Kaum ist der Überfall Putins auf die Ukraine 24 Stunden alt, da „wissen“ in Berlin und in den Medien nun alle, dass es ein Fehler war, die Bundeswehr über Jahre hinweg kaputt gespart zu haben. All die Jahre meinte man, für alle Ewigkeit eine „Friedensdividende“ nutzen und deshalb zugunsten von sozialpolitischen Wohltaten sicherheitspolitisch sparen zu können.
Und nun? Wenn es angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine nicht so traurig wäre, müsste man zynisch sagen: Spart euch eure Krokodilstränen, ihr Baerbocks und Co.! Ihr da in Berlin habt 2011 die Wehrpflicht aussetzen wollen, diese schließlich mit einer Unions-/FDP-Regierung ausgesetzt und damit zu erheblichen Problemen bei der Personalrekrutierung gesorgt. Ihr da in Berlin inklusive „grüne“ Fundi-Pazifisten habt das Ziel, dass jedes NATO-Land zwei Prozent vom BIP für Rüstung geben solle, als Marotte von Donald Trump abqualifiziert, wiewohl es schon lange vor Trump NATO-Beschlusslage war.
Nun aber „wissen“ alle, dass all diese Politik ein Fehler war. Übrigens ein Fehler, der viel mit einer gewissen Angela Merkel zu tun hatte. Schließlich war sie es, die 16 Jahre lang im Kriegsfall de jure Oberbefehlshaberin der Bundeswehr gewesen wäre. Wie lächerlich ist es auch, wenn ein Bundeskanzler Scholz nun ein Freund der Bundeswehr wird. War er nicht zuletzt Finanzminister und Geldgeber der Bundeswehr? Wie lächerlich ist es auch, wenn ein amtierender Finanzminister Lindner nun die Bundeswehr entdeckt? War die FDP nicht 2011 maßgeblicher Anstoß für das Aussetzen der Wehrpflicht?
Und wie anachronistisch ist es auch, wenn eine Kurzzeit-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer nun „weiß“: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, schrieb Kramp-Karrenbauer auf Twitter. Nach den Konflikten in Georgien, auf der Krim und im Donbass sei nichts vorbereitet worden, was den russischen Präsidenten Wladimir Putin wirklich abgeschreckt hätte.
„Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da … Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert … Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen. Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!“
Respekt, Herr General, solche Stimmen hätten wir zuletzt häufiger gebraucht. Aber immerhin! Denn bislang herrschte in der Bundeswehr ein weit verbreitetes Schweigen der mehr als zweihundert Generale und Admirale.
Wie aber schaut es offiziell mit der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr aus? Der aktuelle „14. Rüstungsbericht und der Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft“ des Generalinspekteurs vom 13. Januar 2022 gibt darüber Auskunft. Dort klopft man sich – durchaus zu Recht – auf die Schultern, weil die Bundeswehr bei „Corona“ und im Ahrtal viel mitgeholfen habe. Aber der Rest ist Märchen. Wörtlich: „Die Bundeswehr ist in der Lage, ihre Aufgaben kurzfristig, flexibel und gemeinsam mit unseren Verbündeten innerhalb sowie auch außerhalb Deutschlands zu erfüllen.“ So steht es in diesem Bericht. Die Probleme werden später auf den nachfolgenden Seiten – reichlich geschönt – beschrieben:
„Die materielle Einsatzbereitschaft aller 71 Hauptwaffensysteme hat sich im Berichtszeitraum insgesamt verstetigt und in einigen Bereichen leicht verbessert. Sie liegt mit durchschnittlich 77% geringfügig über den 76% aus dem letzten Bericht. Unsere Zielgröße von 70% durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50% (davon 6 Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71%, für Kampfeinheiten der Marine bei 72%, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65%, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82% und bei den Hubschraubern weiterhin bei 40%.“
Noch einmal: 11 Waffensysteme lagen unter 50 Prozent Einsatzbereitschaft!
Und: „Die Masse an erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen über die gesamte Bandbreite unseres Geräts wird auch in den kommenden Jahren zu Einschränkungen im verfügbaren Bestand mit sich bringen. Beispiele hierfür sind: TPz FUCHS CIR: 50 von 77 Systemen (Delta: 35%). Der geringe Verfügungsbestand ist im Wesentlichen auf umfangreiche Werksinstandsetzungen wie auch auf Umrüstungen zurückzuführen. Die Integration hochmoderner, komplexer IT-Technologie in eine technisch gereifte Plattform ist sehr aufwändig und damit zeitintensiv. KPz LEOPARD 2: 183 von 289 Systemen (Delta 37%). Die Flotte des LEOPARD 2 umfasst sechs unterschiedliche Typen, die es auf vier Varianten zu reduzieren gilt.“ Zur Erklärung: „Delta“ ist die Differenz zwischen Gesamtbestand und verfügbarem Bestand.
Nun ja: Die Autoren Josef Kraus und Richard Drexl haben all diese Probleme 2019 und in einer Zweitauflage 2021 in ihrem Buch „Bedingt abwehrbereit“ ausführlich beschrieben. In den Bendlerblock oder gar in die „hohe“ Politik ist diese Analyse nicht vorgedrungen. Aber es ist ja nicht zu spät!