den ewigen Frieden. „Von Freunden umgeben“ wurde die Bundeswehr auf nur mehr Auslandseinsätze ausgerichtet. Über verschiedene Strukturreformen wurden – um zu sparen, koste es was es wolle – die militärischen Kapazitäten drastisch reduziert. Der Zentralisierungswahn siegte, die Heeresflugabwehr wurde zur Luftwaffe gegeben und der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard ab 2010 „ausgephast“.So hieß es im Militärjargon beschönigend. Deutlich kleinere NATO-Partner wie Rumänien beispielsweise haben das System Gepard in Dienst gehalten.

Bevor nun ausschließlich auf die Politik geschimpft wird, sei festgehalten, dass sich kein General und auch kein Generalinspekteur der Bundeswehr je gegen derart unverantwortliche Entscheidungen gewehrt hat. Keine wahrnehmbaren Diskussionen, keine öffentlichen Einlassungen und schon gar kein Rücktritt. Manche sagen: Stromlinienförmigkeit im Interesse der Karriere. Zugute zu halten ist den Herren immerhin, dass deutsche Generale loyal den Primat der Politik beinahe bedingungslos akzeptieren. Das sollten endlich auch die kapieren wollen, die heute noch meinen, die Armee könne zur Gefahr für den Rechtsstaat werden. Gar nichts wird sie, nicht einmal wenn deren Haus abgefackelt wird, steht einer auf und protestiert. Auf Arbeitsebene wurde durchaus Fraktur geredet und auf die Tatsache hingewiesen, dass eine Reanimierung der Verteidigung Jahre dauern wird. Das hat aber keinen Entscheidungsbefugten vom Hocker gerissen. 

Entscheidende Waffe der Gegenwart
Die Bundeswehr soll von Kampfdrohnen nur träumen
Immerhin wird das unübersehbare Defizit nun durch die amtierende Verteidigungsministerin aufgegriffen. Schließlich hatte Kramp-Karrenbauer in Bezug auf Bergkarabach auch vom ersten Drohnenkrieg der Geschichte gesprochen. Zudem forderte Generalinspekteur Eberhard Zorn wiederholt die Anschaffung von Kampfdrohnen und von Systemen zu deren Abwehr. Unter Hochdruck wird nun an Vorschlägen gearbeitet, um die eingestandene Fähigkeitslücke zu schließen und die Flugabwehr neu aufzubauen. Wobei das Wort Lücke das Problem unzulässig verniedlicht. Es fehlen Abwehrmittel gegen weitreichende Raketen sowie angreifende Flugzeuge und Drohnen in allen Höhenbändern. Die Lücke ist groß wie ein Scheunentor. Für höhere Abfangschichten gibt es zwar ältere US-Patriot-Raketen. Diese bedürfen aber für viele Hundert Millionen Euro der Modernisierung, um wenigstens eine Basis-Luftabwehr in bis zu 100 Kilometer Entfernung entsprechend den Nato-Verpflichtungen zu ermöglichen. Pläne für ein modernes deutsches Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS) wurden nach Jahren der Entwicklung aus Kostengründen (ca. 13 Milliarden Euro) auf die lange Bank geschoben. Die wenigen Eurofightergeschwader mit Luft-Luft-Abwehrfähigkeit sind gegen Kleindrohnen nicht einsetzbar. Von deren geringer Stückzahl ganz zu schweigen. 
Höchste Priorität

Untersucht werden nun mehrere Möglichkeiten. Die Ministerin verfolgt zurecht die Linie, lieber am Markt verfügbares Gerät zu beschaffen, statt auf maßgeschneiderte Goldrandlösungen zu setzen. Die würden Jahre um Jahre dauern, Milliardenbeträge kosten und wären mit großen Risiken behaftet. Neben der Modernisierung des Patriot-Systems soll eine verbesserte Flugabwehr im Nah- und Nächstbereich für rund 1,3 Milliarden Euro auf die Beine gestellt werden. „Dieses Vorhaben ist von höchster Priorität“, heißt es in einem Schreiben von Staatssekretär Peter Tauber (CDU) am 23. März an das Parlament. „Das Vorhaben ist aktuell nicht finanziert“ steht allerdings auch dabei.

Und so ist die Bundeswehr im Fall des Falles einmal mehr auf die Unterstützung von Partnern angewiesen. Bei Auslandseinsätzen ist das immer wieder mal die Lösung, nur darf halt nichts größeres dazwischen kommen. Sonst wären wir im Krisentfall nicht einmal bedingt abwehrbereit. Aber mögliche Gegner würden sich dann doch wohl am deutschen Friedenswillen ausrichten. Wir sind ja schließlich die Guten!


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