Tichys Einblick
Christian Lindners Entwurf für den Haushalt

Die Ampel fabuliert von Wachstum – während die Wirtschaft zusammenbricht

Der nächste Haushalt der Ampel beruht darauf, dass die Wirtschaft wieder wächst. So konsequent hat selten eine Bundesregierung die Zeichen ignoriert. Fragt sich, was die Ursache für diesen Realitätsverlust ist.

picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Die amerikanische Wirtschaft hat ihre Wachstumsprognose korrigiert. In Deutschland folgt auf diese Einleitung in den letzten Jahren stets eine schlechte Nachricht. Wieder einmal, heißt es dann, haben sich die Top-Wirtschaftsexperten verfratzschert und jetzt muss die Prognose halt nach unten korrigiert werden. In den USA wächst die Wirtschaft nicht wie gedacht um 1,4 Prozent. Sondern um 2,8 Prozent. Deutschland wartet darauf, dass die Welt seine Energie- und Klimaschutzpolitik kopiert. Derweil verkaufen die USA dieser Welt ihr Frackinggas. Vor allem an Deutschland. Zu horrenden Preisen. Die einen haben Ideale, die anderen eine wachsende Wirtschaft.

Wobei: In Deutschland wächst die Wirtschaft nächstes Jahr um 0,5 Prozent. So steht es zumindest im Haushaltsentwurf der Ampel. Im Vergleich zu den USA sind diese 0,5 Prozent bescheiden. In Bezug auf die Realität sind selbst diese 0,5 Prozent mehr Wunschdenken als Prognose. Anders als Kanzler Olaf Scholz (SPD) meint, reicht es eben nicht, so lange zu behaupten, die Wirtschaft wachse, bis sie es schließlich tut. Die Realität lässt sich durch Schönreden nicht schön machen. Egal, wie viele Generationen linker Konstruktivisten noch das Gegenteil behaupten.

Es reicht ein Blick auf die jüngsten Nachrichten des Statistischen Bundesamtes, um einen realistischen Sinn für die Aussichten zu bekommen: Im Vergleich zum Jahr 2023 ist im Mai der Umsatz im Bauhauptgewerbe um 4,5 Prozent gesunken. Die original Warenausfuhren in Staaten außerhalb der EU sind im Juni im Jahresvergleich um 8,9 Prozent zurückgegangen. Der Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe ist von Mai zu Mai um 5,4 Prozent geschrumpft.

Davor gab es im April 33,5 Prozent mehr Insolvenzen von Unternehmen als im Jahr davor. 27,9 Prozent mehr Insolvenzen von Verbrauchern. Dafür ist der Index zur LKW-Maut um 0,8 Prozent im Jahresvergleich geschrumpft. Das Statistische Bundesamt sagt, dass das ein sicheres Zeichen für die kommende Entwicklung der Wirtschaft ist: Bewegen die LKW weniger Ware und Material, wird weniger verkauft und gebaut. Schon ein Blick auf diese Nachrichten des Statistischen Bundesamtes gibt einem einen klaren Wink, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickelt.

Das Ifo-Institut unterlegt diesen Blick mit wirtschaftlichen Methoden. Die Methode ist anders – das Ergebnis das gleiche. Der Geschäftsklimaindex ist im Juli von 88,6 auf 87,0 Punkte gesunken. Die Unternehmer bezeichnen die Lage als schlecht und rechnen damit, dass sich ihre Geschäfte in die falsche Richtung entwickeln. Die hohen Steuern und Abgaben, die zunehmende Bürokratielast und das Schwinden verfügbarer Arbeitnehmer nennt das Institut als wichtigste Gründe für die schlechte Entwicklung.

Wobei die Zahl der Arbeitnehmer so eine Sache ist. Einerseits bauen Unternehmen Stellen ab. Gerade hat die Deutsche Bahn angekündigt, 30.000 Stellen zu streichen. Die Bahn. Ein Staatskonzern. Kein windiges Unternehmen, dem nur die Gier nach schnellem Profit unterstellt werden kann. Ein Staatskonzern, der obendrein noch ein milliardenschweres Defizit einfährt. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf 2,7 Millionen Betroffene gewachsen, die Zahl der erwerbsfähigen Empfänger von Bürgergeld auf über 4 Millionen. Knapp die Hälfte davon sind Einwanderer. Dazu kommen noch Hunderttausende, die aus der Statistik verschwinden, weil die Agentur für Arbeit sie in Fortbildungsmaßnahmen steckt.

Die Arbeitslosigkeit nimmt also zu in Deutschland. Dabei bleibt immer mehr Arbeit liegen. Praxen und Unternehmen verschwinden, weil die in die Jahre gekommenen Betreiber keine Nachfolger finden. Die Lübecker Nachrichten berichten von einer Flut an Zahnarzt-Praxen, die aus diesem Grund schließen; die Hessenschau von einer Kinderarztpraxis in Horbach; Apotheken-Adhoc.de von einer Apotheke in Niedersachsen; InFranken.de von einem Wirtshaus in Bamberg; die Märkische Allgemeine von einem Wirtshaus in Golzow oder die Sächsische Zeitung von einem Laden in Görlitz. Das sind nur die ersten Ergebnisse einer entsprechenden Google-Suche. Wer Zeit hat, kann sich eine Lebensaufgabe daraus machen, festzustellen, wie viel Arbeit im Land der wachsenden Arbeitslosigkeit liegen bleibt. Über die Erdbeer-Ernte hat TE erst jüngst berichtet.

Aufträge werden weniger, Insolvenzen mehr. Stellen werden gestrichen und die Arbeitslosigkeit wächst. Gleichzeitig schließen Unternehmen, weil sie keine Nachfolger finden. Trotzdem rechnet Finanzminister Christian Lindner (FDP) für nächstes Jahr mit 6 Milliarden Euro Mehreinnahmen, weil die Wirtschaft um 0,5 Prozent wachsen soll. SPD, Grüne und FDP tragen diese Rechnung mit. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Im Szenario eins lügen die Verantwortlichen ganz offen, sind sich ihrer Lüge glasklar bewusst. Das Szenario ist nicht ganz unrealistisch.

Wir schauen aber auf das Szenario zwei: Die Verantwortlichen glauben ihren dahin gefratzscherten Prognosen tatsächlich selbst. Auch das ist nicht auszuschließen. Ihr Umfeld trägt nicht gerade dazu bei, die Realität klar zu erkennen. So berichtet die Tagesschau über die Ifo-Prognose: „Es war eigentlich erwartet worden in diesem Jahr, dass durch die steigenden Einkommen auch mehr Geld ausgegeben wird. Aber die Menschen sparen doch mehr als erwartet.“

Die Menschen sparen mehr als erwartet, obwohl die Einkommen steigen. So sehr können Experten und Journalisten die Realität ausblenden. Als ob sie in einem Lalaland leben würden, in dem die Arbeitnehmer mehr Geld erhalten, das nur ausgeben müssen und schon boomt die Wirtschaft. Als ob es die hohe Steuerlast nicht gebe, als ob Mieten, Strom und Lebensmittel nicht bis zur Unbezahlbarkeit teuer geworden sind. Ein Land, in dem die Regierung ihre Bürger zum Jahreswechsel nicht mit höheren Steuern und Abgaben auf LKW-Fahrten, Restaurants, Flüge Gesundheitsversorgung und sogar Luft belastet hätte. Deren Landwirtschaftsminister jetzt an höheren Steuern auf Essen arbeitet. Als ob die Zahl der Privatinsolvenzen nicht um 27,9 Prozent in einem Jahr gestiegen sei. Aber die sind ja nicht insolvent, die „sparen“ nur erstaunlich viel von ihren höheren Einkommen. Die Experten und Staatsmedien in Deutschland übernehmen allmählich die Kinderbuchvorstellungen von Wirtschaft, die ihr „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) verbreitet.

2,8 Prozent realistisches Wachstum in den USA. 0,5 Prozent Wachstum in Deutschland – und selbst das nur fabuliert. Die Energiepolitik ist ein Grund für das Auseinanderdriften von zwei Konkurrenten, die sich lange auf Augenhöhe bewegt haben. Die Sozialpolitik ist ein anderer Grund. Eine Sozialpolitik, die dafür sorgt, dass sich immer mehr arbeitslos melden, während immer mehr Arbeit liegen bleibt. Und die mehr als ein Drittel der Ausgaben bindet, sodass dieses Geld fehlt, um Straßen und Brücken zu sanieren, Schienen auszubauen oder den Internet-Empfang auf Erstliga-Niveau zu heben. Die Bürokratie und die hohen Steuern (und Abgaben) hat das Ifo-Institut immerhin erkannt und werden sogar durch das Staatsfernsehen eingeräumt.

0,5 Prozent Wachstum. 6 Milliarden mehr Einnahmen. Die erwartet Christian Lindner, das hat er schon fest eingeplant. Mehr Einnahmen durch ein loses Bündel an Vorhaben, für das es kaum Entwürfe gibt, geschweige denn Beschlüsse im Bundestag oder Zustimmung im Bundesrat. Und trotzdem rechnet Lindner die Gewinne schon fest ein. Es ist offen, ob er bewusst lügt oder sich selbst seine eigenen Lügen glaubt. Sicher ist, dass diese Regierung nicht in der Lage ist, die Realität richtig einzuschätzen – oder sie gar zum Besseren hin zu beeinflussen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen