Tichys Einblick
Die Transformation von Wahrheit

Die Affäre Faeser wird zum Kampf um die Deutungshoheit in Deutschland

In der Debatte um den Gastartikel von Innenministerin Faeser in einer linksextremen Postille zeigt sich, wie es mit Deutschland weitergeht. Enden wir in einer mit linksextremen Narrativen gefütterten Tyrannei der Medienmehrheit, oder setzen sich Fakten durch?

IMAGO / photothek

Die „Affäre Faeser“ hat sich innerhalb einer Woche zu einem Orkan gewandelt. Dass die Innenministerin vor einem Jahr für die antifa geschrieben hatte, ist keine Randnotiz mehr. Das Blatt gehört der vom Verfassungsschutz beobachteten, linksextremen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Dass dieser Skandal immer größer wird, ist allerdings nicht so sehr auf das alternative Medienmilieu zurückzuführen, als vielmehr auf den beinahe hysterischen Umgang der etablierten Medien und der Vertreter der Regierungsparteien damit. Aus einem Delikt, das man mit Schuldeingeständnis und einem Appell gegen Linksextremismus – ob glaubwürdig oder nicht – hätte abwürgen können, formte insbesondere die Innenministerin selbst eine Staatsaffäre durch einen herrischen wie uneinsichtigen Tweet.

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Nicht nur Parteikollegen sprangen Faeser zur Seite, die versuchten, eine vom Verfassungsschutz beobachtete, die freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellende Vereinigung entweder als harmlos oder gar verdienstvoll darzustellen. Nach allen staatlichen wie wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das zwar nicht der Fall. Dennoch hält das SPD-Politiker nicht davon ab, der Union Stimmungsmache vorzuwerfen, auf alten Kamellen wie Hans-Georg Maaßen herumzureiten, jedes Vergehen mit Antifaschismus entschuldigen zu wollen, sowie die gesamte Vergangenheit und Vernetzung des VVN zu unterschlagen. Jüngst hat sich sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk eingeschaltet. Um zu verstehen, was die „Affäre Faeser“ mittlerweile ist – nämlich die entscheidende Frage, ob wir in einer von linksextremen Narrativen beherrschten postfaktischen Republik leben wollen, oder eben nicht –, muss man das Paradestück sezieren, dass der Bayerische Rundfunk zur Causa abgeliefert hat.
Strategie #1: Auslassungen, Tatsachenbehauptungen, Desinformation

Das Traktat, mit welcher die Ehre der Nancy F. gerettet werden soll, ist eine journalistische Glanzleistung – wenn man das Fehlen jeglicher Standards zugunsten des neuen Haltungsgestus nach der Definition von Anja Reschke als Maßstab anlegt. Autor Hardy Funk schreckt nicht davor zurück, jene Klischees zu bedienen, die man ansonsten genau jenen Medien andichtet, die man zu gerne als Fake News darstellt. Man muss das ganze Meisterwerk gelesen haben, dessen Dreisatz aus Drohung, Diffamierung und Desinformation in späteren Geschichtsbüchern einen Eintrag verdient hätte – als Beispiel für den Tiefpunkt des deutschen Journalismus in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts.

Begnügen wir uns mit den Rosinen. Schon der Titel beinhaltet alles, was man wissen muss: Der Skandal ist „inszeniert“, das Problem sind die Angreifer, nicht Faeser selbst. Das Narrativ der Innenministerin – „durchschaubare Vorwürfe“ – wird anstandslos übernommen. Aber was ist durchschaubar, was inszeniert? Die Junge Freiheit hat den Artikel von Faeser nicht erfunden. Also konstruiert der Artikel das Narrativ, die VVN sei ein Unschuldslamm. Was geschieht, ist eine Irreführung des Lesers durch Aussparungen. Es werden honorige Namen genannt, die bei der Gründung der VVN dabei waren. Durch ihr Engagement habe sie ihre Makel reingewaschen. Machiavellismus par excellence: egal welche Schattenseiten dieser Verein auch immer haben mag, der „Kampf gegen Rechts“ heiligt die Mittel. „Verdienstvolles Eintreten gegen Faschismus“ heißt es da. Der Knüller: „Statt Verfassungsfeindlichkeit und Linksextremismus muss man der VVN-BdA vielmehr ein Eintreten für friedliches Zusammenleben und den Erhalt der Demokratie attestieren.“

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So einen Artikel kann nur jemand schreiben, der von seiner Gatekeeper-Funktion wie von der Blödheit seiner Leser gleichermaßen überzeugt ist. Es ist die Verachtung eines Haltungsjournalisten, der glaubt, dass ein Internetuser, der einen BR-Artikel liest, nicht in der Lage ist, innerhalb von 5 Sekunden Google anzuwerfen, um zu sehen, wie er hier verschaukelt wird. Dass bereits 1948 die VVN so von Kommunisten und Demokratiefeinden durchdrungen war, dass die bedeutenden Namensschilder sich vom Verein abwenden – unterschlagen. Dass die SPD deswegen schon 1948 einen Unvereinbarkeitsbeschluss fällte – ausgespart. Dass der ganze Laden eine DKP-Veranstaltung ist, jahrelang von der DDR finanziert – kaum der Rede wert. Die beste Passage soll hier in Gänze zitiert werden:

Tatsächlich ist die VVN-BdA weder eine linksextreme Bedrohung, noch verfassungsfeindlich – ganz im Gegenteil. Das mag der Bayerische Verfassungsschutz – nicht gerade dafür bekannt, auf dem rechten Auge besonders sehstark zu sein, dafür sehr aufmerksam bei allen linken Aktivitäten – anders sehen. Bleibt aber trotzdem exakt so unwahr. Das hat selbst das Berliner Finanzamt erkannt, das der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit erst ab-, dann aber wieder zuerkannte, weil sie die Einschätzung des Bayerischen Verfassungsschutzes schließlich als widerlegt ansah.

Überwiegt hier Dreistigkeit oder Leserverachtung? Funk geht in die Vollen: Er suggeriert mangelnde Neutralität des Bayerischen Verfassungsschutzes – eigentlich ein Narrativ, das gerade jenen Extremisten unterstellt wird, gegen die man vorgibt anzugehen –, um dessen Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Die Behauptung, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Berliner Finanzamtes (!) würde belegen, dass die VVN weder linksextrem noch verfassungsfeindlich sei, ist der Gipfel der Lächerlichkeit. Seit wann sind Berliner Finanzämter dafür zuständig, die Verfassungsfeindlichkeit einer Organisation zu bestimmen? Und wieso ist der Verfassungsschutz in Bayern „rechts“? Kann es nicht sein – dass das Berliner Amt „links“ ist? Gehen Beschuldigungen nur in eine Richtung? Mit welcher Begründung?

Zur Erinnerung: Nicht nur Bayern beobachtet die VVN. Der bayerische Verfassungsschutz ist nur der einzige, der sie noch im Jahresbericht erwähnt. Der Hamburger Verfassungsschutz hat 2015 nach einer Anfrage der AfD den Fragestellern eröffnet, dass diese noch beobachtet werde. Zitat:

Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) wurde seit 1950 vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg beobachtet. 1971 fusionierten VVN und „Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V.“ (BdA) zur Organisation VVN-BdA, die seitdem auch vom LfV beobachtet wird. (…) Gemäß § 4 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG) beobachtet das LfV Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Die VVN-BdA, in der Extremisten und Nicht-Extremisten zusammenarbeiten, ist eine Organisation, die insbesondere auf Funktionärsebene unter orthodox-kommunistischem Einfluss steht.

Der hessische Verfassungsschutz bewertete sie noch im Jahr 2020 als „linksextremistisch beeinflusst“, was ebenfalls durch eine Anfrage bekannt wurde – und zwar von Faesers SPD-Fraktion. Faeser hat also rund ein Jahr vor der Veröffentlichung ihres Gastartikels bei antifa in ihrem eigenen Heimatland schwarz auf weiß bekommen, um wen es sich bei der VVN handelt. Wieder Zitat:

Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) gilt als eine der ältesten Organisationen im Themenfeld des Antifaschismus und wird vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen als linksextremistisch beeinflusst bewertet. Für den bayerischen Landesverband der VVN-BdA wurde diese Einschätzung auch durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 07.02.2018 (Az. 10 ZB 15.795) bestätigt.

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Am Mittwoch hat die FAZ überdies das bestätigt, was Sie auf TE bereits am Dienstag erfahren durften: nämlich, dass auch Faesers eigene Behörde, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), eine ganz ähnliche Auffassung teilt. Die VVN wird vom BfV seit 2005 nicht mehr in den Jahresberichten erwähnt, was aber kein Anhaltspunkt für deren Status ist. „Der jährlich erscheinende Bericht informiert nicht über alle Beobachtungsobjekte, nur über die besonders relevanten. Nach wie vor stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz die Vereinigung als linksextremistisch beeinflusst ein“, schreibt die FAZ. Dazu noch ein Zitat aus einer Bundestagsanfrage von 2020, in dem das Bundesinnenministerium gegenüber der Linkspartei bestätigt, warum die VVN vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird:

Der Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 235 f.) qualifiziert die VVN-BdA als linksextremistisch beeinflusste Organisation, bezieht sich also auf Bestrebungen im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG. Der Bericht stellt dabei wesentlich die Kooperation mit der DKP heraus und verweist auf die verwaltungsgerichtliche Aussage, wonach ein maßgeblicher Einfluss von Linksextremisten bestehe.

Um es klar zu sagen: Wer den Zusammenhang zwischen VVN und DKP leugnet, handelt journalistisch nicht nur grob fahrlässig, sondern manipulativ. Rundfunkgebühren für politische Agitation sind zwar kein Novum in Deutschland, aber man würde doch wenigstens etwas Niveau verlangen, wenn man schon betrogen wird.

Doch selbst das ist dem BR nicht genug. Der Ball wird zurückgeworfen. Eine offene Drohung donnert BILD und Union entgegen: Ihr macht euch mit alternativen Medien gemein! Die Gefahr geht nicht von einer Innenministerin aus, die auf dem linken Auge blind ist, sondern von der Jungen Freiheit, die es wagte, die Dreckwäsche ans Tageslicht zu ziehen. Man muss diese diabolische Verdrehung ganz offen benennen: Die verfassungsfeindliche und beobachtete antifa wird in Schutz genommen, die JF, die mehrere Verfahren gegen ihre Beobachtung und Diffamierung als rechtsextrem gewonnen hat, dagegen als wahres Übel dargestellt. „Will man den Diskurs in Deutschland wirklich auf diese Weise vergiften – und das Risiko eingehen, die Demokratie so weiter zu untergraben?“ Den Vorwurf kann man getrost in die andere Richtung schleudern. Er trifft nicht.

Strategie #2: Falsche Vergleiche, falsche Unterstellungen, „Whataboutism“

Der BR-Beitrag steht symptomatisch für das, was derzeit in der Faeser-Debatte passiert. Alle Register werden gezogen. Die linke Meinungsmache walzt in ihrer Zerstörungswut alles nieder. Wenn sie ihre kulturelle Hegemonie bedroht sieht, dann gilt nur noch Freund und Feind im Sinne Carl Schmitts. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Versuch, die FAZ zu diskreditieren, nachdem sie am Dienstag über die Bewertung der VVN durch den Verfassungsschutz berichtet hatte. Das allein reichte, um sie zum Ziel zu machen. Falsche Vergleiche, falsche Vorwürfe, falsche Tatsachenbehauptungen waren das Mittel, um einen einzelnen Journalisten diskreditieren zu wollen, der gar nicht an der Abfassung des Artikels beteiligt war, aber dennoch dafür herhalten sollte, um den Bericht zu disqualifizieren.

Ein Tweet, dessen Inhalt Hunderte Male geteilt und tausendfach geherzt wurde und dessen Unterstellungen im Internet repliziert wurden. Der FAZ-Redakteur Philip Plickert habe 2003 in der Sezession, dem Magazin des Instituts für Staatspolitik, geschrieben. Dieses werde als „erwiesen rechtsextrem“ vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Anklage ist klar: Plickert hat für Götz Kubitschek geschrieben, das ist deutlich schlimmer als Faesers Text im antifa-Blatt, und jetzt kommt die FAZ daher und wirft im Glashaus mit Steinen. Abgerundet wird das mit einem Zeit-Artikel als Beleg der VS-Beobachtung. Die Nachricht ist in der Welt, das Gerücht verbreitet sich.

Verfassungsfeindliches Medium?
Volker Beck trat wie Nancy Faeser bei Linksextremen auf
Auch hieran zeigt sich das Niveau und die Unversöhnlichkeit des Diskurses, der längst zum Angriff auf alle geworden ist, die die VVN und ihre Unterstützer nicht als die „ehrenwerte Gesellschaft“ ansehen, als die sie sich ausgibt. Erstens zieht der Vergleich schon deswegen nicht, weil kein FAZ-Redakteur als möglicher Dienstherr des BfV im Verdacht steht, befangen zu sein und damit ein Risiko für die ideologische Neutralität des Rechtsstaates darstellt. Zweitens geht bereits aus dem Zeit-Artikel hervor, dass das Institut für Staatspolitik seit 2019 als „erwiesen rechtsextrem“ gilt. Plickert wird also vorgeworfen, sich 2003 nicht bereits 16 Jahre im Voraus distanziert zu haben. Doch nicht nur deswegen ist der Vorwurf absurd. Während Plickert 2003 nicht anderthalb Jahrzehnte in die Zukunft schauen konnte, war es bei Faeser genau umgekehrt: Die VVN wird seit der Nachkriegszeit beobachtet, und sie bekam nochmals ein Jahr vor ihrem Gastartikel von der Regierung bestätigt, dass sich an der linksextremen Einstufung nichts geändert hatte.
Strategie #3: Strohmänner, Zweck-heiligt-Mittel-Moral, Unangreifbarkeit des Antifaschismus

Solche Offensichtlichkeiten stören die Meinungskämpfer aber nicht in ihrem edlen Heiligen Krieg zur Reinwaschung der Innenministerin. Neben dem BR hat auch funk als „Jugendangebot“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich in die Debatte eingeschaltet. Die Argumentation ist so infantil wie ideologisch schlagseitig. Die Diskussion wird so abgebildet, als störten sich die Kritiker am Antifaschismus Faesers. „Antifaschismus ist gegen Faschismus. Das ist nicht extrem, sondern normal“, lautet die Botschaft. Diese Diskussion hat mehrere Ebenen, wird aber verflacht, um die Gegner Faesers als vermeintliche Nazi-Sympathisanten darzustellen. Der offensichtliche Strohmann: Niemand hat Faeser ihren Antifaschismus vorgeworfen, sondern ihre Kooperation mit einer offen linksextremen Vereinigung, die jene Grundordnung infrage stellt, die sie als Innenministerin schützen soll. Statt sich zu distanzieren, hat sie ihren Fehler dagegen als richtig dargestellt.

Andererseits sollte man die ganze Debatte nicht zum Anlass nehmen, „Antifaschismus“ per se als gut einzustufen. Erstens kann eine noch so vornehme Haltung nicht persönliche Fehler wettmachen. Zweitens ist auch der Begriff „Antifaschismus“ historisch vorbelastet und war zumindest im deutschen Sprachraum immer ein Kampfbegriff der Linken. Zu diesem Verständnis ein Zitat des Historikers Anson Gilbert Rabinbach, der diesen Komplex so aufschlüsselt:

„Der offizielle Antifaschismus war nichts anderes als der Kult um ein von staatlich sanktionierter Nostalgie und Legitimationsversuchen durchdrungenes Geschichtsbild. Dieser Kult gipfelte metaphorisch und realpolitisch in der 1961 errichteten Berliner Mauer, die gar als ‘antifaschistischer Schutzwall’ bezeichnet wurde. Die institutionalisierte Erinnerung an den Antifaschismus marginalisierte den Massenmord an den Juden, weil dieser Massenmord ein Topos war, der die Sphäre des ‘ewigen Kampfes’ zwischen Kommunismus und Faschismus überstieg und daher die offizielle Meistererzählung zu destabilisieren drohte. Die Bemühungen wohlmeinender Wissenschaftler und Intellektueller nach 1989, das ‘authentische’ antifaschistische Vermächtnis oder ‘Lebensgefühl’ von den offiziellen Ritualen staatlicher Erinnerungspolitik zu scheiden, konnte retrospektiv nicht voneinander trennen, was zuvor untrennbar miteinander verbunden gewesen war. Dies ist wahrscheinlich eine bittere Erkenntnis für die Anhänger eines Antifaschismus breiten Zuschnitts: Obwohl bei weitem nicht alle Antifaschisten in den Kommunismus und seine Verbrechen verwickelt waren, kann der Antifaschismus als Ideologie und staatlich sanktionierte Erinnerung nie völlig getrennt von diesem Erbe betrachtet werden.”

Strategie #4: Unschuld durch Assoziation

Ein letztes Argument der Anhänger der VVN-Harmlosigkeit und der Faeser-Unschuld: das Bekenntnis, ebenfalls mit der VVN zusammengearbeitet zu haben. Man glaubt als moralische Person so hochstehend zu sein, dass man Anschuldigungen gegen eine Organisation aufhebt. Volker Beck (Grüne) hat es getan, jüngst auch Helge Lindh (SPD). Beck gab an, Grußworte an die VVN geschickt und Vorträge gehalten zu haben, Lindh twitterte stolz seine Teilnahme an einer VVN-Demonstration.

Es ist die paradoxeste Form der Apologie. Eine NPD-Demo wird nicht dadurch weniger rechtsextrem, weil ein Konservativer daran teilnimmt, und dann behauptet, durch seine Teilnahme sei doch bewiesen, dass die NPD nicht rechtsextrem sein könne – vielmehr wird man attestieren, dass er selbst vermutlich rechtsextrem sei. Lindh und Beck kommt eine solche Analogie gar nicht in den Sinn. Gefangen in der Vorstellung, ihre Weltsicht stünde über der Ansicht von Behörden und Rechts- bzw. Politikwissenschaftlern, glauben sie, die VVN reinwaschen zu können und entlarven sich dabei selbst als Handlanger einer Organisation, die damit tief in Richtung Mitte vorstoßen darf. Die Spitze dieser Verwirrung ist SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur, die aus Solidarität öffentlich auf Twitter ihren Mitgliedsantrag bei der VVN teilt.

Allein dieser Fall zeigt, welche Qualität der Fall Faeser mittlerweile angenommen hat. Aus einer Petitesse, die man in zwei Tagen hätte abhandeln können, strickt das linke Milieu einen totalen Krieg gegen jeden, der ihr Narrativ nicht übernehmen will. Vom ÖRR über Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau, hin zu Politikern der SPD, Grünen und auch FDP formiert sich eine Front, in welcher der Wille zum unbedingten Sieg genauso ausgeprägt ist wie der Unwille, andere Sichtweisen zuzulassen – selbst, wenn diese durch Fakten, Behördenpapiere und Gutachten von Wissenschaftlern untermauert sind. Diese Ampel erlebt damit eine neue Transformation: die Transformation von Wahrheit. Der „Kampf gegen Rechts“ ermöglicht das Unmögliche.

Es ist diese Form der Agitation, vor der Rechts- und Politikwissenschaftler sowie Historiker seit Jahrzehnten warnen. Wer sich selbst jeder Kritik enthebt, weil er bekennender Antifaschist ist, hält jede Tat für entschuldbar. Eine solche Hoheit zu verlangen, ist gerade an der Schaltstelle des Innenministeriums nicht nur dünkelhaft, sondern brandgefährlich. Das ist keine Frage von Moral oder Distanz. Es ist eine Frage von Macht und Herrschaft: Darf jemand an den Steuerhebeln der Gewalt sitzen, der Linksextremismus für salonfähig hält und zugleich Dienstherr des Verfassungsschutzes ist? Die Vehemenz, mit der Faeser sich wehrt, erweckt den Eindruck, dass sie kein Fehlverhalten erkennen kann und damit Linksextremismus als Kavaliersdelikt betrachtet, solange er mit klanghaftem Namen, Geschenkpapier und roter Schleife eingepackt ist.

Artikel in "antifa"-Zeitschrift
Innenministerin Nancy Faeser: Flirt mit dem linksextremen Rand
Wenn Medien und Politik nunmehr einen totalen Kampf ausfechten, weil es offenbar nicht mehr um Fehlerbenennung, sondern um die grundsätzliche Verteilung von Deutungshoheit in der „Faeser-Affäre“ geht, dann eskalieren sie den Gegenstand. Ging es vor einer Woche noch um einen Artikel, stellt sich nun insgesamt das Verhältnis der neuen Regierung zum Linksextremismus und dessen Vernetzung zu Schaltstellen innerhalb der SPD. Wir reden nicht mehr darüber, ob Faeser sich gegen den Linskextremismus zu bekennen und einen Fehler einzuräumen hat, sondern darüber, ob derlei noch thematisiert werden darf oder jedes Unterfangen, dass solche Missstände aufdeckt, bereits unter dem Verdacht einer „Kampagne“ oder eines „inszenierten Skandals“ läuft, nur, um sich unangenehme Fakten vom Leib zu halten.

Es geht um die Frage, wie postfaktisch wir diese Republik noch gestalten wollen. Diese grundsätzliche Frage ist daher nunmehr eine um den Verbleib Faesers in ihrem Amt. Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Klaus Schroeder von der FU Berlin hat offen den Rücktritt der Innenministerin in einem Interview mit Cicero gefordert. Man kann sich dem nur anschließen, um die Durchdringung mit dem irrlichternden Geist, der diese Republik vielfach erfasst hat, wenigstens etwas aufzuhalten.

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