Das Neun-Euro-Ticket war die einzige Erfolgsgeschichte der Ampel. Nie zuvor und nie danach waren SPD, Grüne und FDP so nah zusammen wie im Sommer 2022, als sich neue Bahnkunden auf den Weg nach Sylt oder Rügen machten. Doch es war eben eine Erfolgsgeschichte der Ampel: Der Niedergang war schon in ihr angelegt, auch und gerade weil die Regierungsvertreter zu arrogant waren, um auf die Argumente der Mahner einzugehen. Keine drei Jahre später haben die auf voller Linie Recht behalten.
Das erste Ziel des „Deutschlandtickets“ war es, neue Kunden für den öffentlichen Verkehr zu erschließen. Dieser Versuch ist gescheitert. 9,8 Milliarden Fahrgäste waren im vergangenen Jahr mit Bus und Bahn unterwegs, wie der Dachverband der Verkehrsbetriebe, der VDV, meldet. Das sind immer noch 600 Millionen Nutzer weniger als im Vorjahr der Pandemie, also im Jahr 2019.
Das „Deutschlandticket“ ist vor allem attraktiv für Bestandskunden im städtischen Raum. Sie zahlten und zahlen erst mit 9, dann 49 und nun 58 Euro weniger als vorher für ihre alten Monatskarten, können aber zumindest in der Theorie das Ticket auch außerhalb des eigenen Lebensraums benutzen. Im ländlichen Raum war das Angebot indes nur selten ein Grund, das eigene Auto stehen zu lassen. 15 Millionen Abonnenten wollten die Verkehrsbetriebe erreichen, bei 13,5 Millionen Abonnenten stagniert das 58-Euro-Ticket. Im Januar erlebte die Branche laut VDV eine Kündigungsquote von 8,1 Prozent.
Ein weiterer Grund für die zu erwartende Stagnation: Die Ampel verfehlt mit dem „Deutschlandticket“ auch das zweite Ziel, den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen. Im Gegenteil. Der droht nach drei Jahren Grüne, FDP und SPD zu verkümmern. Zwar lässt es sich als gute Nachricht verkaufen, dass städtische Bestandskunden niedrigere Preise zahlen müssen als bisher. Doch Mathematik ist eine harte Lehrerin: Das Geld fehlt halt an anderer Stelle.
Die Verkehrsbetriebe haben 2023 andere Preise künstlich verteuert, um die Bestandskunden ins „Deutschlandticket“ zu drängen und dieses zum politischen Erfolg zu machen. Doch das hat zu einem Einbruch der Einnahmen in diesen Bereichen geführt. Um 3,2 Milliarden Euro sind die Einnahmen von 2023 auf 2024 an anderen Stellen zurückgegangen, wie der VDV meldet. Noch hält die Finanzierung der Betriebe. Sie profitieren vom politischen Versagen des Ministers Volker Wissing, der das Ticket 2023 nur mit Verspätung an den Start brachte. Durch die Verspätung ersparte er dem Bund das Geld, das die Verkehrsbetriebe nun mit dem „Deutschlandticket“ nachträglich verbraten.
Wenn diese Restposten weg sind, klafft eine Lücke. Bund und Länder geben den Verkehrsbetrieben 3 Milliarden Euro im Jahr für das „Deutschlandticket“. Mindestens eine halbe Milliarde zu wenig, wie der VDV moniert. Noch eine Preiserhöhung sei aber nicht drin, weil dann die Kunden endgültig abspringen würden. Stattdessen droht der Branchenverband mit einer (weiteren) Verödung des Angebots: „Erhebliche Einsparungen und drohende Abbestellungen von Verkehren gehören inzwischen zum Alltagsgeschäft in unseren Unternehmen.“
Der Verfall des öffentlichen Nahverkehrs lässt sich nicht verbergen. In den Bahnhöfen der Deutschen Bahn wird er am besten sichtbar. Die amerikanische Organisation „Consumer Choice Center“ hat europäische Bahnhöfe bewertet. Das Ergebnis des Vergleichs: Auf den vorderen Plätzen liegen Zürich, Bern, Paris, Rom, Wien oder Utrecht. Willst du die deutschen Bahnhöfe vorne sehen, musst du die Tabelle drehen: Der Bremer Hauptbahnhof, der Bahnhof Zoologischer Garten in Berlin, ebenso wie das Ostkreuz in Berlin, belegen die hinteren Plätze. Nur noch im Vorhalten versiffter und heruntergekommener Infrastruktur gewinnt Deutschland internationale Vergleiche.
Doch die Deutsche Bahn ist ein stolzes Unternehmen. Ja, mögen sich deutsche Bahner denken: Unsere Bahnhöfe sehen vielleicht aus wie der letzte Rotz. Aber das Angebot, das wir dort vorhalten, ist noch viel, viel mieser: Nur 62,5 Prozent der Fernzüge fahren pünktlich. Also das heißt, sie halten die Verspätungen in einem gewissen Rahmen. Vor 20 Jahren lag die Quote noch bei 84,3 Prozent. Tendenz: weiter fallend. Ein Sprecher der Bahn führt diese Verspätungen auf eine überlastete und veraltete Infrastruktur zurück. Das Geld für die Sanierung – da schließt sich der Kreis – fehlt auch wegen des „Deutschlandtickets“.
Mit diesem verfolgte die Ampel noch ein drittes Ziel, an dem SPD, Grüne und FDP gescheitert sind: Das Ticket sollte den deutschen Tarifdschungel radikal durchforsten. Und in der Tat. Für Touristen war es ein Gewinn: Sie konnten das Ticket am Automaten ziehen und losfahren. Das war für deutsche Verhältnisse erfreulich einfach. Im Sommer 2022. Mittlerweile hat Wissing ein kompliziertes bürokratisches Verfahren erdacht, das dem Verkauf vorgeschaltet ist. Wer jetzt als Tourist mit dem „Deutschlandticket“ durchs Land will, muss sich erst der Qual dieses Antragsverfahrens unterziehen – auf seine Weise auch eine deutsche Sehenswürdigkeit.