Das „Herumdoktern mit ruhiger Hand“ bei der Grenzsicherung wurde durch eine nächtliche Ankündigung bei Anne Will und einer anschliessenden weitschweifenden Unverbindlichkeit zum Menetekel.
Nicht erst seit diesem Abend widersprechen sich offiziell lancierte Zahlen der grossen Institute und Umfragepäpste über die Meinungen im Lande der Deutschen selten, es geht immer um Nuancen. Und das ist auch gut so. Was wäre das für ein Skandal, würde der ARD-Deutschland-Trend plötzlich melden, dass die Regierten 80%ig komplett und unversöhnlich mit der Chef*innenetage über Kreuz liegen? Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe Zufriedenheit mit der Asylpolitik.
Nach Lesart der Medien gibt es meist eine sauber in der Mitte gespaltene öffentliche Meinung zum Thema Zuwanderung. Die eine Seite sei verärgert bis verzweifelt über die Zuwächse der vergangenen Jahre und fürchte sich vor einer aufoktroyierten schleichenden Veränderung ihres Lebens. Die andere Hälfte sehe die Entwicklung positiv und könne keine ernsthaften Nachteile entdecken, die nicht mit mehr Geld, mehr Bildung oder mehr gutem Willen und Flexibilität (exotische Sprachen und Gebräuche kennenlernen, auf die Neuankömmlinge zugehen usw.) kompensiert werden können. Über beide Seiten wird in den Medien berichtet, wobei man manchmal den Eindruck bekommen kann, dass die Chancen gegenüber den Risiken überbetont werden.
Meinungs -Wirklichkeit und Umfrage-Realität klaffen auseinander
Wer meint, daß die 50%, denen sich die geweissagten Segnungen einer satten Zuwanderung erschließen, diese Erkenntnis auch bei der Lektüre von Online-Artikeln zu dem Thema in Kommentare einfließen lassen, liegt falsch. Warum machen user Ewald76 oder Garten_Gabi nicht online deutlich, wie schön sie es finden, dass sie fast täglich in so viele neue Gesichter blicken dürfen, sich Ihnen jetzt so viele neue Bekanntschaften und Biografien eröffnen, sie ihr verstaubtes Englisch endlich am lebenden Subjekt aufpolieren können? Es ergibt sich ein dramatisch anderes Bild, wenn man die Leserkommentare in den großen Zeitungen – sofern diese Foren noch freigeschaltet sind – liest. Die Zahl der Leser, die scharfe Kritik äußern, übersteigt bei weitem die derjenigen, die die Entwicklung begrüßen und das auch erläutern. Liegt das daran, dass sich Volkes Stimme eher klar gegen etwas ausspricht, als dessen so offenbare Vorzüge über den grünen Klee zu loben, getreu dem alten schwäbischen Spruch „ned gschimpft ist globt gnug“? Oder ist der Anteil an Skeptikern eigentlich wesentlich größer, als es uns die ausgewogene Berichterstattung glauben lässt? Vielleicht sind Wutbürger einfach aus Gewohnheit öfter im Netz unterwegs, als deren edelmütige Gegenstücke, wie die Grünen auf ihrer Webseite schmerzlich erfahren müssen: Ist es so, dass sich ein paar Miesmacher mit zuviel Freizeit ständig mit geradezu messianischem Eifer an dem Thema abarbeiten, eine große Gruppe des Lesens Kundiger aus ganz unterschiedlichen Gründen aber nicht widerspricht ?
- Optimisten, die hoffen, dass das zu schaffen sein wird, und, da wir ja nur das Gute wollen, zwangsläufig nur etwas Gutes daraus werden kann.
- Ängstliche, die zwar ahnen, dass die Sache in die Hose geht, aber denken, dass der Kelch schon an ihnen vorübergehen wird, wenn sie sich im Neubauviertel nur ganz klitzeklein und die Augen zu machen.
- Die zu reich oder zu weit weg sind, um sich für das Thema zu interessieren.
- Die, die so vollständig mit Politik und Welt fertig haben, dass sie sich zu gar nichts mehr äussern.
Einschlägige Artikel im Focus und der Welt werden fast immer von kritischen Stimmen begleitet, selten traut sich mal jemand, dort beifällige Kommentare zu Zuwanderungsthemen abzugeben. Ist „Merkelbashing“ etwa mainstream? Rätseln lässt die Stille der Aktivisten aus dem Linken Lager selbst in den rötesten Blättern, die sich ja regelmäßig als die Speerspitze des humanitären Imperativs sehen. Da Links gemeinhin als gut vernetzt gilt, sollte man annehmen, dass besonders die Gruppe derer, die sich eine Veränderung der langweiligen deutschen Kernbevölkerung zu noch mehr Vielfalt, bis hin zur schrankenlosen Aufnahme aller Begehrlichen vorstellen kann, die entsprechenden Artikel in der Presse liest und aufmunternd kommentiert. Aber auch in der sozialdemokratisch gesinnten Presse, beim Vorwärts, der Frankfurter Rundschau oder der Zeit wird mit Foristenbeifall gespart, man hält sich aus den online-Debatten weitgehend heraus.
Das lässt Raum, über abgründigere Gründe zu spekulieren. Gruppen und Politiker aus dem linksalternativgrünen Spektrum (z.B. die Protagonisten von„no-borders“ sind vornedran, wenn es darum geht, nicht nur alle Verfolgten, sondern auch alle Armen, Unterdrückten und Unglücklichen im viel zu reichen und selbstzufriedenen Europa aufzunehmen. Endlich zahlt der Westen für seine Koloniale Vergangenheit (selbst ein veritabler Bundesministerentwicklungshilfeminister macht da mit).
Hintergrund solcher Überlegungen ist nicht nur die Beendigung des Leidens der Dritten (und auch gerne der Zweiten) Welt auf Kosten der „Ersten“, sondern nichts weniger als der Umbau bisher weitgehend homogener nationaler Gesellschaften in die Utopie eines Welten und Kulturen umspannenden Kümmererstaates. Zuwanderung ganz so wie ein grosses Flächenland gestalten zu können, nur viel sozialer, scheint quer durch die etablierte Bank mehrheitsfähig zu sein. Marcel Zhu hat dieser Utopie schon vor Wochen klar bei TE widersprochen.
Auf zum letzten Gefecht
Die Extremisten von Links sehen in der Masse ursprünglich gestrickter und bettelarmer Einwanderer die Katalysatoren, mit denen man die Revolution anzetteln kann, die man der satten Bourgeoisie schon lange angesagt hat. Das, auch wenn man es sich im postokoberrevolutionären Europa kaum vorstellen kann, ist der feuchte Traum vieler dunkelroten Genossen, und man ist bereit, die dafür nötige darbende Masse aus dem Orient oder Afrika zu importieren. Die Duldsamkeit des braven Michel behält man dabei im Blick. Er muckt nicht auf, die Friedhofsstille beim Autowaschen oder Gartenwässern am Samstag ist ihm so heilig, dass er sich nur beschwert, wenn die Asylanten vor dem Fenster im Vorgarten kampieren. Es ist diesen Heizern im Kesselraum des proletarischen Volksaufstands völlig klar, dass der angestrebte Umbau der Bevölkerungsstruktur zu weniger Homogenität nicht ohne Auseinandersetzungen mit der alteingesessenen Bevölkerung ablaufen kann.
So angedeutet von dem Grünen Daniel Cohn-Bendit: “…die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch…“ (Zitat aus Wikiquote). Und wie ein barmherziger Arzt, der dem ängstlichen Patienten weder die wahre Größe der Injektionsnadel noch die Nebenwirkungen der Medizin lange beibringen möchte, hält sich die kämpferische Linke aus der Diskussion vorsichtig heraus und lässt die Leute sich „mal online auskotzen“. Einen klitzekleinen Mitleidsfunken kann, wer will, noch erkennen: Selbst der schwärzeste Block der Antifa spürt die ehrliche Pein, die aus Lieschen Müllers Leserkommentaren herauszuhören ist (auch der Revolutionär hatte oft eine Nachbarsliese, die ihm mal den Rotzlöffel abgewischt oder n‘ Bonbon geschenkt hat) … er spart es sich daher, Liesel online aufzuklären, dass sie, wenn es nach seinen Plänen geht, morgen ein Dinosaurier in ihrem tadellosen Vorgarten sein wird.
Es läuft doch super. Reicht doch, der Bevölkerungsverschiebung ruhig zuzusehen, dem Fiebernden ab und zu ein paar Beruhigungspillen zu verabreichen und ihn still der eigenen Obsoleszenz entgegendämmern zu lassen. Nicht dagegen ankämpfen, still halten, es ist gleich vorbei …
Emil Kohleofen ist freier Publizist.