Deutschland ist ein Übernahmekandidat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger macht das neue, vom Innenministerium geplante Sicherheitsgewerbegesetz deutlich. Clan-Strukturen und ihre Auswüchse haben einen wesentlichen Teil des öffentlichen Lebens durchdrungen und treiben dort ihr Unwesen. Die Sicherheit, Funktionstüchtigkeit und das Prestige des Staates und seiner Einrichtungen sind in Gefahr. Das ist die über den Tag hinausreichende Botschaft des neuen Plans zu einem „Sicherheitsgewerbegesetz“, der vergangene Woche öffentlich wurde. Und auch wenn das Vorhaben schon im Koalitionsvertrag der Ampelparteien vom Herbst abgesprochen war, passt es in diesen Tagen wie die Faust aufs Auge.
Anfang des Monats hat ein öffentlicher Clan-Mord in Berlin-Neukölln die Aufmerksamkeit auf das Thema Clans gelenkt. Nur Tage später kam es zu einer Straßenschießerei mit an die 100 Beteiligten auf dem Altmarkt in Duisburg, bei der Rocker und ein türkisch-arabischer Clan aneinandergerieten. Zeitweise hieß es in sozialen Medien, der Clan-Chef sei getötet worden. Tatsächlich gab es lediglich vier Verletzte.
In Berlin und NRW zahlreiche Sicherheitsfirmen mit Bezug zu Clans
Die beiden Verbrechen könnten die Spitze eines Eisbergs sein – oder die Lokomotive eines Zugs, je nach Perspektive (synchron oder diachron). In beiden Fällen fehlt bis heute jede Spur von der Beute. Von der 100-kg-Goldmünze nahm die Staatsanwaltschaft an, dass sie zerteilt und eingeschmolzen wurde. Etwas Goldstaub konnten die Ermittler damals in einer Wohnung sicherstellen und so die beiden Einbrecher überführen. Ein rechtskräftiges Urteil erging schließlich im Juli 2021 vor dem 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig.
Zwei vorbestrafte Cousins aus dem Remmo-Clan (zur Tatzeit 18 und 20 Jahre alt) mussten für viereinhalb Jahre hinter Gitter und sollten daneben 3,3 Millionen Euro Wertersatz an den Eigentümer der Münze zahlen. Von seiner Versicherung hatte der nur 20 Prozent des einstigen Kaufpreises erstattet bekommen, weil das entleihende Bode-Museum nicht ausreichend für die Sicherheit der Münze gesorgt habe: Das Fenster, durch das die Täter über die S-Bahn-Brücke ins Museum einsteigen konnten, war nicht an das Alarmsystem des Hauses angeschlossen und war zudem leicht aufzuhebeln.
Die Welt erfuhr von Polizei und Zollbehörden, dass allein in Berlin mehr als zwanzig Sicherheitsfirmen einen Bezug zu kriminellen Familienclans besitzen. In Nordrhein-Westfalen gibt es eine ähnliche Fallzahl. Diese „Sicherheitsunternehmen“ wechseln demnach oft Adresse und Namen, werden immer wieder geschlossen und neu gegründet. Aber auch solche unseriösen Anbieter konnten und können nach geltendem Recht zu öffentlichen Aufträgen kommen. Denn bisher sind staatliche Stellen dazu verpflichtet, den jeweils günstigsten Anbieter zu beauftragen. Das neue Gesetz soll hier ein Qualitätskriterium ins Spiel bringen.
Ihre Anwälte fordern gendergerecht besetzte Schöffen
Der Berliner Fall und der ähnlich gelagerte des Grünen Gewölbes in Dresden, jenes „Schatzkammermuseums von Weltrang“ (Eigenbeschreibung), der (vielleicht noch immer) größten Kleinodiensammlung Europas, dienen offenbar als Pauschvorlagen für den Gesetzentwurf des Innenministeriums. Im Prozess um das Dresdner Museum, das seit bald 300 Jahren öffentlich zugänglich ist, sind sechs Mitglieder des Remmo-Clans angeklagt – darunter auch die beiden Täter aus dem Maple-Leaf-Fall, die zwischen den Gerichtsverhandlungen offenbar noch genügend Zeit fanden, um einen weiteren Millionen-Coup durch Erkundungsfahrten vorzubereiten.
Zwei PS-starke Autos wurden gekauft, der Mercedes 500 mit elfenbeinfarbener Folie und Leuchtschild als Taxi getarnt und beide Wagen mit geklauten Kennzeichen ausgerüstet. Nach einer Polizeikontrolle, der die Kriminellen nur durch eine tollkühne Flucht entkamen, lackierten sie den Audi A6 um. Für die eigentliche Tat legten die Clan-Mitglieder die Straßenbeleuchtung durch einen Stromkastenbrand lahm, stiegen dann durch ein aufgedrücktes Fenster ins Gewölbe ein. Mit 56 Axthieben zerschlugen sie eine Vitrine und stahlen vier Stücke aus dem „Schmuck der Königinnen“, mehrere Diamantrosen und eine Reihe von Brillanten – darunter der „Sächsische Weiße“ mit 48 Karat, ein Bruststern des Polnischen Weißen Adler-Ordens, auch einige diamantbesetzte Rockknöpfe. Insgesamt wurden 21 Schmuckstücke mit insgesamt 4.300 Diamanten und Brillanten geraubt, deren Versicherungswert sich auf rund 114 Millionen Euro beläuft. Die Sachschäden am Museum werden den Steuerzahler wohl eine weitere Million Euro kosten.
Auch der geringe Ermittlungserfolg der Behörden gab Anlass für Spott von der Verteidigerbank: Laut Welt am Sonntag sollen nämlich 40 weitere Verdächtige im Visier der Ermittler sein, nur durften die eben nicht auf der Anklagebank Platz nehmen. Dass die Anklagen deshalb willkürlich wären, kann man freilich nicht sagen. Ein weiterer Anwalt sagte von seinem Schützling: „Er ist in eine arabische Großfamilie hineingeboren worden. Er ist stolz auf seine Familie, er liebt sie und würde nie etwas auf sie kommen lassen.“
Die Indizien gegen die Täter sind vor allem Videoaufnahmen der Überwachungskameras sowie DNA-Spuren und das Anschlagen von eigens ausgebildeten Spürhunden, die allerdings erst nach einiger Zeit in das Museum geführt wurden. Auch in diesem Prozess ist schließlich die Rede von zwei Wachmännern, die angeblich aus Angst nicht gegen die Einbrecher aktiv wurden. Vielmehr hätten sie sich vor den Tätern versteckt, um nicht von ihnen erkannt zu werden. Später drehte einer der Sicherheitsmänner ein allerdings undeutliches Video vom Tatfahrzeug.
Auch Faeser entdeckt die kriminellen Clans für sich
All das gibt wahrlich genug Stoff für eine Anpassung der Regelungen im Sicherheitsgewerbe. Natürlich kann man Mut nicht per Gesetz verordnen. Aber vielleicht spielte auch in Dresden Komplizenschaft eine Rolle? Das muss untersucht werden. Jedenfalls muss es eine bessere Prüfung der Mitarbeiter wie auch der Sicherheitsfirmen selbst geben. Wie kann ein polizeibekannter Jugendlicher – und sei es wegen Lappalien – eine solche Verantwortlichkeit für wertvolle Kunst- und Vermögensschätze erhalten? Das würde wohl kein Privatmann in seinem Unternehmen dulden. Insofern stellt sich auch hier die Frage, wie weit ein Museumsbetreiber genug für die Sicherheit der Exponate getan hat, wenn er solche Wachleute beschäftigt. Müsste es hier nicht ein Klagerecht auch gegen die fahrlässigen Betreiber geben, also in diesen Fällen die Länder Sachsen und Berlin?
Clans sind und bleiben ein großes Thema für Innenpolitiker in Bund und Ländern. Erst am Wochenende griff auch Innenministerin Faeser das Thema auf. Auch Tumulte können lehrreich sein. Nancy Faeser hat – reichlich spät – die Sicherheit der Bürger als Aufgabe des von ihr geleiteten Ministeriums wiederentdeckt. Im Interview mit der Bild am Sonntag forderte sie nun, Clanstrukturen „aufzudecken und zu zerschlagen“. „Abgeschottete Parallelwelten“ dürfe man nicht zulassen. Es habe viel zu lange an einem entschiedenen Vorgehen gefehlt, sagte die gerade wiedergewählte SPD-Vorsitzende Hessens (94,3 Prozent ohne Gegenkandidat).
Sogar für die Rückführung krimineller Clan-Leute will sie sorgen. Dem steht heute allerdings oft noch die deutsche Staatsangehörigkeit der Clan-Kriminellen entgegen. Sie dürften aber daneben auch noch über andere Staatsangehörigkeiten verfügen. Man könnte ihnen also die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen und dann auf Ausweisungen oder Abschiebungen hinarbeiten.
Der Neuköllner Stadtrat Falko Liecke war in Fällen wie diesen dafür, Kinder auch aus ihren Familien zu nehmen. Angeblich bemüht sich der Berliner Bezirk derzeit in dieser Weise um einen dreizehnjährigen Intensivtäter, der drohe, auf die schiefe Bahn zu geraten. Jugendliche aus ihren Familien herauszunehmen, sei – so Liecke gegenüber der Welt – „das letzte Mittel bei Jugendlichen, die in eine kriminelle Karriere abzurutschen drohen“. Von Experten will der Stadtrat bei dem Thema viel Zuspruch für seine harte Linie gefunden haben.
Gerade arbeitet sich Liecke in das Thema Sozialhilfebetrug ein. Das könnte auch in Sachen Clans noch interessant werden. Denn bekannt ist, dass Clan-Chefs durchaus in geräumigen Vorstadtvillen residieren und doch – durch geschickt angelegte Mietverhältnisse – zum Fall fürs Sozialamt oder Jobcenter werden können. Ein weiterer Fall, in dem die Ausnutzer der aktuellen bundesdeutschen Rechtslage über die selbige wohl nur lachen können.