Eine unerreichte Weisheit aus Asterix lautet: „Ich habe nichts gegen Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier“. Genauso verhält es sich mit der Meinungsfreiheit. Jeder mag sie, jeder ist für offenere Debatten, zivilisierten Austausch und das Akzeptieren und Respektieren anderer Meinungen. Es sei denn eben bei dieser oder jener Meinung, die ist nämlich anders als meine.
So liest sich auch der jüngste Kommentar von Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, in der FAZ. Er bemängelt, wie schwer es doch die Meinung in Deutschland habe. „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein demokratisches Bürgerrecht, sie ist aber über das Recht des Einzelnen hinaus auch die unabdingbare Voraussetzung für demokratische Willensbildungsprozesse.“ heißt es da. Was jetzt noch nach gut gemeinter Sonntagsrede klingt, wird schnell ganz konkret. Raue gibt dem Leser drei Vorschläge, wie man der Meinung im politischen Diskurs wieder zu ihrem Recht verhelfen können. Erster Vorschlag: „Wir verständigen uns über das, was als öffentlich geäußerte Meinung verboten ist“.
Schnell ist der Wechsel zurück ins Blaue vollzogen: „Wir sollten versuchen, den Meinungen auf den Grund zu gehen und sie zu verstehen, ohne sie gleich teilen zu müssen.“ Und natürlich bräuchten wir mehr Austausch und müssen zwischen den Meinungen aufeinander Bezug nehmen. Aber merke: Nur der, der täglich – neben anderen – „Tagesthemen“ und „heute journal“ sieht und die Presseschau beim Deutschlandfunk hört, vereine diesen notwendigen Diskurs in seinem Kopf.
Klar. Mindestens eigentlich. Man muss eigentlich auch Monitor, Panorama und Kontraste schauen, um ausgewogen informiert zu sein. Und den Spiegel lesen.
Dann geht er mit schlechtem Beispiel voran
Raue greift auch ganz konkret Menschen an – gut, er teilt in beide Richtungen aus, das wäre korrekt. Allein: Er beginnt den Satz bezogen auf die Schlechtigkeiten von „Sarrazin, Pegida und die AfD“ mit „auf der einen Seite“. Die sprachlich nun eigentlich zwingend notwendige Wortgruppe „auf der anderen Seite“ folgt leider nicht. Stattdessen zeigt er dem Leser live und in Farbe, wie es geht, „Eine Meinungsäußerung in ihrer Beweisführung ‚nachzudenken‘, ihre Begründungen zu prüfen“ (so gehe nämlich freier und sachorientierter Diskurs): Über Sarrazin, Pegida und die AfD seien „Bekenntnisse und Meinungen in die Öffentlichkeit gekommen, die überlebt schienen. Rassismus, Revanchismus, Antisemitismus, Hass, Aggression, ganz viele Ausrufezeichen und alles in fetten Lettern.“ Im Sinne von Einheit von Inhalt und Form hätte dieser Satz von Raue eigentlich mit vielen Ausrufezeichen versehen und in fetten Lettern gedruckt werden müssen. Hier hat die FAZ-Schlussredaktion leider gepennt, schade!
Thilo Sarrazin hat nun in einem Leserbrief darauf geantwortet. „Auf den rund 2800 Seiten meiner seit 2010 veröffentlichten 6 Bücher findet sich kein einziger Satz, der zu solchen pejorativen Zuschreibenden Anlass geben könnte. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurden bisher auch noch kein einziges der in meinen Büchern genannten Fakten, keine einzige der dort genannten Zahlen widerlegt.“ Er bekräftigt, dass er – was ihm vorgeworfen wird – sich nie vor einer Diskussion scheut. Seit 2014 werde er „zu Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr eingeladen.“ Auch Sarrazins Text ist selbstentlarvend. Denn er sagt nicht, was er ist, er zeigt es: Auf übelste Polemik reagiert er mit Fakten, kühl, fast freundlich, nüchtern. So wie seine Bücher: fair und ohne ideologisches, gefühlsmäßiges Abdriften.
Also: Thilo Sarrazin, über den allgemein bekannt ist, dass er aufgrund von Denunziationen dieser Art immer wieder unter Polizeischutz stehen muss, in dieser ehrverletzenden Weise anzugehen, ist unmöglich. Noch dazu als Intendant einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, der qua Zwangsgeldern bezahltem Posten Relevanz und Renommee genießt, noch dazu in der ursprünglich mal liberalen FAZ, noch dazu in einem Beitrag, in dem er wohlfeil über Debattenkultur philosophiert. Einen Sozialdemokraten zum Rechtsradikalen zu erklären, nur weil der es gewagt hat, Positionen, die Helmut Schmidt im Wesentlichen auch vertreten hat, auch heute noch zu vertreten – das ist eine Bankrotterklärung des Denkens.
Ein subjektiver, aber deshalb noch lange nicht falscher Vorschlag für fairen, faktenbasierten Diskurs wäre: Machen Sie Ihr immer weniger gehörtes Deutschlandradio, machen Sie Ihre FAZ, aber bitte diskutieren Sie mit Herrn Sarrazin oder wenigstens über ihn, tun Sie das, was Sie in Ihren Kommentaren fordern. Er hat ein neues Buch geschrieben, anstatt es totzuschweigen und dann zu denunzieren – lesen Sie es.