Tichys Einblick
Auf dem Weg in die Schulden-Union:

Deutschland zwischen Skylla und Charybdis

Die Euro-Bonds kommen: Deutschland spielt wieder den Zahlmeister für den Club Med. Am Anfang waren es Corona-Bonds, nun sind es Verteidigungs-Bonds und in Zukunft werden es Wirtschafts-Bonds sein. Der Weg in die Schuldenunion hat unumkehrbar begonnen.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Felice De Martino

Zuweilen ist Politik banal und vorhersehbar. Man hätte also darauf warten können. Kaum hatte Olaf Scholz durchblicken lassen, dass er mit Emmanuel Macron für die Durchsetzung der Kapitalmarktunion eintritt, eine Ankündigung, die auch als Wahlkampfhilfe für Macron gedacht war, kaum hatte Giorgia Meloni sich in Brüssel engagiert und sich von Ursula von der Leyen hofieren lassen, kaum ist durchgeboxt worden, dass Ursula von der Leyen zum großen Schaden Deutschlands weiter Kommissionspräsidentin bleibt, werden die Wünsche hochverschuldeter Südländer wie Italiens und Spaniens nach gemeinsamer Schuldenaufnahme unter dem Namen Euro-Bonds wieder sehr laut.

Dass Giorgia Meloni sich vornehm zurückhält, wo doch Italien den größten Anteil aus dem Programm Next Generation Europe bekommt, war nicht zu erwarten. Genug ist eben nie genug. Mit Mario Draghis Antritt als Chef der EZB wurde die Finanzierung Italiens EU-Angelegenheit. 191,48 Milliarden Euro bekommt Italien als Spitzenreiter unter den Empfängern von der EU im Rahmen des Programms Next Generation Europe überwiesen, davon sind 70 Milliarden Euro nicht rückzahlbare Hilfen, also ein Geschenk, für das Deutschland weit mehr als das Geschenkband im wahrsten Sinne des Wortes beisteuert. Die Zuwendungen entsprechen ca. 10,79 % des BiP Italiens. Deutschland erhält aus dem Fonds stolze 26,36 Milliarden Euro, also 0,73 % des BiP. Ein nicht geringer Teil des Programms wird schuldenfinanziert und am Ende zahlt der die Schulden zurück, der noch zahlen kann. Das Ende der Party wird erreicht sein, wenn Deutschland das AAA+ verloren hat. Noch ist die Einstufung für alle Beteiligten vorteilhaft.

Als das Programm aufgelegt wurde, hatte man mit Blick auf die Corona-„Pandemie“ argumentiert, dass diese „Wiederaufbaubonds“ eine einmalige Angelegenheit seien. Doch, dass Brüssel die stilistischen Mittel von Lug und Trug nutzt, ist nicht erst seit Junckers vielsagenden Einlassungen bekannt. Es genügt, sich zu erinnern, dass die Deutschen sich deshalb überzeugen ließen, sich von der D-Mark zu trennen, weil man die no bail out Regel mit einem heiligen Schwur besichert hatte, nämlich mit dem Versprechen, dass kein Staat für die Schulden eines anderen Staates jemals haften oder eintreten würde. Im Rahmen der Griechenlandrettung löste sich dieser heilige Eid plötzlich in Luft auf.

Am 16. September 2012 brach Angela Merkel der Bundesbank das Rückgrat und verriet die deutschen Interessen. Bereits am 26. Juli 2012 hatte Mario Draghi in London die Sturmrede zur Schleifung deutscher Interessen gehalten, als er sagte: „Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Schäuble und Merkel hatten gegen die Interessen ihres Landes Draghi signalisiert, dass sie ihn in der versteckten Staatsfinanzierung im Rahmen des OMT-Programmes (Outright-Monetary-Transaction-Programm) unterstützen werden. Damit war der Rechtsbruch institutionalisiert und am 16. September 2012 wurde er von Merkel kanonisiert: „Die deutsche Regierung hat klargestellt, dass Sorgen um die Währungsstabilität die jüngsten Entscheidungen der EZB rechtfertigen.“ Brunnenmeier, James und Landau resümieren kurz und zutreffend in ihrem Buch über den Euro: „Berlin hatte mit der Bundebank gebrochen und Draghi die Rückendeckung gegeben, die er brauchte.“

Von dem Tag an befand sich die Bundesregierung auf der schiefen Ebene des Verrats deutscher Interessen. Alles, was Jens Weidmann, dem Präsidenten der Bundesbank übrigblieb, war, als Reaktion einen launigen Essay über die Sequenz in Faust II, in der es um die Einführung des Papiergeldes geht, zu verfassen, in der Goethe hellsichtig die Spekulation aufs Korn nahm. Im Frühjahr 2013 wurde die AfD als Reaktion auf Merkels Euro-Politik gegründet, deren Vorläufer der im September 2012 gründete „Verein zur Unterstützung der Wahlalternative 2013“ war.

Wenn die Eurobonds kommen, folgt unweigerlich die Kapitalmarktunion, ist sie doch im Grunde schon in Umrissen vorhanden. Wie immer wird die Ausplünderung der Bürger mit höheren Interessen, größeren Sorgen, existentiellen Notwendigkeiten begründet. Es geht wie stets ums Ganze, um Leben oder Tod, wie in der sogenannten Pandemie, wie in der halluzinierten Klimakrise, nun müssen Schulden aufgenommen werden, damit Griechenland und Polen eine Luftverteidigung mit Flugzeugen, Raketen und Drohnen aufbauen. Das übliche Geschwätz über Zeichen, Signal und der Stärkung der Wirtschaft durch militärische Macht darf natürlich nicht fehlen. Dass die neue Außenbeauftragte der EU, Kaja Kallas, von der man nur inständig hoffen kann, dass sie außer „klare Kante“ auch weiß, was Diplomatie ist, diese Verteidigungsbonds unterstützt, dürfte niemanden erstaunen. Eilfertig bezeugt ein Ökonom des Brüsseler Thinktank Bruegel, der als EU-nah gilt, dass neue Schulden, für die Deutschland bürgt, im deutschen Interesse seien, sicher so sehr im Interesse Deutschlands wie ein Riesenloch im Sparstrumpf. Nach Corona Bonds, kommen die Verteidigungsbonds, dann womöglich Wirtschaftsbonds und erzwungener Maßen die Kapitalmarktunion.

Doch Frankreich und Deutschland beschäftigen derzeit noch andere Sorgen, Emmanuel Macron hat eine Wahl vor sich, die er wohl verlieren wird, und Olaf Scholz bekommt unter dem Trommelfeuer schlechter Wirtschaftsdaten, die sein Wirtschaftsminister produziert, seinen Haushalt für das Wahljahr 2025 nicht zusammen. Insofern wird das Projekt EU-Bonds nicht priorisiert, aber es wird weiter verfolgt.

Es kommt erschwerend hinzu, die Vorstellung, dass die Feinde meiner Feinde meine Freunde sind, trifft leider nicht immer zu. Für Deutschland gilt: manchmal hat man kein Glück und dann kommt noch Pech hinzu. Handeln schon die deutschen Regierungen seit Merkel nicht im deutschen Interesse, dürften Marine Le Pen und Giorgia Meloni, die starken Frauen Frankreichs und Italiens, antideutsche Positionen pflegen, nicht nur mit Blick auf ihre Wähler, sondern wohl aus tieferer Überzeugung. Auch von dort ist nichts Gutes zu erwarten. Man kann den beiden Politikerinnen nicht vorwerfen, dass sie die Schwäche der deutschen Regierung nutzen und an einer schwachen Regierung in Deutschland interessiert zu sein scheinen. Deutschland befindet sich zwischen Skylla und Charybdis.

Hinzu kommt, dass die deutsche Regierung und die deutschen Medien Deutschlands Freunde düpieren, beschimpfen und schlecht behandeln, anstatt als Gegengewicht zum Club Med Mitteleuropa als Schwergewicht innerhalb des Staatenbundes aufzubauen, und zwar die Kontakte zu Tschechien, zur Slowakei, zu Österreich, zu Ungarn, zu Slowenien, Rumänien, Kroatien, Bosnien und Serbien auf der einen Seite und zu den Niederlanden, zu Dänemark und Schweden auf der anderen Seite zu stärken. Österreich und die Niederlande sind dezidiert gegen die Idee der Eurobonds.

Gestern Abend wurde jedenfalls Medienberichten zufolge im kleinen Kreis von sechs Staatschefs, und zwar zwei Liberalen, zwei Sozialdemokraten, zwei Konservativen die künftige Spitze der EU nach Feudalherrenprinzip ausbaldowert. Wozu EU-Wahlen stattfinden, bleibt letztlich ein Geheimnis. Italiens Giorgia Meloni, die nun einmal die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU repräsentiert, hatte man nicht dazu geladen, wie auch die drittstärkste Fraktion des neuen EU-Parlamentes, die EKR, der auch Melonis Fratelli d´Italia angehört, außen vor blieb. Die neue Führung besteht, wenn das Parlament diese Aufstellung bestätigt, aus Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin, António Costa aus Portugal als Ratspräsident und die gänzlich ungeeignete Kaja Kallas als Außenbeauftragte.

Gegen Costa laufen Ermittlungen wegen Korruption und nur die versehentliche Löschung von Handydaten ließen die Anfragen an Ursula von der Leyen in der Berateraffäre im Sande verlaufen. Auch mit Blick auf das Cum-Ex-Verfahren lässt sich der Anschein nicht wirklich entkräften, dass die Höhe des Regierungsamtes auch etwas darüber aussagt, wie weit man über dem Gesetz zu stehen scheint. Von der Leyen, Costa und Scholz mögen Macht haben, über jeden Zweifel erhaben sind sie nicht. Giorgia Meloni hat sich in der Personalfrage Ursula von der Leyen der Abstimmung enthalten und richtigerweise gegen Kallas und Costa gestimmt.

Zentraler Punkt der künftigen Strategie, die ebenfalls beim Abendessen vereinbart wurde, waren „Verteidigungsausgaben“. Polens Forderung, von den Balten unterstützt, von rund 500 Milliarden Euro wurde akzeptiert. Dass man bei Sommergemüse und Seezungenfilet, nicht gern über Kosten nachdenkt, versteht sich, wo ohnehin feststeht, wer die Rechnung bezahlt, teils zückt Deutschland das Portemonnaie, teils lässt man anschreiben. Niemand sprach beim Abendessen das Wort Schuldenunion an, aber alle dachten daran.

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