Im Morgengrauen des 19. Oktober stürmten Männer ein Berliner Waisenhaus. Sie verfrachteten die Kinder in LKWs, brachten sie zum Zug, ließen sie wie Vieh nach Polen fahren, um sie dort zu ermorden. Es war der 19. Oktober 1942. Das Waisenhaus war ein jüdisches Waisenhaus. Nur so sind diese Morde an Kindern zu erklären – erklären, nicht begreifen. Das ist der Holocaust. Morde an Schwachen und Unschuldigen. Das ist das Menschheitsverbrechen, das die Vertreter von „unsere Demokratie™“ relativieren, wenn sie es missbrauchen, um die politische Konkurrenz zu diffamieren.
Politische Leichtgewichte wie Marco Wanderwitz (CDU) sind es, die im Namen von „unsere Demokratie™“ den Holocaust relativieren – verharmlosen, zu einem unbedeutenden, beliebigen politischen Slogan degradieren. Der ehemalige Ostbeauftragte hat 124 Unterschriften von Abgeordneten für einen Verbotsantrag gegen die AfD gesammelt und bringt diesen auch in den Bundestag ein. Die Kanzlerin hat einst Wanderwitz befördert, sich selbst über geltendes Recht hinweggesetzt und illegale Einwanderung ermöglicht, weil sie unschöne Bilder vermeiden wollte. Die AfD ist dagegen. Das macht sie in Wanderwitz‘ Augen zu „Menschenfeinden“. Dann zitiert er noch irgendwas mit Auschwitz und begründet damit das Verbotsverfahren. Die Politik seiner Förderin zu kritisieren und sechs Millionen Juden zu ermorden, weil sie Juden sind – darunter die Waisen aus Berlin. In Wanderwitz‘ Welt spielt das in einer Liga.
Was auffällt: Für die Befürworter des Antrags sprechen Hinterbänkler und Ehemalige. Hinterbänkler wie Carmen Wegge, die studiert und für die SPD in Parlamenten gesessen hat. Aus diesem prallen Erfahrungsschatz zieht sie die Erkenntnis: „Die AfD ist eine Gefahr für unsere Demokratie.“ Sie arbeite mit gewaltbereiten Gruppen zusammen. Das sagt Wegge am selben Tag, an dem Anhänger der SPD die Parteizentrale der CDU stürmten, die daraufhin evakuiert werden musste. Oder Renate Künast (Grüne). Die ist so sehr eine Ehemalige, dass man sich an ihr abarbeiten oder getrost weglassen kann, was sie genau gesagt hat.
Stichwort Ehemalige: Die früh gescheiterte Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, nutzt das Mikrofon, um noch mal gegen Friedrich Merz nachzutreten und um die AfD mit den Nationalsozialisten und dem Holocaust in Verbindung zu bringen. Der Mord an sechs Millionen Juden. Angriffe auf Waisenhäuser, um Kinder systematisch umzubringen. Oder für Grüne halt etwas, das sie schnell mal ihren Konkurrenten an den Kopf werfen können und was so schön nach Wucht klingt.
„Inhaltlich hat man uns nie gestellt“, erwidert Peter Boehringer (AfD) den Kollegen, die ihn verbieten wollen. Und angesichts deren Verharmlosung eines Menschheitsverbrechens wirkt diese These nicht mal unglaubwürdig. Das Material des Antrags beruhe auf der „lächerlich anekdotischen Evidenz“ des CDU-Politikers Thomas Haldenwang. Den hat Merkel einst zum Chef des „Verfassungsschutzes“ gemacht, und der will jetzt gerne in den Bundestag.
Konstantin Kuhle (FDP) und Philipp Amthor (CDU) machen klar, wie dünn die Rechtsgrundlage ist, auf der Wanderwitz‘ Initiative beruht. Auch wenn Amthor dessen Engagement würdigt. Mit anderen Worten: Der ehemalige Ostbeauftragte hat sich wenigstens stets bemüht. Ein großer Teil der Union werde dem Antrag nicht zustimmen, kündigt Amthor an. Aus taktischen Gründen: „Vor der Bundestagswahl gibt es der AfD die Möglichkeit, sich in der Opferrolle zu suhlen.“ Suhlen. Wie Schweine. Aber die AfD ist es angeblich, die den politischen Konkurrenten entmenschlicht.
Der Bundestag hat über Wanderwitz‘ Antrag nicht abgestimmt. Der geht nun in die Ausschüsse. Falls der Antrag aus diesen je zurückkehrt, dann sitzt sein Initiator nicht mehr im Bundestag. Er zieht sich beleidigt aus der Politik zurück. Er hatte „Teile der Ostdeutschen“ als „diktatursozialisiert“ mit „gefestigt nicht demokratischen Ansichten“ bezeichnet. Die haben ihn dafür nicht genug geliebt. Sachen gibt’s. Die Lücke, die Wanderwitz hinterlässt, ersetzt ihn vollkommen. Dass sein Antrag so aus den Ausschüssen zum Beschluss zurückkommt, wie ihn der stets bemühte Verfasser formuliert hat, ist nach dieser Debatte höchst unwahrscheinlich.