Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer glänzt mal wieder durch eigenwillige Vorgehensweisen. Die in die Jahre gekommene „Tornado“-Flotte der Luftwaffe will sie durch 45 Boeing-Kampfflugzeuge des Typs F-18 und bis zu 93 zusätzliche Eurofighter von Airbus ersetzen. Die SPD-Fraktion wirft Kramp-Karrenbauer vor, vollendete Tatsachen schaffen zu wollen, ohne die Sozialdemokraten vorher einzubinden. Die Noch-CDU-Chefin beteuerte im Verteidigungsausschuss, sie habe mit einer Nachricht an ihren US-Amtskollegen Mark Esper keine Kaufzusage gegeben. Siehe hier.
Aber auch innerhalb der SPD gibt es grundlegende Meinungsverschiedenheiten. Die Kabinettsmitglieder Heiko Maas und Olaf Scholz bekennen sich zur nuklearen Teilhabe und einer entsprechenden Flugzeugbeschaffung. Der linke Flügel um Fraktionschef Mützenich hingegen ist generell gegen eine Nachfolge-Entscheidung in der Erwartung, dass Deutschland dann aus der „nuklearen Teilhabe“ der Nato ausscheiden müsse, wenn die Bundeswehr keine Flugzeuge hat, die Atomwaffen tragen könnten. Zudem ist Trump-Amerika bei ihnen unten durch seit der Kündigung des INF-Vertrages und der Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Siehe SZ vom 18/19. April 2020: Im Atombomben-Dilemma. Eine endgültige Kaufentscheidung dürfte frühestens 2022 durch den nächsten Bundestag fallen, wenn die Verträge mit Airbus und Boeing verhandelt sind.
Zur Ausgangslage
In der Politik ist man sich einig, dass die Bundeswehr einen Nachfolger braucht für das Waffensystem Tornado, das in den 1980er Jahren eingeführt wurde. Die Kampfflieger sind seit bald 40 Jahren in Betrieb, ein wahrhaft stolzes Alter. Nach mehrfacher Nachrüstung aber sind Flugzeugtechnik, Bewaffnung und Lfz-Elektronik für ein Land wie Deutschland, das den Kampfeinsatz von Streitkräften ohnehin als Teufelszeug abtut, in einem durchaus akzeptablen Zustand. Zumal für fliegerische Kampfaufträge der Eurofighter zur Verfügung steht. Zwei wichtige Bereiche, der elektronische Kampf und die nukleare Teilhabe, werden aber durch den Tornado abgedeckt. Tornados hätten also im nuklearen Extremfall in der Eifel stationierte US-Atombomben ins Ziel zu tragen. Die nukleare Rolle ist allerdings zuvörderst als politische Aufgabe zu verstehen: Ein Mittel, um den Deutschen ein begrenztes Mitspracherecht am Tisch der eigentlich Mächtigen im NATO-Rahmen zu ermöglichen. Insofern ist es aus politischen Gründen konsequent, dieses Einsatzmittel zu erhalten.
Keine Begeisterung der Luftwaffe
Als alternative Lösung käme auch der Eurofighter in Frage. Die Zweifel sind allerdings groß, ob dieser rechtzeitig umgerüstet werden könnte, um die Zweitschlagsfähigkeit der Bundeswehr nach Aussonderung des Tornado unterbrechungsfrei zu gewährleisten. Die USA verengen nun im Interesse ihrer Rüstungsindustrie massiv den Handlungsspielraum der Verteidigungsministerin. Das Problem ist ein aufwendiger US-Zertifizierungsprozess, der für die nukleare Aufgabe durchlaufen werden muss. Im Ministerium sollen Schätzungen über Kosten und Zeiträume für die verschiedenen Lösungen vorliegen. Wenig überraschend würde demnach die Zertifizierung des Eurofighter drei bis fünf Jahre länger dauern als beim Konkurrenzmodell der Amerikaner. Nicht nur, dass die F 18 einer früheren Baureihe diese Zulassung bereits besitzt. Geradezu ausgeliefert ist man den Freunden jenseits des Atlantiks dadurch, dass sie den Umfang und die Zeitabläufe des Zertifizierungsprozesses bestimmen. Daher wenig verwunderlich: Das US-Rüstungsprodukt F-18 hätte da erhebliche Vorteile.
Die deutsche Seite bringt sich durch ihr Lavieren und jahrelanges Taktieren um die eigenen nationalen Interessen immer wieder selbst in Schwierigkeiten. Es hilft weder der Luftwaffe noch dem deutschen Steuerzahler, mit der F-18 ein ähnlich altes Grundmuster wie den Tornado für eine zeitlich begrenzte Spezialaufgabe mit Milliardenaufwand einzuführen. Die Frage ist also, wie dem amerikanischen Druck zu entkommen ist, ohne die deutschen Belange auf dem Altar der Freundschaft mit den USA zu opfern.
Besser: Den Tornado weiterfliegen
Die einfachste und bei weitem kostengünstigste Lösung wäre, den Tornado über 2025 hinaus im Dienst zu halten. Das Argument, dass die Kosten für dessen Unterhalt künftig rapide ansteigen würden und die Bundesrepublik für das Geld auch neue Flieger kaufen könne, geht fehl. Untersuchungen zeigen dem Vernehmen nach eindeutig, dass bei Reduzierung auf die für die atomare Abschreckung benötigten 35 Luftfahrzeuge ein Weiterbetrieb mit begrenztem Aufwand möglich ist. Bereits früher praktiziert: Aus den zu verschrottenden 50 Tornado-Flugzeugen könnten genügend Hochwertteile ausgebaut und eingelagert werden, so dass der Flugbetrieb der verbleibenden Luftfahrzeuge auf Jahre hinaus gesichert wäre. Ganz abgesehen davon, dass die Ersatzteillage bekannt und berechenbar ist. Wenn zudem alle Aufgaben außer der atomaren Rolle (Luft-Boden-Einsatz, Luftaufklärung und elektronischer Kampf) auf zusätzliche Eurofighter übergingen, verbliebe nur die atomare Rolle für den Tornado. Das ist eindeutig die beste Lösung: Das Waffensystem Tornado ist eingeführt, Ersatzteile und Instandhaltungseinrichtungen sind vorhanden, technisches und fliegendes Personal sind ausgebildet. Gerade die US-Luftwaffe macht vergleichbares vor: Die B-52 fliegt seit über 60 Jahren und soll, elektronisch und waffentechnisch auf der Höhe der Zeit, noch weitere Jahre im Dienst verbleiben.
Für die rein politisch zu wertende Einsatzrolle der atomaren Zweitschlagsfähigkeit ist der Tornado völlig ausreichend. Es wäre glatter Irrsinn, für einige Jahre mit X Milliarden Aufwand ein weiteres, letztlich genauso altes Waffensystem einzuführen. Die Empfehlung für den Erhalt der atomaren Rolle der Bundeswehr kann daher nur lauten: Keine milliardenteure Zwischenlösung mit der F-18, stattdessen Weiterbetrieb des Waffensystems Tornado. Diese Lösung ist logistisch machbar, finanziell überschaubar und geeignet, den Bedarf der Luftwaffe wie schon Jahrzehnte bisher auch in den nächsten Jahren abzudecken. Damit könnte sogar wieder die zeitlich risikobehaftete Umrüstung des Eurofighter auf die atomare Einsatzrolle in Betracht gezogen werden, weil dann der Zeitdruck entfällt.
Bundeswehr hochbelastet
Im Übrigen ist oft genug die Rede davon, dass die Bundeswehr gegenwärtig am Rande ihrer Möglichkeiten stünde und hochbelastet sei. Und da will man ihr ernsthaft ein zusätzliches Waffensystem aufhalsen? Eines, für das erst wieder die Organisation umgebaut, Instandsetzungs- und Ersatzteilkreisläufe aufgebaut und aufwendige Ausbildungen des fliegenden und technischen Personals durchgeführt werden müssten. Und das ohne nennenswerte einsatztaktische Vorteile im Vergleich zum Ist-Zustand. Was soll das?
Auch im Bereich des elektronischen Kampfes gibt es Alternativen zur F-18. Diese Aufgaben sollte der Eurofighter vollständig übernehmen. Die Amerikaner teilen Aufklärungsergebnisse nur sehr eingeschränkt mit uns. Grund genug, in diesem sensiblen Bereich auf eigene Fähigkeiten und Systeme zu setzen.
Die Franzosen beim Wort nehmen
Andererseits betont Präsident Macron bei jeder Gelegenheit, dass die Europäer ihre Verteidigung endlich in die Hand nehmen müssen. Die USA zählt er schon mal als Land auf, gegen das man sich verteidigen müsse, was bei Trump dazu führt, sich als Feind eingestuft zu sehen.
Was denn nun?, könnte man Macron fragen. Immerhin hat der französische Präsident jüngst nochmals nachgelegt: »Die europäischen Partner, die sich in dieser Richtung engagieren wollen, könnten eingebunden werden in die Übungen der französischen Abschreckungskräfte.« Und zwar außerhalb der nuklearen Planungsgruppe der NATO, an der Frankreich auch in Zukunft nicht teilnehmen wird.
Das ist ein echtes Angebot. Man sollte die Franzosen beim Wort nehmen und wenigstens in einen ernsthaften Dialog eintreten. Das eigentliche Kunststück bestünde in diesem Fall darin, die transatlantische Verbindung zu erhalten, aber der EU militärstrategisch zu einem weiteren, eigenen Bein zu verhelfen. Vermutlich lässt aber unsere Schaukelpolitik zwischen EU und USA nicht mal einen ernsthaften Austausch zu. Deutschland definiert nach wie vor nicht die grundlegenden nationalen Interessen, das allein behindert seit Jahren substanzielle europäische Fortschritte. Und zwar entgegen allen vollmundigen Erklärungen. Damit steht ein Elefant im Raum, an dem keiner vorbeikommt: Die Frage nach der Zuverlässigkeit der Deutschen aus Sicht unserer europäischen Partner.
Keine Zukunftsvision, nur Tagespolitik
Anstelle einer Zukunftsvision wird einmal mehr der Tagespolitik Tribut gezollt. Kramp-Karrenbauer möchte die militärische Zusammenarbeit mit den USA zur Stabilisierung der Beziehungen stärken. Washington sei der wichtigste Bündnispartner erklärte die Ministerin bei ihrer Antrittsreise im letzten Jahr. Immerhin kann die Rüstungsindustrie der USA bereits auf ein kommendes Milliardengeschäft mit dem Beschaffungsauftrag für den Nachfolger der ebenfalls in die Jahre gekommenen schweren Transporthubschrauber CH-53 setzen. Die beiden angebotenen Systeme sind von Boeing (CH-47F) bzw. Sikorsky (CH-53K).
Erpressbar aber bleibt die deutsche Seite durch die Verschiebung des 2-Prozent-Ziels des BIP-Anteils der Verteidigungsausgaben auf den Sankt Nimmerleinstag. Um des lieben Friedens willen fühlt man sich dann gezwungen, an anderer Stelle nachzugeben. Auch wenn es mal wieder weh tut.